Review Mar De Grises – Draining the Waterheart

  • Label: Firebox
  • Veröffentlicht: 2008
  • Spielart: Doom Metal

Ein heißer Mai bringt uns anno 2008 ordentlich ins Schwitzen. Was könnte es da schöneres geben als Freibier – aber wie rankommen? Folgende Taktik wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führen: Wettet mit einem Metal-Saufkumpanen, dass er euch ein Bier ausgibt, wenn er euch keine Band aus Chile nennen kann. Das Bier ist euch so gut wie sicher, außer wenn ihr Pech habt und an einen gut informierten Doom-Jünger geratet – denn Chile hat einen neuen großartigen Exportartikel: MAR DE GRISES. Bereits vor vier Jahren konnten die Herrschaften aus Südamerika mit ihrem ersten Album „The Tatterdemalion Express“ für Aufsehen sorgen, und nun wird der Nachfolger „Draining the Waterheart“ auf die Welt losgelassen.

Sicher erscheint mir jetzt schon, dass den meisten Leuten wohl auch in Zukunft keine chilenische Band einfallen wird, wobei es höchst verdient wäre, wenn der Name MAR DE GRISES („Meer der Grautöne“, freier übersetzt „Meer der Trübsal“) zumindest in der Doom-Gemeinde vermehrt die Runde machen würde. Denn mit „Draining the Waterheart“ ist der Band, so möchte ich meinen, ein ziemlicher Geniestreich gelungen, wenn auch einer, den man beileibe nicht auf den ersten Blick erkennt. Diese Scheibe reiht sich recht problemlos in die Menge der Werke ein, die mehrere Durchläufe brauchen, bis sie schlussendlich ihre ganze Vielfalt und Erhabenheit offenbaren.
MAR DE GRISES spielen Doom Metal, aber mit starkem progressivem Einschlag und einer Vielzahl von elektronischen Elementen. Dabei handelt es sich nicht nur um klassische Keyboard-Streicher, sondern auch um wabernde Synthesizerklänge und merkwürdige Geräusche, die zwischen Rauschen und Knacken pendeln. Dazu gesellen sich Riffs, deren Machart von Doom-Hausmannskost bis zu dissonanten Spezialitäten reicht, die durch ziemlich abartige Klänge („Töne“ kann man das nicht mehr nennen) noch verstärkt werden. Die Wiedergabe der Texte, die sowohl in Spanisch als auch in Englisch daherkommen, erfolgt meist durch tiefes Growling, doch gelegentlich lassen die Chilenen auch stimmigen Klargesang („One possessed“) oder kaum hörbares Flüstern ertönen.

Einzeln mag sich das nicht sehr beeindruckend anhören, doch zusammen ergeben diese Elemente eine traumhafte Stimmung, bei der man sich fühlt, als würde man wie im Schlaf an einem Strand entlangwandeln, den Salzgeruch in der Nase, heißen Sand zwischen den Zehen, sich wie in Trance bewegend, während am Himmel lange Wolkenfetzen wie im Zeitraffer dahinziehen. Gelegentlich schlägt diese Traumstimmung ins Alptraumhafte um, wenn die Musik negative Stimmung vermittelt. Dies geschieht meist in den intensiven Momenten, wie es sie beispielsweise in „Sleep just one Dawn“ vermehrt gibt: Fast ohne Vorwarnung gibt es amtliches Doublebase-Gerammel in Kombination mit langgezogenem Grunzen auf die Ohren, das sämtliche positiven oder ruhigen Assoziationen tilgt und die Aufmerksamkeit des Hörers wieder aus einem möglichen Tal herausholt.

Das große Problem für den durchschnittlichen Metalhörer dürfte sein, dass sich die Atmosphäre nur dann wirklich in voller Pracht präsentiert, wenn man das Album schon etwa dreimal gehört hat; es ist derart mit Details vollgestopft und auch so vertrackt, dass man beim ersten Hördurchgang mit hoher Wahrscheinlichkeit den Wald vor Bäumen nicht sieht. Hat man jedoch Geduld mit „Draining the Waterheart“, dann offenbart sich nach einiger Zeit die ganze melancholische Schönheit dieses Albums, denn auch hier gilt mal wieder das Motto „Fühlen statt hören“. Doom-Freunde haben gute Chancen, mit dem Kauf dieses Albums ihrer Sammlung eine weitere Perle hinzuzufügen, und auch Fans progressiver Klänge sollten auf jeden Fall mal ein Ohr riskieren. Rotiert der Silberling dann in eurem CD-Spieler, setzt euch mit dem bei der Wette gewonnenen Bier in die Sonne und lauscht einer Band, die es verdient hat, über die Grenzen Chiles hinaus bekannt zu werden: MAR DE GRISES.

Wertung: 8.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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