Review Animals As Leaders – The Madness Of Many

Über die Jahre hinweg hat sich um Tosin Abasi ein regelrechter Kult entwickelt. Nicht nur, dass die Musikwelt sich – vollkommen zu Recht – weitestgehend darauf geeinigt hat, ihn als Gitarrengott zu verehren, er ist auch wohl mit dafür verantwortlich, dass inzwischen jeder zweite Hobbygitarrist unbedingt eine Achtsaitergitarre besitzen möchte, obwohl sicherlich 95 % davon nicht in der Lage sind, diese sinnvoll zu nutzen. Bekannt wurde der Gitarrenvirtuose mit seiner Band ANIMALS AS LEADERS, die, ursprünglich als Soloprojekt gegründet, inzwischen aus dem nicht minder fähigen Gitarristen Javier Reyes und dem grandiosen Schlagzeuger Matt Garstka besteht. Mit „The Madness Of Many“ erscheint nun das mittlerweile vierte Album und das zweite in dieser Besetzung.

Wer die Entwicklung der Truppe verfolgt, wird bemerkt haben, dass sich ANIMALS AS LEADERS seit ihren Anfangstagen deutlich verändert haben. Wo das Debütalbum noch eine mustergültige Symbiose aus technischem Spiel und eingängigem Songwriting war, legte beispielsweise „Weightless“ den Fokus mit seinen Elektronikspielereien mehr auf Atmosphäre und Ambientspiel. „The Joy Of Motion“ brachte die Stärken der Instrumentalisten erneut auf den Punkt, blieb jedoch ebenfalls merklich hinter dem Erstlingswerk zurück.
Auf „The Madness Of Many“ zeigen sich die drei Musiker nun erneut gewillt, die technischen Elemente zugunsten eines melodischen Songwritings zurückzufahren. Das ist als Idee nachvollziehbar und auch wichtig. Was nützt die Musik einer Band, wenn sie nur als Plattform für die Technikangebereien ihrer Mitglieder existiert? Der Opener und gleichzeitig das Albumhighlight „Arithmophobia“, nebenbei bemerkt der Fachbegriff für die Angst vor Zahlen (welche betroffenen Hörern die Musik arg unangenehm machen dürfte), zeigt eindrucksvoll, wie sowas im besten Fall dann aussieht: ein simples, eingängiges, orientalisches Leitmotiv wird so dermaßen verschwurbelt und gleichzeitig mitreißend mit rhythmischen Meisterleistungen umgarnt und verarbeitet, dass das Staunen eine einzige Freude und der Hörgenuss dabei stets gegeben ist. Nicht viel weniger gelungen folgt mit „Ectogenesis“ ein mit Bass-Synthie-Sounds eingeleitetes Stück, dessen Mittelteil als konsequente Weiterentwicklung des Meshuggah-Hits „Bleed“ selbst diese sprachlos zurücklassen dürfte.

Spätestens nach dem dritten Song fällt auf, dass Tosin seine berühmt-berüchtigten Highspeed-Gitarrensoli auf ein Minimum zurückgefahren hat. Stattdessen dominieren nun zahlreiche Leads die Songs, oft auch zweistimmig. Das funktioniert bei ein paar Stücken auch einigermaßen solide, meistens jedoch geht das insgesamt recht beliebige und im Jazz, Fusion und Prog-Metal leider recht verbreitete, ausdruckslose Gedudel eher auf die Nerven. Bei weniger spektakulären Songs wie „Private Visions Of The World“ oder dem eigentlich wirklich starken, aber von belanglosen Leadmelodien erschlagenen „Inner Assassins“ wünscht man sich dann doch wieder die Verspieltheit und auch die Härte ihrer Anfangstage zurück. Dass Melodien nicht gerade die Stärke des Trios sind, dürfte bereits nach den letzten beiden Platten bekannt sein. „The Madness Of Many“ bestätigt dies nun erneut und die auf dem Album wirklich zahlreichen misslungenen Melodieversuche müssen leider als starker Kritikpunkt herhalten.
Sieht man darüber hinweg, dass man von der Band dieses Mal überwiegend „nur“ vom rhythmischen und harmonischen Kompositions-Konzept beeindruckt wird, hat die Scheibe allerdings erneut viel zu bieten. ANIMALS AS LEADERS verstehen es auch auf ihrem vierten Werk, ihren Hörern sowohl mit krummtaktigen Parts als auch ganz im Stile Meshuggahs mit zwar straighten 4/4-Takten, in die sie aber gleich mehrere, untereinander verschobene Rhythmen packen, das Hirn zu verknoten. Gerade Songs wie das wunderschön betitelte, rhythmisch komplett verrückte „Backpfeifengesicht“, das jazzige, verschwurbelte „Transcentience“ oder das zunächst hervorragend als harmloses, unscheinbares Akustikstück getarnte, dann aber vollkommen unaufgeregt abdrehende „The Brain Dance“ zeigen eindrucksvoll, dass ANIMALS AS LEADERS in diesem Bereich noch immer absolute Ausnahmekünstler auf Weltklasseniveau sind. Auch in ruhigen Momenten kann die Truppe dieses Mal überzeugen, so beispielsweise bei „The Glass Bridge“ oder dem ganz ungewohnt rein klassisch-harmonisch komponierten und damit sämtliche Jazz-Einflüsse ausschließenden Schlussstück „Apeirophobia“.

Bei „The Madness Of Many“ zu einer sinnvollen Wertung zu kommen, gestaltet sich als äußerst schwierig, denn in Sachen Spieltechnik und umgesetzter Musiktheorie schwebt das Album in ganz eigenen Sphären. Das neue Werk hebt die wohl größte Stärke der Band, das rhythmische Spiel, aufs nächste Level und präsentiert sie kreativer und fitter als je zuvor. Auch haben ANIMALS AS LEADERS auf ihrem vierten Album wieder besser begriffen, wie wichtig für den Hörer auch Eingängigkeit der Songs ist, damit das Spiel nicht zur reinen Poserei verkommt. Dass sie dafür auch ihr brillantes Solospiel gegen vergleichsweise unspektakuläres Gitarrengedudel eingetauscht haben, schadet der Musik leider an vielen Stellen und lässt den Hörer dann streckenweise doch immer wieder die Konzentration verlieren. Dennoch, allein durch die einzigartigen Fähigkeiten der drei Ausnahmemusiker, erneut ein hörens- und bemerkenswertes Werk, auch wenn das geniale Debüt weiterhin unerreicht bleibt.

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Wertung: 7.5 / 10

Publiziert am von Simon Bodesheim

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