Review Tchornobog – Tchornobog (Re-Release)

(Death / Black / Doom Metal / Jazz) TCHORNOBOG ist der Name einer westslawischen Gottheit des Bösen, über die allerdings nur äußerst wenig bekannt ist. Bis auf eine Notiz des Chronisten Helmold von Bosau aus dem 12. Jahrhundert finden sich kaum historische Belege für den Glauben an ebenjene Wesenheit. Dass Bands im extremen Metal-Sektor sich nach obskuren, mythologischen Figuren benennen, ist zwar keine Seltenheit (siehe Marduk, Tiamat etc.), ein Konnex zu deren Songtexten besteht jedoch nur in den wenigsten Fällen. Markov Soroka dürfte den Namen TCHORNOBOG für sein Soloprojekt hingegen mit Bedacht gewählt haben – schon das surreale, groteske Artwork des erstmals 2017 veröffentlichten Debütalbums deutet darauf hin, dass sich das Konzept des Projekts um eine albtraumhafte, übermenschliche Entität dreht.

Vergleicht man TCHORNOBOG mit Drown und Aureole, den anderen Soloprojekten Sokoras, deren Debütalben in etwa zu derselben Zeit wie „Tchornobog“ über Prophecy Productions wiederveröffentlicht wurden, so fallen auf Anhieb zwei markante Unterschiede ins Auge. Zum einen bewegt sich der ukrainische Einzelkünstler in TCHORNOBOG auf gänzlich anderen, stilistischen Pfaden – anstelle von Funeral Doom oder Atmospheric Black Metal wird hier eine experimentelle Mischung aus Death, Black und Doom Metal mit Jazz-Anwandlungen gespielt – und zum anderen erschien „Tchornobog“ zum Zeitpunkt seines ersten Releases drei Jahre nach den anderen Alben. Unter anderem lässt es sich wohl damit erklären, dass Soroka hiermit eine deutlich ausgereiftere, erste Platte vorgelegt hat als mit seinen übrigen Ein-Mann-Bands.

Fehlte es „Unsleep“ und „Alunar“ trotz ihrer interessanten Grundkonzepte mitunter noch an zündenden Ideen und produktionstechnischer Raffinesse, so hat Soroka mit TCHORNOBOG in beiderlei Hinsicht immense Fortschritte gemacht. Leichter zugänglich ist „Tchornobog“ deswegen keineswegs – eher das Gegenteil ist der Fall. In den vier Songs, die allesamt zwischen 12 und 20 Minuten lang sind und zusammen eine Laufzeit von über einer Stunde ergeben, vertont Soroka das in den Texten und dem Artwork dargestellte, in seiner unvorstellbaren Grässlichkeit an ein Cosmic-Horror-Ungeheuer erinnernde Ungetüm auf geradezu verstörende Weise.

Schemenhafte Growls, mal chaotisch tobende, mal unter ihrem eigenen, tonnenschweren Gewicht dahinkriechende Distortion-Gitarren, haarsträubendes, bedrohliches Shredding und brachiales Drumming sind die Hauptstilmittel, mit denen Soroka TCHORNOBOG zum Leben erweckt. Die zumindest der Form nach geläufigen, de facto jedoch alles andere als schablonenhaft klingenden Death-Metal-Elemente werden zudem ab und an von geschmackvollen Jazz-Einlagen unterbrochen. Insbesondere „Non-Existence‘s Warmth (Infinite Natality Psychosis)“, das den Hörer, wie im Titel versprochen, mit seinen einsamen Clean-Gitarren, seinem geschmeidigen Saxophon und seinem geheimnisvollen, eleganten Piano in eine karge Ödnis versetzt und ihm doch auf eigentümliche Weise Trost spendet, weist TCHORNOBOG als Sorokas ausgereiftestes, vielfältigstes Musikprojekt aus.

„Tchornobog“ ist in jedweder Hinsicht ein ehrfurchtgebietender, grotesker Moloch von einem Album. Dass Soroka mehrere Jahre an den vier Tracks gearbeitet haben soll, erscheint absolut realistisch, handelt es sich dabei doch um die wohl komplexesten Kompositionen, die der ukrainische Einzelkünstler bis dato zustande gebracht hat. Wer Death Metal bloß mit stupider Haudraufmusik assoziiert und atmosphärischere Stilmittel fest im Griff des Black Metal vermutet, wird hier von TCHORNOBOG eines Besseren belehrt. Nicht zuletzt dank der geradezu unwirklichen, obskuren Produktion von Stephen Lockhart (Svartidauði, Carpe Noctem), die den Tracks genau das richtige Maß an Unschärfe verleiht, ohne dabei jedoch in den Dilettantismus abzurutschen, ist es Soroka gelungen, ein im wahrsten Sinne des Wortes monströses Klangbild zu malen. H.P. Lovecraft wäre stolz.

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Wertung: 8.5 / 10

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