Konzertbericht: Distemper

21.10.2019 München, Feierwerk (H39)

DISTEMPER, die Ska-Legende aus Moskau, wird 30. Und wie könnte man das besser feiern als mit einer Tour? Glamourös ist dabei allerdings erwartungsgemäß wenig: In den gleichen Clubs wie eh und je, vor vermutlich mehr oder weniger dem gleichen Publikum und – eventuell – mit neuen Songs im Gepäck ist bei dieser Tour eigentlich alles wie immer. Und damit genau so, wie es sein muss.

Dass die Alben von DISTEMPER meist nur in Russland erscheinen, und es somit tatsächlich nicht ganz leicht ist, auch nur eine Übersicht über ihre Diskografie zu behalten, hat dem Bekanntheitsgrad der ehemaligen Ska-Punk-Größe über die Jahre leider etwas geschadet: Obwohl die Band erst um 20:30 Uhr (statt der angekündigten 20:00 Uhr) auf die Bühne kommt, übersteigt die Zuschauerzahl im Münchner Feierwerk kaum die 50-Personen-Marke.

Diese 50 Fans jedoch bereiten DISTEMPER bei ihrer Jubiläumstour einen mehr als warmen Empfang: Rasch gehören die ersten Reihen einem vornehmlich russischsprachigen Publikum, das die Ansagen von Sänger Dazent als mehr als nur eine Ansage unbekannten Inhalts bejubeln und die Songtexte mitsingen kann – und das außerdem äußerst tanzfreudig für beste Stimmung sorgt. Dass von den „alten“ DISTEMPER streng genommen nur noch Dazent und Schlagzeuger Bai übrig sind, während der Rest der Bande mittlerweile auch fast Familie in direkter Abstammung sein könnte, tut der Show keinen Abbruch: Gerade Trompeter Witalik – augenscheinlich der Jüngste im Bunde – macht ordentlich Stimmung, indem er mehrfach ins Publikum wechselt, um diesem von dort „den Ska zu blasen“.

Dass dies nur deswegen möglich ist, weil sich im direkten Bereich vor der Bühne höchstens 20 Fans tummeln? Ebenso egal wie die Tatsache, dass er mit seiner Trompete musikalisch heute immer wieder gehörig daneben liegt. Wirklich schade ist nur, dass die Bläserfraktion mittlerweile nur noch aus Trompete plus Saxophon besteht – und mit einer Posaune ein durchsetzungsstarkes Instrument mit vollem Ton fehlt.

Anders als zuletzt nutzen DISTEMPER ihre Jubiläumstour, um endlich auch dem alten Material wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken: Zumal der Altersschnitt des Publikums eher jenseits denn unter der 30 liegt und ein Großteil der Fans die Band wohl schon lange verfolgt, wäre ein „Oldschool-Set“ sicher noch besser angekommen. Doch auch so wird im Hansa39 voller Elan getanzt – vor, wie auf der Bühne, von Fans, Musikern und Hunden. DISTEMPERs über die Jahre zum Kult gewordenes Hundemaskottchen darf nämlich auch heute natürlich nicht fehlen. Nur optisch haben DISTEMPER auf eine Reminiszenz an die Vergangenheit verzichtet: Die kultigen Karo-Overalls von früher bleiben, wie zuletzt schon, auch auf dieser Tour im Schrank. In Sachen Band-Look gibt es dafür Punktabzug. Bedenkt man allerdings, wie viel beim intensiven Tourprogramm der Band tagein, tagaus auf der Bühne geschwitzt wird, wird diese Entscheidung nachvollziehbar.

Anderthalb Stunden währt die Ska-Punk-Party, ehe das reguläre Set mit „Moscow Reggae“ endet. Dazent scheint jedoch ebenso wenig genug zu haben wie die Fans – sodass er diese tatkräftig darin bestärkt, die Kollegen nochmal für drei weitere Songs auf die Bühne zu jubeln.

30 Jahre sind für eine Band eine beachtliche Karrieredauer. Die eigentliche Leistung liegt aber nicht in der Zeit allein, die Stars wie Metallica, Motörhead und Konsorten wohl recht gemütlich verbringen: Man lebt im Luxus – ob daheim oder auf Tour. Wirklich beeindruckend wird es erst, wenn eine Band eine solche Zeit im Underground durchsteht. Wenn man, wie DISTEMPER, 30 Jahre im Van reist, um in den gleichen, kleinen Clubs vor (zum Teil) den gleichen 50 Fans wie vor 15 Jahren zu spielen. Das ist wahre Hingabe, der es Respekt zu zollen gilt.

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