Klamauk und Kommerz. Oder: Musik als Mittel zum Zweck

Metal? Das ist doch diese Entertainment-Musik mit den witzigen Videos! Zu diesem Schluss könnte zumindest kommen, wer sich auf Basis aktueller Releases und der dazugehörigen Visualisierungen mit der Szene beschäftigt. Denn wenn über die letzten Jahre eine Entwicklung zu beobachten ist, dann diese: Im auf Reichweite ausgelegten Sektor rückt die Musik immer weiter in den Hintergrund – entscheidend scheint einzig ein massentaugliches, „witziges“ Konzept, das sich multimedial ausschlachten lässt.

Diese Entwicklung hin zur „großen Show“ ist natürlich nicht neu – schon seit jeher versuchten sich Metal-Bands etwa live mit Effekten zu übertrumpfen. Aufblasbare Monster, Kampfflugzeuge, Statisten in Kostümen oder massenweise Pyrotechnik: Zumindest der kommerziell erfolgreiche „Mainstream-Metal“ lebt auch von der Show. Die Betonung liegt auf „auch“. Denn ob nun Iron Maiden, Motörhead oder Rammstein – diese Bands sind (waren) in erster Linie Musiker – Künstler, die mit ihren Songs begeistern wollten – und in zweiter Linie Entertainer. Und Musikvideos waren (gerne auch mal klamaukige) Mittel zum Zweck: um ein Album zu promoten.

© Christoph Emmrich / Metal1.info

Belanglosigkeiten in Bewegtbild

Genau dieses Verhältnis scheint sich zu drehen: Musikalisch immer belanglosere Bands werden von Labels mit mutmaßlich stattlichen Videobudgets überschüttet, um mit spektakulären YouTube-Videos ihren Bekanntheitsgrad zu boosten. Aber die Bekanntheit von was eigentlich? Der Musik, oder bloß noch der Band als Marke? Schaut man sich die Projekte im Detail an, muss man wohl sagen: letzteres. Im Mittelpunkt steht hier längst nicht mehr die meist recht austauschbare Musik, sondern ein „witziges Konzept“, das live und in Videos mit Kostümen oder Gimmicks zur Schau gestellt werden kann. Die Musik – ja, selbst das Genre scheint dabei mittlerweile nebensächlich.

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Beispiele gefällig? Da wären etwa EQUILIBRIUM, die längst von der ernsthaften Pagan-Metal-Band in den Party-Rock abgedriftet sind und, wenn nicht gerade klamaukig übers Saufen („Wirtshaus Gaudi“) schon auch mal über Videospiele texten („Die Affeninsel“). ALESTORM, die schon als Party-Pagan gestartet waren und mittlerweile komplett im leeren Raum zwischen Gaudi, Selbstironie und Dadaismus schweben („Big Ship Little Ship“). FEUERSCHWANZ, die ebenfalls seit jeher als Fun-Band unterwegs waren, jetzt aber auch mit einem Trash-Pop-Cover-Album niemanden mehr schockieren können. NEKROGOBLIKON, die als – surprise, surprise – Goblins verkleidet Metal machen. Und über die am Ende ja doch für leicht zu erheiternde Erwachsene gemachte „Kinder-Metal-Band“ HEAVYSAURUS („Rarrr“) wollen wir lieber schweigen.

Nicht schweigen hingegen sollte man über SABATON und STEEL PANTHER – zwei gar nicht so ungleiche Vorreiter dieser Entwicklung. Während der Erfolg von ersteren auf Party mit Panzern basiert, war auch beim karnevalesken Glam-Metal-Revival vor allem auf Festivals der Partyaspekt von Anfang an der größere Publikumsmagnet als die Musik. Der pompöse, vor allem aber leicht zu konsumierende Sound dazu ist ebenso wenig Zufall wie der Erfolg dieser Strategie.

© Christoph Ilius / Metal1.info

Das Auge hört (mit)

Denn über alle Lebensbereiche – und daher eben auch im Metal – ist seit Jahren schon der Trend zum auf YouTube (und damit: als Video) konsumierten Entertainment zu beobachten: So erlebt das Musikvideo derzeit ein Revival, das nach dem Ende des Musikfernsehens wohl niemand mehr erwartet hätte: Aufgrund der Kosten und des geringen Promo-Nutzens in der Versenkung verschwunden und somit fast wieder von „echten“ Künstlern vereinnahmt, gibt es heute kaum noch ein Major- oder auch Independent-Label-Release, das nicht mit mindestens einem Clip gefeaturt wird – sei es ein Lyric-Video, ein animiertes Video, ein animiertes Lyric-Video oder eben ein mehr oder weniger klassisches Musikvideo. Und die werden immer spektakulärer – sodass man bisweilen den Eindruck gewinnt, der Song sei nur noch Mittel zum Zweck. Dass in diesem Spiel schlussendlich diejenigen Bands am meisten Beachtung finden, die dem Auge am meisten bieten, überrascht wenig.

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Kein Wunder, dass die Konzepte und Outfits von Bands also immer schriller werden und den Eindruck vermitteln, dass an der Optik und Vermarktbarkeit länger getüftelt wurde als am Debüt-Album: WIZARDTHRONE, eine „Supergroup“ aus Mitgliedern von ALESTORM, NEKROGOBLIKON und GLORYHAMMER ist hier nur der neueste Auswuchs. „After countless eons shrouded in secrecy, the elder council of WIZARDTHRONE has been summoned forth from the stellar void in the great blight of 2020, replete with astonishing marvels to horrify and enthrall all who might encounter their majesty. Drawing influence from the greatest extreme metal bands of years past, WIZARDTHRONE shall be imminently unleashing their initiatory incantation upon the world.“ So liest sich der promomäßig sauber gedrechselte Gründungsmythos der Band, die als Zauberer in Prinzessinnen-Rosa in Erscheinung treten und vermutlich weniger gegründet wurden, weil Christopher Bowes noch eine weitere musikalische Vision ausleben wollte, als vielmehr, weil die Welt der Zauberer im Metal optisch eben noch nicht restlos ausgeschlachtet ist.

© Wizardthrone / Napalm Records

Doch spätestens wenn Musik mehr fürs Auge als für die Ohren gemacht wird, läuft etwas grundsätzlich falsch. Hier sollten die Hörer (wer auch sonst?) einhaken – und vielleicht öfter kritisch hinterfragen, was sie warum aktuell „abfeiern“ und was ihnen von Major- oder selbsterklärten Independent-Labels vorgesetzt wird, um am Ende nicht bloß musikalisch abgestumpft einer groß angelegten Promotion-Maschinerie auf den Leim zu gehen.

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