Festivalbericht: Festival-Mediaval IX – Tag 2

09.09.2016 - 11.09.2016 Selb, Goldberg

2016_specialMittelalter-Rock um 11 Uhr morgens zählt nach neun Jahren zu den festen Institutionen beim Festival-Mediaval: 2016 duellieren sich INCANTATEM, STORM SEEKER und die Lokalmatadoren FUCHSTEUFELSWILD um den Goldenen Zwerg. In dieser Reihenfolge betreten die drei Formationen auch die Bühne, jeweils stilvoll vorgestellt vom Gaukler/Artisten-Duo Basseltan. INCANTATEM lassen sich von ihrer beschwerlichen Anreise aus Hamburg nichts anmerken, sondern überzeugen mit modernem Folk Metal, der zu Recht noch den „Folk“ im Namen trägt. „Animus Et Anima“ soll das Erstlingswerk heißen, das bereits erfolgreich über Startnext finanziert ist. Musik und Tanz mischen die Nordlichter mit Geschichten und Legenden, stimmgewaltig dargeboten von Sänger Malte und untermalt von Sackpfeife, Cello und Tieftöner.  Ein Projekt mit Zukunft.

14264840_1244847645575692_5895832111223102274_nÄhnliches gilt für die Piraten von STORM SEEKER, die als zweites die Bühne zum Beben bringen und direkt Assoziationen an die Goldbergbucht wecken. Ein selbstgemachtes Segel als Banner dürfte ebenfalls neu sein. Aus Neuss sind die sechs Musikanten mit ihrem „Pirate Folk Metal“ nach Selb gereist, im Gepäck ihr erstes Werk „Pirate Scum“. Erstmals erklingt an diesem Tag eine Drehleier am Goldberg und insgesamt nehmen sich beide Combos nicht viel, so dass am Ende der subjektive Geschmack wohl über den persönlichen Vorzug entscheidet. FUCHSTEUFELSWILD dürften von allen drei Contest-Bands die in letzter Zeit umtriebigsten gewesen sein: Support-Shows für Corvus Corax, eine Abendshow auf dem MPS und eine DVD-Produktion in Regensburg haben dafür gesorgt, dass Frontmann Basti und seine Mitmusiker zum Thema in der hiesigen Szene geworden sind. Mit Flötistin Ella hat die Kapelle nun darüber hinaus ein stimmliches und optisches Gegengewicht zum Bandgründer am Mikrofon. „Weltenmeer“ lautet das Ergebnis der ersten gemeinsamen Schaffensphase, die auch gekennzeichnet ist von mehreren Besetzungswechseln. Insgesamt offenbaren die einzelnen Songs mehr Potential. Handwerklich präsentieren sich FUCHSTEUFELSWILD dafür sowohl einzeln als auch im Kollektiv einwandfrei. Am Ende entscheidet sich das Publikum klar für die Füchse, die folglich am Abend den Goldenen Zwerg gewinnen. Objektiv betrachtet hätten alle drei Bands den Award verdient gehabt.

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Parallel zum ersten Bandcontest des Wochenendes treten auf der Burgbühne mit SKALUNA wie gewohnt die Sieger des Vorjahres in der Rubrik „Spielmann“ auf. Auch an den Vorjahresgewinnern 2015 zeigt sich, dass manche Bands beim Gewinn des Goldenen Zwergs noch nicht für die Ewigkeit gemacht sind: So erklingt bei SKALUNA inzwischen eine andere Stimme am Mikrofon, die optisch wie stimmlich mit ihrer steampunk-angehauchten Vorgängerin wenig gemeinsam hat. Ein Vergleich zur Sieger-Performance fällt demnach schwer, wenngleich zumindest die Geige ähnlich gelungen über die Lautsprecher dringt wie ein Jahr zuvor auf der kleinsten der drei Bühnen.

14264915_1244848078908982_5298781018203325818_nHoch hinaus wollen PUNCH’N’JUDY als erster Act auf der Hauptbühne, frisch unter Vertrag bei Danse Macabre. Im Dezember erscheint das neue Werk der Recklingshausener namens „rum, soda & punch“. Einen Vorgeschmack auf die stilistische Entwicklung bietet die Single „Mein Kind“, welche auch auf dem Festival-Mediaval erklingt. Im Vergleich zu Skaluna ist der Fünfer eingegroovter und festivalerprobter: In ihrer Musik spiegeln PUNCH’N’JUDY verschiedene Einflüsse der einzelnen Musiker, darunter Folk und auch metallische Riffs. Prägend für den Folk ist besonders das Akkordeon, das den Sound über die gesamten 60 Minuten maßgeblich prägt.

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Nur wenige Meter von den Highland-Games entfernt beginnen MALVA DE RUNA ihren Auftritt. Ebenjener Umstand entwickelt sich schnell zum größten Manko der Show, für die die Künstler selbst keinerlei Schuld tragen: Die Dudelsäcke aus der Arena übertönen die sanften Klänge der Spanier. Authentisch traditionell arrangieren die Südeuropäer mit Harfe und Cello ihre Kompositionen, die sie mit speziellen Instrumenten aus dem Mittleren Osten und Anatolien anreichern. Durch ihre Arrangements spannen MALVA DE RUNA den Bogen – wenn nicht gerade ein Sackpfeifenmassaker über sie hereinbricht.

14322702_1245934782133645_736568203540056168_n Davon bleiben FAEY – genau wie das Marktprogramm – glücklicherweise verschont. Die Folk-Pop-Band von Ex-Faun-Sängerin Sandra Elflein zeigt sich meist genau dann am stärksten, wenn der deutschsprachige Pop ruht und die fünf Musiker gemeinsam auf Folk-Pfaden wandern. So offenbaren die finnische Volkswaise „Armahan Kulku“ und das Lied, das den gleichen Namen wie die Gruppe selbst trägt, mehr Charme als Radiotaugliches wie „Sehnsucht“ vom ersten Longplayer „Golden Apples“. Insgesamt liefern FAEY allerdings einen erstaunlich beschwingten Auftritt ab, der Lust auf mehr macht und nicht wenige in Tanzlaune versetzt. Abseits der beiden Bühnen überzeugen zu früher Stunde besonders ARTISTICA ANAM CARA, wahlweise mit einer Akrobatik-, Jonglage- oder Kindershow in teils luftigen Höhen.

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Wer anschließend den Weg zur Burgbühne antritt, bekommt mit HEIMATAERDE elektronisches Kontrastprogramm. Die selbsternannten Gotteskrieger, in Ritterrüstung und teils blutroter Schminke, haben mit dem Mittelalter musikalisch wenig am Hut, verstehen es aber, ihre Qualitäten in den Vordergrund zu rücken. Diese liegen ganz offenkundig nicht im Gesang von Ashlar von Megalon oder in lyrischem Tiefsinn, wie die aktuelle Single „Hick Hack Hackebeil“ beweist, doch der stampfige Klangteppich lässt das Tanzbein wackeln – wenngleich die Soundkulisse teilweise arg laut in die Menge dringt. Das Gesamtpaket erinnert grob an Stahlmann und andere Konsorten, die live auf Party und Spaß ohne Verschnaufpause getrimmt sind. Am Ende können HEIMATAERDE ihr Gastspiel in Selb als gute Promo für ihr kommendes Album „Aerdenbrand“ sowie die dazugehörige Tour im Herbst verbuchen. Wem der elektronische Mittelalter-Mix zu brachial gerät, der findet bei Kontaktjongleuse BEATRICE BAUMANN, PURPUR und anderen Künstlern wohltuendes Kontrastprogramm, bei dem die Bandbreite der Vokalistenorgane teilweise mehr im Fokus steht.

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Die russischen GRAI (zu deutsch: Vogelschrei) biegen mit ihrem opulenten Metal musikalisch wieder in eine eher folkige Richtung ab. Schnell erinnert der treibende Mix an Korpiklaani, Arkona oder Svarga, nur dass sich westeuropäische Festivalgänger bis dato wohl kaum an der Band aus Tartarstan sattgehört haben konnten. Einige Mähnen fliegen wild in der Luft, nachdem Sängerin Irina die Metalheads immer wieder animiert und ihre männlichen Bühnenkollegen selbst vorlegen. Die sechsköpfige Band spielt eine mitreißende Show, geprägt vom satten Sound der drei Stromgitarren und einem rhythmischen Schlagzeug. Dazu gesellt sich neben Irina am Mikrofon noch eine flinke, silberhelle Flöte als Gegengewicht bzw. weibliche Seite von GRAI. Das Ergebnis ist so elektrisierend wie energiegeladen. Der russische Gesang trägt durch den wilden, martialischen Klang der Sprache sein Übriges bei. Dennoch kommt das Gefühl nie zu kurz.

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Mit DIKANDA hat sich das Festival-Mediaval für das diesjährige Balkan-Special einen bunten Folk-Mix mit ins Boot geholt. Die polnische Band fängt nicht nur den typischen Balkan-Sound ein, sondern lässt das aufgeschlossene Selb-Publikum auch ausgelassen zu jiddischen, kurdischen und Roma-Rhythmen tanzen. Dabei geben die Frontfrauen Kasia und Ania nicht nur einen stimmungsvollen Blickfang ab, sondern zeigen sowohl mit ihrem Gesang als auch am Instrument ihr Können. Egal ob mit sanften, zweistimmigen Klängen an Geige und Akkordeon oder fulminant mit Gitarre, Percussion, Bass und Trompete – DIKANDA können stets eine Atmosphäre aufrechterhalten, die ihr Publikum gedanklich in östlichere Gefilde schweifen lässt. Mit ihrer anspruchsvollen Musik und ansteckenden guten Laune erspielen sie sich das Herz ihrer Zuhörer und werden hoffentlich in Zukunft öfter in Deutschland anzutreffen sein. Zum 20-jährigen Bandjubiläum im nächsten Jahr wäre es jedenfalls eine gute Gelegenheit.

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20 Jahre OMNIA und das am Goldberg: eine Kombination, die inzwischen untrennbar und für die Ewigkeit geschaffen scheint. Zu ihrem Jubiläum blicken die Niederländer sowohl auf ihre musikalische Gegenwart als auch auf ihre Vergangenheit in einer Art Best-of. Von ihrer neuen CD „Prayer“ präsentieren sie eine Hommage an Jennys Onkel, den „Alan Lee Tango“, sowie ihren ganz persönlichen „Freedom Song“ und den „Wolf an Dro“. Wie Steve verlautbart, drückt der Bandname OMNIA in seiner Übersetzung bereits jene musikalische Freiheit aus, die die Künstler sich in jeder Art und Weise nehmen. „Black House“, „Earth Warrior“, „Toys In The Attic“ und „Dance Until We Die“ sind musikalisch und von der Präsentation inzwischen alte Bekannte, doch die Kombination aus der Musik und dem Festival-Mediaval lebt auch eben genau davon. Nur wenige dürfte demnach auch die künstlerische Einlage von KELVIN KALVUS überrascht haben. Allerdings dürften sich im gleichen Atemzug viele über ebenjenes Wiedersehen genauso sehr gefreut haben. Wer OMNIA wiederum noch nie zuvor erlebt hat, bekommt einen guten Querschnitt aus dem bunten Strauß, den die naturverbundenen Erdenkrieger seit zwei Dekaden kredenzen.

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Die polnischen R.U.T.A. haben es mit ihrem Anarcho-Folk anschließend schwer: Nur zäh trudeln die Festivalbesucher nach der Pagan-Folk-Party bei der Burgbühne ein und einige treten bei höchst progressiv intonierten Geigen und Gitarren nebst anklagendem Gesang schnell den Rückzug an. Wer bleibt, dem offenbart sich der Charme der „reaktionären terroristisch-anarchischen Union“. Polnische Protest- und Widerstandslyrik sind ein Novum am Goldberg, wenngleich eines, die ein empfängliches und bestenfalls geschultes Gehör unbedingt erfordern. Einsteigerfreundlich sind die höchst anspruchsvollen und wenig massentauglichen Sounds nicht. Die textliche Basis von Elend, Armut und Sklaverei transportieren die Instrumente aber eben so, wie diese Themen empfunden werden sollen. Die Folk-Poetik schielt auf die Essenz, die Wahrheit in den musikalischen Grundbausteinen ihres Seins. Klingt kompliziert, ist es auch. Aber den einen oder anderen Nerv treffen auch R.U.T.A., wenngleich selbst eingefleischte Black-Metal-Hörer hier bereits nach weniger als der vollen Spielzeit die Waffen strecken dürften. Deutlich einsteigerfreundlicher präsentieren sich PYRATES! zeitgleich in der Goldbergbucht.

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Ein weiteres zwangzigjähriges Jubiläum feiern zum Abschluss des Samstags QNTAL auf der Hauptbühne. Die fünf Musiker müssen zur Feier des Tages jedoch einige Abstriche in Kauf nehmen: „Blow Northerne Wynd“ wollte das Ensemble auf dem Festival-Mediaval zusammen mit Alexander Wesselsky (Eisbrecher) und Timur Karakus (Schöngeist) zum Besten geben, doch die beiden Herren sagten kurzfristig ab. So runden Wind und Nebel statt zweier zusätzlicher Stimmen diesen Teil ab. Ein regelmäßiger Gast auf der Bühne wird BEATRICE BAUMANN, wahlweise im funkelnden Abendkleid mit Kontaktjonglage oder später zu „Flamma“ passend im Feuerkragen mit Feuerblumen. Ab „Ecce Gratum“ gesellt sich EPI mit seinem mongolischen Obertongesang auf die Bühne, so dass QNTAL in ihrer Musik noch einmal um eine Nuance bereichert werden. Anfangs benötigt der Auftritt etwas, um in Gang zu kommen und die Eulen auf Syrahs Arm hinterlassen nicht nur auf Grund des Bühnenlärms einige Fragezeichen. Doch spätestens ab „Veni Veni“ und dem speziellen Mediaval-Remix von „Frühling“ nehmen die Musiker und die Show richtig Fahrt auf. Mit „Sumervar“ bietet das Quintett zudem einen ersten Ausblick auf „Qntal VIII“, welches in Bälde veröffentlicht werden soll. Das reguläre Set endet schließlich mit „Schnee“ zu einem Stroboskop- und Lichtspektakel, ehe in den Zugaben zum dancefloor-tauglichen „Ad Mortem Festinamus“ noch einmal kräftig das Tanzbein geschwungen werden darf und Syrah den Klassiker „Under der Linden“ gefühlvoll aufleben lässt. Wer kurz nach Mitternacht noch nicht mittelalterlich genug versorgt ist, der feiert im kleinen Rahmen mit der CAPELLA BARDICA ein weniger weiter.

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So endet ein facettenreicher Festivalsamstag, der erneut beweist, wovon das FESTIVAL-MEDIAVAL lebt: einem bunten Mit- und auch Durcheinander. Inzwischen ist das Gelände mitsamt Ritterturnier auf eine Größe gewachsen, die es schwierig macht, ein bisschen von allem zu genießen. Darunter litt vor allem das Turnier, welches im Rahmen der anderen Möglichkeiten des Goldberg auch nur eine nette Dreingabe gewesen ist. Dass die Greifvögel bei hochsommerlichen Temperaturen ab und an (im wahrsten Sinne des Wortes) die Flügel streckten, ist dazu nachvollziehbar. Musikalisch betrachtet bietet das diesjährige Balkan-Spezial unter anderem mit DIKANDA und R.U.T.A. zwei sehr extravagante Hörerlebnisse, die besonders im Vergleich zur Celtic-Thematik des Vorjahres deutlich eher polarisieren.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Jens Wessel / http://www.medievalphotography.com – dort findet ihr unter anderem die vollständige Galerie zu diesem Festival!

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