Interview mit Tim Hackemack zum Buch „Hit The Stage“

Mitten in der Pandemie veröffentlicht der Autor und Konzertfotograf Tim Hackemack mit „Hit The Stage“ ein Interview-Fotobuch über Livekultur und die Punk-/Hardcore-Szene. Ob das jetzt genial oder daneben ist, nach welchen Kriterien er seine Gesprächspartner ausgewählt hat und worauf er seine Hoffnungen für die Zukunft der Live-Branche setzt, verrät Tim Hackemack im Interview.

Hallo und danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Alles gut bei dir?
Meiner Familie und mir geht es gut. Wir haben das Jahr ohne Verluste überstanden und sind dafür sehr dankbar.

Du schreibst im Vorwort von „Hit The Stage“, dass die Pandemie auch die Arbeiten an dem Buch de facto beendet hat. Ist ein Konzertbuch in der aktuellen Zeit genau richtig, oder eigentlich doch irgendwie fehl am Platz?
Das muss jeder für sich entscheiden. Für mich ist es eine Erinnerung an das, was wir hatten und was ich wiederhaben möchte. Je nachdem wie lange diese Pandemie noch andauert, werden wir viel Kraft brauchen, um die Infrastruktur aufzubauen, die wir vorher hatten. Viele Clubs wird es nicht mehr geben, viele Mitarbeiter der Kulturbranche werden sich andere Jobs gesucht haben und viele Bands werden sich aufgelöst haben. Wir müssen also gemeinsam wieder was lostreten und mal etwas der vielbesungenen Solidarität zeigen. Ich bin aber durchaus hoffnungsvoll, dass uns das zu einem guten Teil gelingen wird.
Was die Arbeit an „Hit The Stage“ angeht, sage ich es mal so: Hätten meine Layouterin und die Lektorin mir nicht immer wieder in den Arsch getreten, wäre das Buch wohl noch lange nicht erschienen. Sie haben mir viel Herzblut an diesem Projekt gearbeitet und das hat mich dann gepusht. Ich bin ihnen dafür sehr dankbar.

In dem Buch portraitierst du 30 Musiker und Mitwirkende aus dem Punk-/Hardcore-Sektor, aus dem du ja auch kommst, jeweils mit Live-Fotos und einem Interview. Nach welchen Kriterien hast du die Bands ausgesucht – und andere Bands wie The Exploited, The Adicts, Wizo oder die Terrorgruppe außen vor gelassen?
Es gab keine richtigen Kriterien. Wichtig war nur, dass mir ihr Auftritt gefiel. Im Endeffekt sind es alles Bands, die ich auch privat gerne höre und die mir sympathisch sind. Es gab noch viel mehr Bands auf meiner Wunschliste, aber mir gefällt die Bandauswahl sehr gut.

© Tim Hackemack

Dafür sind Slime mit von der Partie – ist das nicht ziemlich „Kommerz“?
Das ist wohl die ewige „Slime-Frage“. Ich diskutiere das Thema ja auch mit Elf im Buch. Slime werden wohl von vielen Personen als so heilig angesehen, dass jegliche Abweichung von dem gewünschten Ideal eine Welle der Empörung mit sich bringt. Die Frage ist ja immer, wie man Kommerz definiert. Geht es darum, dass man seine Tonträger und T-Shirts nicht nur verschenkt? Wo fängt denn Kommerz an? Slime haben einen verdammten Riesenhaufen an geilen Songs geschrieben und als ich sie das letzte Mal gesehen habe, haben sie die beste Show gespielt, die ich von ihnen je gesehen habe. Warum sollten sie nicht auch Geld mit der Musik verdienen? Niemand wird gezwungen, zu ihren Shows zu gehen – und wenn ich mir die Ticketpreise der letzten Jahre anschaue, waren sie da auch noch in einem vernünftigen Rahmen. Da gibt es einige Bands in meinem Buch, die mehr Geld verlangen, aber auch das finde ich okay. Viele Leute scheinen zu vergessen, dass das Publikum durchaus bei diesen Dingen mitentscheiden kann. Ich habe persönlich eine Obergrenze, was Tickets für mich kosten dürfen. Sind die Karten teurer, gehe ich nicht hin. Würden das alle so machen und die Bands weiter die Preise erhöhen, wären die Hallen irgendwann leer und man müsste umdenken.

Hast du gezielt für das Buch einen Grundstock an Fragen zusammengestellt oder kam dir die Buchidee über die bereits geführten Interviews?
Ich bereits mich nur wenig auf Interviews vor. Es unterbricht komplett den Gesprächsfluss, wenn man einfach nur Fragen abliest. Die Buchidee stand lange vor den Interviews, aber ich wollte auch nicht 34 monothematische Dialoge führen. Wenn das Gespräch in eine andere Richtung ging, war das okay.

Manche spannenden Fragen, wie etwa die nach dem Wichtigsten, wenn die Show gespielt ist, stellst du nur sehr selten – dafür verlieren manche Interviews etwas das Live-Business aus dem Fokus und drehen sich dann etwa um die Anzahl der veröffentlichten CDs oder den Einfluss von Labels auf die Musik. Sollte das so sein?
Das hat sich einfach so ergeben und für mich fehlen da auch keine Infos. Ich kann aber verstehen, was du meinst. Es ist immer die Frage, welche Erwartungen man an ein Buch stellt.

Gerade das Interview mit Agnostic Front oder eben Ditte Wahl fallen da auf: Kam da etwas der Fan in dir durch, der dich verleitet hat, auch abseits des Konzertthemas zu fragen?
Das finde ich spannend. Bis jetzt ist es mir gar nicht aufgefallen, dass die Interviews herausstechen. Das sind die interessanten Aspekte, die erst bemerkt werden, wenn es zu spät ist. (lacht) Grundsätzlich finde ich die Interviews aber beide interessant.
Es ist immer cool, wenn legendäre Bands bei deinem Projekt mitmachen. Trotzdem gehe ich an solche Gespräche nicht anders heran als an jedes andere. Wichtig ist mir da – wie bereits erwähnt – dass das Ganze ergebnisoffen läuft. Ich will die Antworten nicht schon vorher erraten können und ich will das Gespräch durch meine Fragen auch nicht einfach in eine bestimmte Ecke drängen. Ich kenne Agnostic Front und Dritte Wahl schon etwas länger. Es kann natürlich sein, dass sich einige Fragen für mich nicht mehr ergaben, da sie für mich schon lange öffentlich beantwortet waren.

Blöde Frage: Warum hast du nie dazugeschrieben, wer dein Gesprächspartner war? Man findet es schon beim Lesen meist heraus, aber das hätte den Einstieg in so manches Interview etwas erleichtert …
Ich habe es anders eingeschätzt, muss dir jetzt im Nachhinein aber zustimmen, dass diese Info es der Leser*in leichter gemacht hätte. In einer möglichen zweiten Auflage werde ich das ändern.

Besonders spannend sind meiner Ansicht nach die Interviews mit den Leuten, die hinter der Bühne arbeiten – wo hast du da die „richtigen“ Kandidaten gefunden?
Das sind alles Menschen, die ich auf Konzerten kennengelernt habe. Von den meisten hatte ich die Telefonnummer bereits im Handy, bevor die Arbeit am Buch begann. Ich organisiere ja auch selber Konzerte und finde, man muss immer wieder betonen, dass die Bands ohne Stagehands, Tour-Manager*innen, Veranstalter*innen, Mercher*innen, Fahrer*innen und all den anderen tüchtigen Mitarbeiter*innen der Kulturbranche nicht auf Tour gehen könnten.

Welcher deiner Interviewpartner für dieses Buch hat dich persönlich am meisten beeindruckt – und warum?
Es gab da weniger einzelne Personen. Es waren eher die Situationen, in denen ich gemerkt habe, dass die Bands ehrlich zu mir waren. Wenn Roger Miret [Agnostic Front – A. d. Red.] mir erzählt, dass er nicht gerne auf Tour geht, weil er seinen Kindern dann keinen Gute-Nacht-Kuss geben kann, ist das eine bemerkenswerte Antwort. Ich bin mir sicher, dass viele Musiker das nicht zugeben würden, weil es an ihrem Harter-Typ-Image Zweifel sät. Alle Gesprächspartner*innen waren aber interessante Charaktere.

© Tim Hackemack

Wenn du die Quintessenz des Buchs in einem Satz niederschreiben müsstest – wie würde der lauten?
Guckt euch an, was es für großartige Bands auf der Welt gibt – und lasst uns dafür kämpfen, dass uns diese Freiheit nicht verloren geht!

Für viele der Bands dürfte die Pandemie das Leben auf den Kopf gestellt haben. Hattest du mit dem einen oder anderen seitdem nochmal Kontakt?
Eigentlich mit allen und die Frustration ist verständlicherweise groß. Ich habe aber trotzdem das Gefühl, dass man sich weiterhin gegenseitig unterstützen will und nicht jeder nur versucht, für sich selbst zu kämpfen. Alle Bands, die auf den Special-Edition-Covers sind, hätten das Geld auch behalten können, haben aber allesamt direkt entschieden, es zu spenden. Das finde ich beachtlich und lässt mich etwas positiver in die Zukunft schauen.

Was muss passieren, damit Subkulturen wie die Livekultur-Szene einigermaßen unbeschadet durch die Krise kommen?
Unbeschadet werden wir da nicht durchkommen. Kneipen, Konzertsäle, Booker und Veranstalter werden mit der Zeit aufgeben. Mein Tipp an alle ist, das zu unterstützen, was ihnen wichtig ist – sofern es möglich ist. Es leidet ja nicht nur die Kulturbranche, auch viele andere sind in Kurzarbeit oder haben ihren Job verloren. Machen wir es wie im Flugzeug: Erst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen und sich dann um die andern kümmern. Mehr können wir gerade nicht tun. Wenn all das irgendwann vorbei ist, brauchen wir alle noch eine Menge Kraft, um die Infrastruktur wieder aufzubauen, die uns bisher all diese tollen Konzerte beschert hat. Bleiben wir also dran. 

© Tim Hackemack

Du warst mit dem Buch natürlich schon extrem weit – aber wäre es nicht reizvoll gewesen, statt eines reinen Konzertbuchs die Musiker nochmal zu den Folgen der Pandemie zu befragen? Oder wird das dein nächstes Projekt?
Nein, Corona verdient kein Buch. Lasst es uns besiegen und dann kollektiv aus unserem Gedächtnis streichen. Bis unsere Enkelkinder dann irgendwann fragen, warum die Geschichtsbücher von 2019 direkt ins Jahr 2022 springen, haben wir uns schon lange eine Ausrede ausgedacht.

Vielen Dank für das Interview. Zum Abschluss unser traditionelles Brainstorming – was kommt dir zu folgenden Begriffen als erstes in den Sinn?
Dein nächstes Buchprojekt:
Vielleicht was mit Mofa-Clubs. Mal sehen …
Skatepunk: Ist ganz nett, aber tanzen werde ich dazu nicht.
Ramones-Shirts bei H&M: Ich bin zu alt um mich darüber zu ärgern.
Die letzte echte Punkband: … sind und bleiben die U.K. Subs.
Klaus Farin: Er ist der streitbare, nicht mehr so junge Jugendforscher und mein Verlagschef.
Dein Lieblingsalbum 2020: Dirt Royal – Great Expectations

Danke nochmals für deine Zeit und Antworten. Die letzten Worte gehören dir:
Vielen Dank für das Interesse. Ansonsten halte ich es mit Emscherkurve77: Keine Freunde, keine Grüße!

>> Mehr Fotos von aus „Hit The Stage“ gibt es
in unserer Galerie zum Buch!

© Tim Hackemack

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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