Review Tim Hackemack – Yesterday’s Kids

Tim Hackemack, Jahrgang 1979, ist im ländlichen Westfalen aufgewachsen. Nach dem Abitur machte er seinen Magister in Anglistik und Germanistik in Düsseldorf, mittlerweile ist er freischaffender Fotograf und Journalist. Entscheidend ist jedoch die Zeit zwischen den Lebenslauf-Eckpunkten, die Jugend in der Musikszene, die Phase einer Subkultur: Hackemack verdingte sich als Konzertveranstalter, schrieb und fotografierte für Fanzines und veröffentlichte mit verschiedenen Bands fünf Alben. Sein Steckenpferd: Punk Rock.

Irgendwann mag Hackemack dabei ein Gedanke gekommen sein: Dass Punk eigentlich gar keine Phase ist. Und auch keine Jugendkultur. Zumindest ist das der wohl zentrale Gedanke hinter „Yesterday’s Kids“, einem so ambitionierten wie liebevoll aufgezogenen Projekt: Selbst Szenegänger, selbst Fotograf, machte sich Hackemack 2012 zum Ziel, Punker zu portraitieren – und zwar solche, die die 40 überschritten haben und somit der lebende Gegenbeweis zur „Jugendkultur-These“ sind. 77 sind es am Ende geworden, vielleicht, weil 1977 in England alles begann, vielleicht, weil es sich so ergeben hat.

Hackemack bedient sich dabei der kurzweiligen Kombination aus Interview und Fotoportrait: Über die Einstiegsfrage „Wann und wie bist du zum Punk gekommen?“ hangelt sich Hackemack in die Vergangenheit seiner Protagonisten, die zwar längst nicht mehr alle mit Nietenjacke und Irokesenschnitt herumlaufen, ihre Ideale von früher aber im Großen und Ganzen beibehalten haben. Auf Fotos von früher verzichtet Hackemack hingegen: Bisweilen lassen nur der Text oder der von den Portraitierten selbstgewählte Ort für das Fotoshooting ihren Punk-Background erahnen – anderen wiederum steht ihr Lebenswandel auch heute noch ins Gesicht geschrieben. Sei es in Form von Tattoos oder von vom Leben gezeichneten Gesichtern.

Gerade diese Vielfalt macht den Reiz von „Yesterday’s Kids“ aus: So mischen sich unter die größtenteils völlig unbekannten Altpunks auch ganz unauffällig einige Szenegrößen – Karl Nagel etwa, Mit-„Organisator“ der Chaostage und ehemaliger Kanzlerkandidat der Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD), oder Erich Zanger, Mitbegründer ebenjener Spaßpartei sowie der Szene-Biermarke Pogorausch. Wiewohl ein Buch wie „Yesterday’s Kids“ all diesen Personen die perfekte Bühne für die „rosarote Rückblickbrille“ und große Jugendverklärung böte, fallen die Portraits kritisch, witzig und alles in allem sehr bodenständig aus: „Was soll ich groß sagen, Punk ist halt da, wie ein Körperteil“ konstatiert etwa Oli, der nicht nur seiner Tattoos wegen auch heute noch unverkennbar als Szenegänger zu identifizieren ist.

Vier Jahre hat Tim Hackemack an dem Projekt gearbeitet, neben seinem Job, seiner Familie und seiner eigenen Band, und dabei über 15.000 km zurückgelegt. Das Resultat ist alle Mühen wert: „Yesterday’s Kids“ ist eine gelungene Hommage an eine Szene, die oft kritisch und selten selbstkritisch beleuchtet wird – aus gebührender Distanz und zugleich quasi auf Tuchfühlung mit ihren Wegbereitern. Vor allem aber aus einer spannenden Perspektive: dem Blick zurück auf eine lange vergangene Jugend, die trotzdem nicht verschwendet war. Denn ob Nadelstreifen oder Nietenweste – ein bisschen Punk steckt auch heute noch in jedem der 77 „Yesterday’s Kids“.

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