Review Transmission – Id, Ego And Superego

Manchmal verpasst man tolle oder sogar geniale Alben, nur weil die Band oder die zuständige Plattenfirma nicht genügend Promotion betreibt oder betreiben kann – oder man lässt ein Album im Laden stehen, weil man sich denkt: Sowas habe ich schon, ich brauche nicht noch eine CD mit der gleichen Musik. Oberflächlich betrachtet mag „Id, Ego And Superego“, das Debütalbum der Progmetaller TRANSMISSION aus Wetzlar, eine solche Scheibe sein. Doch wäre es ein großer Fehler hier „das ist doch nur eine x-beliebige Dream Theater-Kopie“ zu schreien.

Aufmerksam wurde ich auf die Band erst dadurch, dass Saga-Sänger Michael Sadler auf dem Titeltrack Gastvocals beisteuert. Nach kurzem Reinhören im Internet war klar: Um dieses Album komme ich als alter Saga-Fanatic nicht herum. Doch nicht nur Sadlers Gastauftritt ist ein Grund, hier zuzuschlagen. „Id, Ego And Superego“ wurde sicherlich nicht umsonst von einem Sänger wie Michael Sadler veredelt, der seine Stimme bestimmt nicht jeder Amateurband „ausleiht“. Vielmehr liegt hier eindeutig das bisher beste Progmetal-Album aus deutschen Landen im laufenden Jahr vor. Das liegt ganz einfach daran, dass die fünf Jungs wissen, wie man großartige, moderne und abwechslungsreiche Songs schreibt. Ich habe in den letzten Jahren kaum ein Progmetal-Album gehört, dass so abwechslungsreich, hart und gleichzeitig stimmig und tiefgehend ist. Das schönste dabei ist, dass nicht nur die Songs stimmen, sondern auch Sänger Juan Roos eine sehr gute Stimme hat und die Produktion zu überzeugen weiß. Der Gesang kommt im richtigen Moment druckvoll und aggressiv rüber, Juan Roos ist aber auch in der Lage, gefühlvoll und einfühlsam zu singen. Die dichte, trockene, aber dennoch topmoderne Produktion lässt die instrumentalen und gesanglichen Leistungen erst im richtigen Licht erscheinen und veredelt dieses Progmetal-Vorzeigewerk.

Was also gibt es auf dem Album zu entdecken? Allem voran den beinahe 16-minütigen Titeltrack, der wirklich der beste Progmetal-Track ist, den ich seit langer Zeit gehört habe. Lyrisch geht es hier um die Verarbeitung der eigenen Vergangenheit. Der Titel stammt von den Lehren Sigmund Freunds. Nach einem atmosphärischen Synthie-Intro steigt Michael Sadler mit Gänsehaut erregendem Gesang ein, Juan Roos kommt bald dazu. Gemeinsam steigern sich die beiden in einen genial emotional-aufbrausenden Part, dem sich nach vier Minuten ein starker Instrumentalteil mit Keyboardsoli und genialem Riffing anschließt. Bass und Schlagzeug setzen schöne Details und der Sound der Gitarre klingt durch die Bank erstaunlich Saga-mäßig. Bald steigen die beiden Sänger wieder ein und kredenzen dem Hörer erneute Schauer, während sie von treibendem Riffing und symphonischen Keyboards begleitet werden. Nach gut sieben Minuten wechseln wir in einen Akustikgitarrenpart mit ruhigem Gesang, der sich nach zwei Minuten zu einem grandiosen Flamenco entwickelt, wie man ihn von Spock’s Beard und Neal Morse kennt. Dann wird’s wieder heavy und frickelig, aber jederzeit bleibt es enorm stilvoll, atmosphärisch und einfach packend. Nach zwölf Minuten leiten uns Moog-Keyboards und ein elegisches Gitarrensolo in den Finalpart, der die Gesangsmelodie vom Anfang wieder aufgreift und den Song brillant beendet. Allein diese 16 Minuten rechtfertigen die Anschaffung des Albums, denn hier werden nicht verschiedene Parts zusammengeklebt – „Id, Ego And Superego“ ist ein kohärenter, völlig logisch fließender und komponierter Hammersong. Ähnlich genial und vielschichtig wird es nochmals zum Ende des Albums mit dem Quasi-Doppeldecker „Angels Presence/The Darker Days Of Life“ (zusammen fast 13 Minuten). Auch hier gilt: Man muss es gehört haben. Melodie, Stimmung und technische Kabinettstückchen verwachsen zu einem unvergleichlichen Kopf-Kino-Erlebnis, das sich um den Verlust eines guten Freundes dreht. Ich möchte hier wirklich nicht die alten Schubladen aufmachen, aber diese Tracks erreichen wirklich das Niveau, was Dream Theater mit „Learning To Live“ einst hatten.

Zugegebenermaßen hat man damit die stärksten Stücke der Platte (zumindest aus Prog-Sicht) schon gehört, dennoch gibt es noch einiges mehr zu entdecken: Die ungeheure Prog-Power-Metal-Dampfwalze „Make You Believe“ zum Beispiel, die sich mit ihrem Refrain unweigerlich im Ohr des Hörers festsetzen wird. Oder das hypermoderne „Forever Gone“ mit seinen elektronischen Percussion-Elementen, die eine ganz besondere Atmosphäre aufbauen. Mit „One Day“ hat man zudem eine sehr gelungene Ballade am Start, die Gott sei Dank völlig kitschfrei daherkommt.

Ich kann mir nicht helfen, aber so wie TRANSMISSION hat moderner, frischer Progmetal, der seine Wurzeln nicht gänzlich verdeckt, einfach zu klingen. Der Grundsound des Albums ist durch und durch hoffnungsvoll, positiv und warm, aber dennoch aggressiv und für Progverhältnisse erstaunlich heavy. Ruhepausen werden genau zur richtigen Zeit gestreut und moderne Elemente, wie zum Beispiel verzehrte Vocals, kommen nicht künstlich eingefügt rüber, sondern scheinen einfach dazuzugehören. Und so funktionieren die teilweise sogar ein wenig an Nu Metal erinnernden Gitarren zwischen Saga-Riffs, Marillion-Soli und Dream Theater-Highspeedlicks beispielsweise ganz hervorragend, während Drummer Bodo Schamp scheinbar sekündlich zwischen DoubleBass und filigranen Spielereien wechselt. Interessanterweise empfinde ich die beiden eröffnenden Tracks „One Seed“ und „Buried Alive“ als die schlechtesten des Albums, auch wenn sie keineswegs mittelmäßig sind. Mit „Make You Believe“ geht für mich die unbegrenzte Hörfreude los. Ab da heißt es bangen, Luftgitarre spielen, mitsingen, schwelgen und genießen. TRANSMISSION bieten einfach alles, was das Progmetaller-Herz begehrt und schaffen des ganz großen Spagat zwischen Eigenständigkeit und Tradition sowie Instrumental-Action und emotionaler Tiefe. Ganz groß. Notiert euch dieses Album auf eurem Einkaufszettel ganz oben. Ich bin gespannt, was da noch kommen mag!

Übrigens: Keyboarder Stephan Kernbach und Bassist Christian Becker spielen auch bei Chain, der Progmetal-Band vom in der Szene bekannten Henning Pauly, der unter anderem ein Album mit James LaBrie von Dream Theater aufgenommen hat und das vorliegende Debüt auch gemastert hat. Auf dem letzten Chain-Album „Chain.exe“ hat Michael Sadler ebenfalls eine Gesangsrolle übernommen. Während seiner Aufnahmen für Chain.exe kam es zur Zusammenarbeit mit TRANSMISSION. Und die darf gern fortgesetzt werden.

Wertung: 9.5 / 10

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