Review Affector – Harmagedon

Christliche Rock- und Metalbands sind spätestens seit Saviour Machine, Stryper und As I Lay Dying keine Ausnahmeerscheinung mehr. Die Progressive Metal-Combo AFFECTOR reiht sich jedoch nicht nur in diese Szene ein, sondern geht sogar noch einen Schritt weiter: Statt in eigenen Worten über christliche Themen und Inhalte zu singen, bedienen sich AFFECTOR einfach direkt beim „Buch der Bücher“; sämtliche Textzeilen ihres Debüts „Harmagedon“ stammen nämlich 1:1 aus der Bibel, es gibt keine Reime und nicht einmal minimale Anpassungen.

Gründerväter dieser neuer Progmetal-Band sind der deutsche Gitarren-Virtuose Daniel Fries und der holländische Schlagzeuger Collin Leijenaar, der sich in den letzten Jahren vor allem als Tourdrummer von Neal Morse einen Namen gemacht hat. Ganze vier Jahre haben die beiden an „Harmagedon“ gearbeitet und sich dabei tatkräftige Unterstützung von vielen bekannten Namen der Progressive-Szene gesichert: Hinter dem Mikro steht Ted Leonard (Spock’s Beard, Enchant, Thought Chamber), den Bass zupft Mike LePond (Symphony X) und die Keyboardsspuren stammen von so illustren Herren wie Jordan Rudess (Dream Theater), Derek Sherinian (ex-Dream Theater, Planet X), Neal Morse (Transatlantic, ex-Spock’s Beard) und Alex Argento. Das sind allesamt Musiker, die dafür bekannt sind, eher zu viel als zu wenig zu spielen.

Die Angst, es könnte sich bei „Harmagedon“ um seelenlosen Notenregen handeln, ist allerdings völlig unbegründet. Zwar haben AFFECTOR ohne Frage eine Schwäche für rasante, virtuose Instrumentalparts in bester Dream Theater-Manier, doch vergessen sie nie, diesen Teilen eingängige und emotionale Gesangsmelodien und atmosphärische Ruhepausen gegenüberzustellen, an denen sich der Hörer festhalten kann. Schon der Einstieg mit der zweiteiligen Overture samt echtem Orchester klingt organisch, warm und lebendig. Drei Attribute, die den meisten anderen Progmetal-Scheiben fehlen. Eine so unkitschige und berührende Ballade wie „Cry Song“ findet sich in diesem Genre ebenso selten. In den flotteren Momenten überzeugt Gitarrist Daniel Fries mit seinem äußerst variantenreichen, geschmackvollen und vor allem emotionalen Gitarrenspiel. Auch wenn seine Finger nur so über das Griffbrett flitzen, fehlt es nie an Seele. Die Schlagzeug-Zaubereien von Collin Leijenaar hingegen dürften insbesondere Fans von Mike Portnoy ansprechen, der hier klar Vorbild war.

Ein großes Plus der Platte ist auch die luftige Produktion, die nicht so aufgeblasen und zugekleistert daherkommt wie bei vielen Genre-Kollegen. Weniger gelungen finde ich hingegen das Cover-Artwork mit dem kitschigen und abgegriffenen Bandlogo und dem farblich etwas eintönigen Motiv.

Freude des gepflegten, symphonischen Progmetals der alten Schule sollten sich AFFECTOR dennoch dringend auf dem Einkaufszettel notieren – sie werden hier ganz vorzüglich bedient. Die 65 Minuten Spielzeit vergehen wie im Fluge und spätestens nach dem dritten Durchgang von Tracks wie „New Jerusalem“ oder dem 13-minütigen Epos „Harmagedon“ ist man um einige Ohrwürmer reicher. Zum Abschluss muss noch hinzugefügt werden, dass auch das Experiment mit den Lyrics hervorragend gelungen ist. Die Bibel lässt sich also nicht nur lesen, sondern auch singen! Bleibt nur zu hoffen, dass AFFECTOR uns dieses beeindruckende und beseelte Material bald auch live präsentieren werden.

Anspieltipps: „Harmagedon“, „Cry Song“, „New Jerusalem“

Wertung: 9 / 10

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