Review Rotting Out – Ronin

Manche Geschichten kann nur das Leben schreiben: Nachdem sich die Hardcore-Punk-Band ROTTING OUT 2015 nach acht Jahren Bestehen aufgelöst hatte, wurde ihr Sänger Walter Delgado von der Polizei aufgehalten. Im Van des Straight-Edge-Musikers fanden sie 30 kg Marihuana und 1000 Behälter Hasch-Öl. Die daraufhin verhängte Gefängnisstrafe von 18 Monaten war nach eigener Aussage Delgados das Beste, das ihm jemals passieren konnte: Hier fand er durch Psychotherapie zu sich selbst, beschäftigte sich viel mit Literatur und Kunst und ist heute ein veränderter Mensch. Auch durch dieses neue Bewusstsein war das ausgebrannte Gefühl bei ROTTING OUT Vergangenheit und die Band aus San Pedro/Los Angeles spielt seit 2018 wieder Konzerte. Im April 2020 erscheint mit „Ronin“ das dritte Album von ROTTING OUT. Nicht nur sind im Booklet Fotos der Bandmitglieder als Kinder abgedruckt, auch auf inhaltlicher Seite ist „Ronin“ eine der persönlichsten, ehrlichsten Hardcore-Punk-Scheiben der letzten Jahre.

Textlich schreibt sich Walter Delgado alles von der Seele, was sich in den letzten Jahr(zehnt)en angestaut hat. In schonungsloser Offenheit beschreibt er auf „Ronin“ Misshandlungen durch seinen Stiefvater („Prisoner“) und wie seine Herkunft und das Leben in den Armenvierteln von Los Angeles schließlich mit zu seiner Haft führte („Reaper“). Dabei wendet er sich vehement gegen die Romantisierung, die Ghettos popkulturell häufig zukommt („Last Man Standing“) und kritisiert neben seiner eigenen Person („Thief“) auch immer wieder systemische Ungerechtigkeiten. Gerade da es oft direkt zur Sache geht, ist es schön, zu hören, dass ROTTING OUT in die Tiefe gehen und das Thema psychischer Prägungen und Erkrankungen eine große Rolle auf „Ronin“ spielt.

Musikalisch untermalen ROTTING OUT dies so, wie ROTTING OUT es auch in der Vergangenheit getan haben: straight und mit Vollgas nach vorne. Wer hier rhythmische Spielereien oder komplexes Songwriting erwartet, wie es bei vielen Bands der neueren Garde der Fall ist – als Beispiel seien hier Code Orange oder Knocked Loose genannt – wird von „Ronin“ enttäuscht werden. Zwar gibt es immer wieder Half-Time-Passagen, die Two-Step und wüste Moshpits geradezu erzwingen, und auch der eine oder andere Breakdown findet sich auf „Ronin“. Dennoch legen ROTTING OUT Wert auf den Aspekt des „Punk“ in „Hardcore Punk“: Treibendes Drumming, rasend schnelle Riffs sowie Walter Delgados wütendes und hohes Keifen geben durchgängig den Ton an. Dass dabei viele Songs relativ gleich klingen, liegt in den Gegebenheiten des Genres – ROTTING OUT bedienen dessen Klaviatur allerdings nahezu makellos.

Die 25 Minuten Spielzeit, verteilt auf zehn Lieder, vergehen damit fast wie im Flug. Zum Abschluss brechen ROTTING OUT schließlich aber mit ihrer Erfolgsformel und liefern mit „Boy“ einen mehr als fünf Minuten langen Song ab. Musikalisch verschleppt und noch düsterer als der Rest auf „Ronin“ öffnet sich Walter Delgado darauf vollständig und beschreibt den sexuellen Missbrauch, der ihm als Kind angetan wurde. Diese Nummer bietet einen würdigen Abschluss eines großartigen Albums. Mit „Ronin“ liefern ROTTING OUT das bisher stärkste Release ihrer Karriere ab und setzen ein amtliches Ausrufezeichen.

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Wertung: 8.5 / 10

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