Interview mit Jonas Åkerlund von Lords Of Chaos

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Schon das Buch „Lords Of Chaos“ von 1996 über die Anfänge des Black Metal war seinerzeit umstritten. Die Idee, über die Thematik einen erfolgreichen und zugleich in der Szene akzeptierten Spielfilm zu drehen, wirkt da naiv bis vermessen. Wäre der Mann, der diese verwegene Idee nun in die Tat umgesetzt hat, nicht Jonas Åkerlund – Musikvideo-Regisseur und als solcher dreifacher Grammy-Gewinner, Werbefilmer und – last but not least – Gründungsmitglied der Szene-Legende Bathory. Im Interview erläutert der gebürtige Schwede seine Sicht auf die Eskalation der Situation in den frühen 90er-Jahren, wer ihm bei dem Filmprojekt wichtig war und warum ausgerechnet Protagonist Varg Vikernes nicht dazu gehört.

„Lords Of Chaos“ spielt zwar in Norwegen, gedreht wurde der Film aber in Budapest – warum?
Weil es billiger ist als in Oslo. Ich wollte ihn eigentlich in Norwegen machen, aber es ist sehr teuer, dort zu drehen – also sind wir schlussendlich in Budapest gelandet.

Warst du trotzdem mit dem Set zufrieden?  
Nun, wir mussten einiges ändern, damit es nach Norwegen aussieht, aber das hat auch damit zu tun, dass der Film in den späten 80er-, frühen 90er-Jahren spielt. Schon deswegen mussten wir viele Sachen wie Autos, Straßennamen und vieles andere ändern. Aber es wurden auch Kulissen gebaut – wir haben also schon versucht, es so gut es geht nach Norwegen aussehen zu lassen.

„Technisch betrachtet haben wir im Film zwei Kirchen abgefackelt“

Wie viele Stabkirchen musstet ihr bauen, um sie niederzubrennen?
Technisch betrachtet haben wir im Film zwei Kirchen abgefackelt. Eine davon war eine Kirche, die wir von einem anderen Film gekauft haben. Die war eingelagert, und wir haben sie neu gestrichen und so verändert, dass sie dann anders aussah. Aber es war eben nur eine Fake-Kirche, eine Filmkulisse. Die zweite Kirche, die wir niedergebrannt haben, war sogar nur eine Fassade, von der gab es nur die Front. Die Innenansicht wurde tatsächlich in Norwegen gedreht; dort hatten wir auch zwei Drehtage.

Persönlich hast du in deiner Karriere vornehmlich Musikvideos gedreht. Hat das deine Herangehensweise an den Film beeinflusst?
Nicht wirklich. Vielleicht ein bisschen, weil ich selbstverständlich meine Art habe, meine Geschichten zu erzählen. Die kommt aber tatsächlich weniger von den Musikvideos, sondern eher von den Werbefilmen, die ich mache. Wenn du einen Werbeclip machst, hast du nur sehr wenig Zeit, um Eindruck zu schinden: Du hast 30 Sekunden, um eine große Story zu erzählen. Ich habe früh gelernt, beim Erzählen meiner Geschichten sehr bildlich und direkt vorzugehen. Ich mache viele Makro-Close-Ups, Aufnahmen in der Totalen, nutze viele Soundeffekte und all so etwas. Das mache ich in meinen Filmen natürlich auch. Insofern, ja, doch, ein wenig.

Haben dir auch deine Black-Metal-Wurzeln mit „Lords Of Chaos“ geholfen?
Ja und nein, würde ich sagen. Die Wahrheit ist, dass es in diesem Film für mich nicht wirklich um Black Metal, nicht wirklich um Mayhem geht. Es ist kein Musikfilm. Es geht eigentlich viel mehr um die Beziehung zwischen diesen kleinen Jungs. Aber natürlich finden sich darin Szenen – etwa wenn sie ihre Instrumente spielen, wenn sie ihr Konzert geben und all das – bei denen ich im Grunde genommen auf typische Musikvideotricks zurückgegriffen habe, damit es gut aussieht. Natürlich ist da Zeug in diese Richtung drin. Der erste Teil des Films, wenn sie die Band gründen, ihre Haare färben, versuchen, ihren Sound zu finden, unangenehm mit Mädchen umgehen, die Party, die sie schmeißen … all das Zeug am Anfang des Films ist sehr ähnlich zu meiner Geschichte, der Zeit, als wir meine Band gründeten, als wir versuchten, unseren Kram auf die Reihe zu bekommen. Allerdings habe ich nie Kirchen angezündet und auch all das andere nie getan, was sie getan haben, insofern …

Warst du Anfang der 90er-Jahre, als sie all das gemacht haben, noch Teil der Black-Metal-Szene? Wie viel hast du damals davon mitbekommen?
Meine aktive Zeit in der Szene war zwar etwas früher, aber ich habe den Black Metal immer verfolgt, habe auch weiterhin immer diese Musik gehört. Insofern habe ich auch diese ganzen Begebenheiten mit verfolgt, wie jeder andere auch: Wir haben es im Fernsehen gesehen, haben all die Gerüchte gehört. Als Pelle [Per Yngve Ohlin aka. Dead, A. d. Red.] Selbstmord begangen hat, haben wir das alle mitbekommen. Er war auch Schwede, er war ein Freund von uns, man kannte sich. Insofern: Ja, ich war noch dabei, ich habe davon gehört und wusste davon, als es passierte.

Haben dich diese Geschehnisse damals irgendwie beeinflusst?
Ich denke schon. Ich denke, es hat viele von uns beeinflusst. Diese Geschichte war für viele Leute etwas Besonderes. Anfangs ging es mir da ganz ähnlich: Ich dachte, dass diese Geschichte einmalig ist, ich hatte das Gefühl der persönlichen Verbundenheit zu der Story. Es fühlte sich fast an, als wäre es meine eigene Geschichte. Wenn jemand anderes darüber gesprochen hat, war ich ein bisschen beleidigt, weil ich dachte, dass es meine Geschichte ist. Vielen Leuten geht es so – sogar Leute, die damals nicht dabei waren, halten die Geschichte für super wichtig für sich, fühlen sich damit sehr verbunden und haben eine Meinung dazu. Aber dann, später, habe ich erkannt, dass es zwar eine sehr traurige Geschichte ist, aber eben auch eine Geschichte, die wir alle schon viele Male vorher gesehen und gehört haben. So etwas passiert die ganze Zeit, jeden Tag! Jeden Tag tun irgendwo auf der Welt ein paar junge Teenager dumme Dinge. Dahingehend ist die Geschichte wirklich nicht einzigartig. Aber auf eine fast bizarre Art fühlen sich viele Leute dieser Geschichte verbunden und fühlen sich von ihr beeinflusst.

„Ich habe den Film nicht gemacht,
um der Black-Metal-Community zu schmeicheln“

Das Buch „Lords Of Chaos“ ist 1998 erschienen. Wann hast du es zum ersten Mal gelesen – und wann und wie kam dir die Idee zu dem Film?
Ich hatte die Idee tatsächlich schon bevor das Buch erschienen ist. Ich war in Los Angeles und habe dort an irgendwas gearbeitet, als ich in den amerikanischen Nachrichten auf CNN von den Kirchenbränden gehört habe. Und ich dachte mir: Das ist interessant. Das ist speziell. Ich meine, klar, es hat noch viele Jahre gedauert, ehe ich mich dazu entschieden habe, diesen Film zu machen – aber es ist mir quasi schon lange im Kopf herumgegeistert. Das Buch hat mir mein Bruder zu Weihnachten geschenkt, als es herausgekommen ist. Ich habe es damals, 1998, zum ersten und einzigen Mal gelesen.

Seitdem nicht mehr – auch nicht in Vorbereitung auf den Film?
Nein. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich das muss. Ich kenne die Geschichte sehr gut. Meine Recherchen für den Film gingen weit über das Buch hinaus. Dennis [Magnusson, A. d. Red.], mit dem ich das Drehbuch geschrieben habe, und ich haben viel recherchiert, indem wir alle Dokumentationen angeschaut, alle Bücher gelesen haben – es gibt dazu viele Bücher da draußen –, die Polizeiberichte studiert und Leute getroffen haben. Als wir das Drehbuch schrieben, gab es so viele Inspirationsmöglichkeiten – das Buch „Lords Of Chaos“ war nur eine davon.

Wenn der Film gar nicht auf dem Buch basiert, ist es dann nicht irreführend, dass er wie das Buch heißt?
Ich habe nicht gesagt, dass der Film nicht auf dem Buch basiert! Im Vorspann steht, dass der Film von dem Buch „Lords Of Chaos“ inspiriert ist. Der Grund, warum wir die Rechte an „Lords Of Chaos“ gekauft haben, war aber vor allem, alle Namensrechte zu klären – das war eher eine technische Sache. Dann haben wir das Projekt „Lords Of Chaos“ genannt. Ich dachte immer, dass wir den Titel später zu etwas anderem ändern würden, aber wir haben uns irgendwie in den Titel verliebt, dann habe ich dieses Logo entworfen, das ich wirklich mochte, und bevor wir es wirklich merkten, war es genau der Titel, den wir wollten. Wir haben zwar mehrmals darüber gesprochen, den Titel zu ändern, aber er ist geblieben.

Wie bist du an das Projekt herangegangen – wolltest du einen Film machen, der den Black-Metal-Fans die Geschichte ihres Genres aufzeigt, oder einen Film, der Leuten, die mit dem Genre nicht vertraut sind, die Welt des Black Metal näher bringt?
Ich denke eigentlich beides. Ich habe den Film nicht gemacht, um der Black-Metal-Community zu schmeicheln. Aber ich weiß, dass es viele Leute gibt, die sich für die Geschichte interessieren, also wollte ich die Zustimmung der Metal-Szene haben. Aber ich habe diesen Film auch für die vielen Leute gemacht, die diese Geschichte noch nicht kennen – junge Leute etwa, die nicht dabei waren, als es passierte. Ich wollte es dabei ein wenig anders angehen: Wir haben alle Dokumentationen gesehen, alle Bücher gelesen, alle Geschichten gehört – und sie sind alle irgendwie gleich. Sie zeigen die Dunkelheit der Geschichte, die Bösartigkeit darin. Die Charaktere werden fast wie Dämonen dargestellt, wie böse Menschen. Meine Meinung ist, dass das sehr, sehr kleine Jungen waren, die aus guten Familien kamen. Ich habe mir immer gedacht: Hinter dem Corpsepaint, hinter alledem muss ein Mensch stecken, den wir noch nicht gesehen haben. Also war mein Ziel, die Geschichte zu vermenschlichen, diese Kinder zu Menschen zu machen und zu versuchen, die Story aus einer etwas anderen Perspektive zu erzählen.

„Varg hat diese Geschichten öfter erzählt als jeder andere – aber
jedes Mal klingen sie anders“

Hat es dich unter Druck gesetzt, dass die Die-Hard-Black-Metal-Fans schon alle Details „deiner“ Geschichte so gut kennen, und dass in jeder Szene mit Adleraugen nach Fehlern gesucht werden wird?
Nein, kein Druck. Übrigens: Es gibt da draußen viele „Black-Metal-Professoren“, aber die meisten von ihnen wissen gar nicht, worüber sie da eigentlich sprechen. Und ich denke, ich bin einer von ihnen. Ich glaube auch, Bescheid zu wissen und es besser als jeder andere zu wissen. Und es gibt so viele Leute, die denken, dass sie es besser wissen, als jeder andere. Aber die Wahrheit ist: Ich glaube nicht, dass es irgendjemand weiß. Ich glaube, dass es noch nicht mal die Leute wissen, die dabei waren …. Es ist lange her und es basiert alles auf Gerüchten. Wir haben Varg [Vikernes] die Geschichten schon so oft erzählen hören, aber jedes Mal, wenn er sie erzählt, klingen sie anders. Die Geschichte hat sich über die Jahre verändert. Aber gleichzeitig wollte ich wirklich einen authentischen Film machen. Ich wollte, dass alles – die Instrumente und die T-Shirts und Poster und Sneaker und Jeans und Frisuren und all das –, dass das korrekt ist. Zu meinem Glück konnten diese Kids sehr gut fotografieren – es war natürlich vor dem Internet und Mobiltelefonen. Aber sie konnten wirklich gut fotografieren und deshalb hatte ich viel Recherchematerial. Deshalb konnte ich es leicht richtig darstellen.

Hattest du während der Vorproduktion Kontakt mit den Personen, die im Film auftauchen, und haben sie dich unterstützt?
Ja mit den meisten. Die Wichtigen waren immer dabei – angefangen mit Euronymous’ Eltern. Es war mir sehr wichtig, sie mit einzubeziehen und sicherzustellen, dass sie wissen, was ich da tue. Sie haben das Drehbuch sehr früh gelesen. Und ich war schon früh mit Necrobutcher und Hellhammer in Kontakt. Das musste ich, weil ich die Rechte an ihrer Musik brauchte. Ich habe versucht, sie mit Respekt zu behandeln – schließlich drehten wir da ihre Geschichte. Aber gleichzeitig war es sehr wichtig für mich, dass es nicht ihr Film wird – es ist mein Film. Es war ein Balanceakt, mit ihnen in Kontakt zu stehen und zu entscheiden, wie viel Einfluss ich ihnen geben wollte. Aber wir sind alle Freunde und es ist alles gut. Es hat deswegen viele Gerüchte gegeben, aber soweit es mich betrifft, stand ich mit allen, die für mich wichtig sind, in Kontakt. Pelles Bruder hat mich sehr unterstützt, Attila hat mich sehr unterstützt, Necrobutcher ist ein Freund und am wichtigsten sind mir eben Euronymous’ Eltern.

Varg ist definitiv keiner der Unterstützer. Lass uns ein Gedankenspiel spielen: Hättest du mit ihm zusammengearbeitet, wenn er zugestimmt hätte, und die Indoktrination dieses Projekts durch diese Person riskiert?
Nein.

Du hast also nie in Betracht gezogen, ihn zu fragen?
Nein. Die Sache mit Varg ist, dass er diese Geschichte öfter erzählt hat als jeder andere. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich ihn das alles noch einmal sagen hören musste. Ich hatte genug Material, um den Film zu machen, weil er die Geschichte so oft erzählt hat.

„Es war etwas schwieriger, Euronymous zu verstehen“

Ich mag die differenzierte Darstellung aller Charaktere: Irgendwie kommen sie alle nicht gut weg, aber man kann sie auf gewisse Weise verstehen – wie hast du diese Charaktere für sich selbst entwickelt, was hat dir geholfen, sich ein Bild davon zu machen, wie sie vielleicht gewesen sein können?
Ich beginne den Film mit den Worten „basierend auf Wahrheit und Lügen“. Offenkundig sind die Figuren echt, wir kennen sie. Aber wir kennen sie nicht wirklich: Wir waren nicht dabei, wir wissen nicht, was ihnen durch den Kopf ging, und der „Lügen“-Teil von „Wahrheit und Lügen“ – bin im Grunde genommen ich, der den Film gemacht hat. So sehr ich auch die tatsächliche Charakterentwicklung auf Basis der realen Personen im wahren Leben nachzeichnen wollte, musste ich sie trotzdem auch zu Filmcharakteren machen. Ich musste sie für den Film ausarbeiten. Das Ergebnis ist somit natürlich eine Mischung aus beidem. Aber alles in allem habe ich das Gefühl, als hätte ich es mit meinen Charakteren ziemlich gut getroffen.

Vor allem Varg ist eine sehr umstrittene Person. Wie schwer war es, für den Film einen Varg zu kreieren, der deinen Bedürfnissen für die Story entspricht?
Weil er für alle so zugänglich ist – er ist sehr stolz auf das, was er getan hat und er erzählt die Geschichte immer und immer wieder – war es nicht so schwer, seine Motivation zu ergründen und was er durchgemacht hat. Er war für mich deswegen wahrscheinlich sogar leichter als Euronymous. Weil der ein wenig geheimnisvoller ist. Die Sache mit Euronymous ist, dass die wenigen Dinge, die er gemacht hat, das Gefühl erwecken, dass er immer eine Rolle spielt, dass er nie er selbst ist. Deswegen war es etwas schwieriger, ihn zu verstehen.

Im Film hat Euronymous’ Freundin Ann-Marit Ähnlichkeiten mit Dead, finde ich. War das der Gedanke hinter dieser Figur, dass Euronymous sich in ein Mädchen verliebt, das aussieht wie der verstorbene, aber nie vergessene Freund?
Oh. (lacht) Das ist ein neuer Ansatz. Darüber habe ich so noch nicht nachgedacht, das ist interessant. Aber nein, das war keine Absicht. Aber es ist eine spannende Idee. Vielleicht – wenn man es so aufschlüsseln will – tauchte Dead in Euronymous’ Leben auf und er änderte sein Leben: Er zwang ihn, Dinge zu tun und an Orte zu gehen, die er davor nie getan oder gesehen hätte. Das Mädchen ist für mich am Ende einer der Trigger für Euronymous, sich persönlich weiterzuentwickeln und ein neues Leben anzufangen. Er tauchte auf und veränderte sein Leben, sie taucht auf und verändert sein Leben – in gewisser Weise gibt es also eine Parallele. Gut gemacht, das habe ich gerne analysiert!

„Um mit diesen Charakteren mitfühlen zu können, müssen wir die schönen Teile,
die lustigen Teile und auch die dunklen Teile gesehen haben“

Viele der Schauspieler sehen ihren Vorbildern wirklich sehr ähnlich – andere weniger. Wie wichtig war dir, in wieweit die Darsteller den realen Personen ähneln?
Wenn man einen Film für ein großes Publikum macht, ist das nicht so wichtig. Die breite Masse weiß nicht, wie diese Jungs damals aussahen. Aber natürlich wollten wir das tatsächliche Aussehen der Charaktere abbilden, denn es ist ein großer Teil von dem, was sie gemacht haben – die Haare, die Lederjacken, die Instrumente, die Stiefel, das Corpsepaint … all das ist so ein großer Teil ihrer Bildsprache und auch ihrer Kreativität. Diese Kinder waren so kreativ! Was sie geschaffen haben, und die Tatsache, dass wir jetzt noch darüber reden! Es gibt nicht so viele Bands, von vor 30 Jahren und von dieser Größe, über die wir noch reden. Aber davon weiß die Welt immer noch. Und es gibt nicht so viele Bands, über die ein Film gedreht wird. Insofern war das für mich natürlich schon sehr wichtig.

Snorre Ruch alias Blackthorn wird im Film nicht namentlich erwähnt, im Abspann ist er nur als „Fahrer“ genannt. Warum?
Ich habe immer versucht, mir über die Dinge im Klaren zu sein. Aber bei ihm und seiner Reise war ich mir nicht sicher: Ich war mir nicht sicher, wie sehr er an der Sache beteiligt war oder nicht. Er hat nie wirklich darüber gesprochen, also war es eine Entscheidung meinerseits in letzter Minute, ihn nicht mit seinem richtigen Namen vorkommen zu lassen, denn ich bin mir nicht sicher, ob das dargestellte das ist, was er durchgemacht hat. Deshalb habe ich das geändert.

Die Darstellung von Selbstmorden ist wegen des sogenannten WertherEffekts, einem Zusammenhang zwischen Nachahmungstaten und expliziten Medienberichten über Selbstmorde, umstritten. Deads Selbstmord könnte expliziter kaum dargestellt werden – warum war dir das trotzdem wichtig?
Nun (überlegt länger) nun … Ich habe vorher gesagt, dass ich wollte, dass alles in diesem Film so authentisch und realitätsnah wie möglich ist. Deswegen wollte ich die drei Mordszenen im Film auch so realistisch wie möglich. Ich habe keinen Grund gesehen, warum nicht. Es waren so ein schreckliche Ereignisse – und der Film handelt von diesen schrecklichen Ereignissen! Ich glaube nicht, dass diese Geschichte so passiert wäre, wenn dieser Selbstmord nicht stattgefunden hätte. Und ich hatte das Gefühl, dass es wichtig ist, das zu zeigen. Ich hatte das Gefühl, dass wir, um am Ende des Films mit diesen Charakteren mitfühlen zu können, die schönen Teile, die lustigen Teile und auch die dunklen Teile gesehen haben müssen. Ich hätte nicht gewusst, wie ich bei irgendeinem dieser Teile einen Kompromiss hätte eingehen können. Das ist meine Antwort. Ich weiß, diese Frage wird immer gestellt, und ich verstehe auch, warum. Aber für mich liegt der Grund dafür, dass der Film auf dich als Betrachter eine Wirkung hat, in all diesen verschiedenen Aspekten: Es ist nicht nur die Gewalt, es ist nicht nur die Musik und es ist nicht nur der emotionale Teil der Story oder was auch immer. Es ist alles zusammen!

Aber aus kommerzieller Sicht könnte diese Szene ein Problem darstellen. Wird der Film vielleicht neu geschnitten, bevor es ins Kino kommt, und wäre das für dich in Ordnung?
Ich hoffe nicht. Das will ich wirklich nicht. Ich will, dass das der Film ist, den die Leute sehen. Es ist mir egal, ob ihn deswegen weniger Leute sehen. Aber ich glaube, es hätte sogar den umgekehrten Effekt: Die Leute werden ihn sehen wollen, weil er echt ist und einen genau das berührt. In dem Moment, in dem man ihn 08/15 macht, in dem Moment, in dem man ihn emotional abschwächt, wird der Film nicht mehr funktionieren. Das ist nicht bei allen Geschichten unbedingt immer so, aber diese spezielle Geschichte muss sich echt anfühlen und diese Elemente haben. Ich denke, das braucht es wirklich – sonst das ganze Projekt sinnlos.

© Peter Beste

„Und auf einmal tötet man seinen besten Freund und ist für immer gefickt“

Die Geschichte des Films ist ja nichts weniger als der Gründungsmythos des Black Metal. Hat die Arbeit an diesem Film dich diesem Gründungsmythos nähergebracht oder ihn „entglorifiziert“?
Definitiv nähergebracht! Ich dachte eigentlich nicht, dass es darüber noch etwas zu lernen, daran noch etwas zu verstehen gibt, als ich das Projekt angegangen bin. Ich dachte, ich wüsste alles. Aber jetzt merke ich, dass man noch so viel darüber in Erfahrung bringen kann. Und dass es noch viel mehr zu erzählen gäbe. Eigentlich würde ich mir wünschen, dass das Ganze eine Fernsehserie geworden wäre, damit ich mehr Zeit hätte, um mehr Geschichten erzählen zu können. Weißt du, ich könnte eine ganze Story über Blackthron erzählen, ich könnte eine ganze Geschichte über die Eltern erzählen, oder über die Polizeiuntersuchung oder die Musik oder die Gerichtsverhandlung. Die Rivalität zwischen Schweden und Norwegen … es gibt so viele weitere Geschichten. Ich meine, Fenriz könnte Thema einer kompletten Episode sein, und Vargs Mutter ebenso. Es gibt so viele Nebengeschichten, dass ich das gar nicht alles in einen Film packen konnte.

Ja, ich war etwas überrascht, dass der Film „nur“ die Mayhem-Geschichte erzählt. An welchem Punkt hast du gemerkt, dass du dich auf diesen Teil der Geschichte konzentrieren musst, und nicht auf Emperor oder Darkthrone oder all diese Bands? Ich meine, Faust kommt zwar im Film vor, aber es wird nicht einmal erwähnt, dass er auch in einer Band spielt …
Als ich die Recherchen für das Drehbuch angestellt habe, habe ich für alle Charaktere einen Hintergrund entwickelt. Es wurde viel mehr Zeit für jeden Charakter aufgewendet, aber dann wurde mir langsam klar, dass der Kern der Geschichte die Beziehung zwischen zunächst Euronymous und Dead und dann Euronymous und Varg ist. Jemand anderes könnte eine andere Geschichte erzählen, wir könnten wahrscheinlich auch einen Film über Necrobutcher machen, oder einen Film über jemand anderen. Aber das ist, was in meinen Fokus gerückt ist: Wie konnte es passieren, dass Menschen aufhören, als Individuen zu denken und anfangen, als Gruppe zu denken, sich gegenseitig zu beeindrucken und wie konnte das dann alles so in die Hose gehen. Was ist der Kern dessen, warum ist das passiert? Und das führt mich wieder zu dem Selbstmord: Ich glaube nicht, dass das Herumspielen mit dunklen Symbolen und das Schreiben dunkler Musik und die Behauptung, dass du Satan verehrst, etwas damit zu tun hat. Aber die Tatsache, dass dieser Selbstmord geschah, die Tatsache, dass Euronymous beschloss, diese Fotos zu machen, anstatt die Polizei zu rufen, änderte alles. Und eh man sichs versieht, ist man völlig immun und das Töten eines Mannes ist keine große Sache. Und auf einmal tötet man seinen besten Freund und ist für immer gefickt. Es ist einfach unglaublich, wie das passiert. Und das Zentrum dieser Geschichte war nicht Darkthrone oder Fenriz und war auch sonst nichts anderes – es waren diese drei Charaktere.

Wilson Gonzalez [Ochsenknecht, Darsteller von Snorre Ruch – A. d. Red.] erzählte bei der „Question & Answer“, dass die gesamte Filmcrew nach den Dreharbeiten bei einem Mayhem-Konzert war. Hat es dir gefallen?
Ich habe Mayhem jedes Jahr gesehen – ich sehe sie ständig. Aber das Timing war unglaublich: Wir haben ziemlich lange an diesem Film gearbeitet, und wie du weißt, haben wir in Budapest angefangen. Dann hatten wir zwei Drehtage in Norwegen, und exakt an dem Tag, an wir fertig waren, haben sie in Oslo gespielt. Das Timing war einfach unglaublich. Die Tatsache, dass wir alle dort waren, war unglaublich. Ich bin sehr gut mit Attila befreundet und wir hatten am Ende eine After-Show-Party in einem Hotelzimmer. Ich glaube, es war sogar das von Wilson, aber da bin ich mir nicht sicher. Aber alle waren da, alle Schauspieler. Es war wirklich lustig, die Schauspieler neben der Band zu sehen: Ich habe ein tolles Bild von Anthony [De La Torre, A. d. Red.], der im Film Hellhammer spielt, als er neben Hellhammer stand. Das war wirklich witzig, sie zusammen zu sehen.

OK, das war meine letzte Frage – vielen Dank für deine  Zeit und Antworten! Das war wirklich spannend!
Großartig! Und danke, dass du dir den Film angesehen und darüber geschrieben hast. Einen schönen Abend noch!

https://www.facebook.com/LordsOfChaosMovie/videos/1874854219290336/

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

4 Kommentare zu “Lords Of Chaos

  1. Die Geschichte , bzw. die Dinge die damals abgelaufen sind, sind irgendwie Teil meiner Jugend. Ich bin 1995 zum BM gekommen, mit 14 Jahren, war das schon eine faszinierende Geschichte, und es ist erstaunlich wie Legendenhaft sie geworden ist. Ich bin jetzt in einem Alter, wo man eine differenziertere Sicht auf die Dinge hat, und die Sache auch nüchterner betrachtet. Damals kannte man das ja nur vom Hörensagen, bis dann viel später die deutsche Ausgabe des Buches im Regal stand. Vieles wusste man aus Fanzines,bzw. Interviews. Das hat natürlich auch zu einer gewissen Mystik beigetragen. Als Jugendlicher ist man da sehr empfänglich. Jetzt interessiert mich auch eher diese zwischenmenschliche Sache. Also auch eine tiefgründigere, philosophische Sichtweise. Hinter jedem Menschen steckt eine Biographie. Ich denke, da wird mich nichts erschüttern. Ich finde es super, dass man sich mal aus einer anderen Perspektive an das Thema gewagt hat.
    Meist besteht das Problem ja darin, das viele in der Szene nicht über den Tellerrand hinaus blicken können und auch nicht wollen. Die BM-Szene war schon immer konservativ, aus Selbstschutz und Elitarismus. Ich kann vielen Leuten auch nicht verdenken, das sie mit der Entmystifizierung nicht klarkommen und das auch nicht wollen. Für sie gehört das ja alles mit zu einem Weltbild, zur eigenen Identifikation. Jetzt kommt da einer, und präsentiert das einer „breiten“ Öffentlichkeit und entzaubert alles. Klar, da hagelt es Kritik. Berechtigt oder unberechtigt kann ich leider noch nicht einschätzen. Ich denke, das man sich da nicht positionieren kann und sollte. Da sollte man eher nicht so egoistisch und mit einem anderen Blick rangehen. Die Sache mit Varg ist natürlich auch etwas heikel. Ich bin überzeugt: wenn er sich nicht dem Nationalsozialismus verschrieben hätte, wäre das wohl auch anders gelaufen. Varg ist Varg. Alle wissen mit wem sie es zu tun haben. Ob wir wollen oder nicht: er war ein wichtiger Bestandteil dieser damals jungen Szene. Ich persönlich kann mit dem Nazidreck nix anfangen, und finde den NSBM in der Szene mehr als bedenklich. Trotzdem möchte ich einige Scheiben von Burzum nicht missen. Sie gehören einfach dazu. Sie aus der Szene verbannen zu wollen, ist auch faschistisches Niveau.

    1. Ich denke, mit der Herangehensweise wirst du Gefallen an dem Film finden. Gerade die etwas andere, nüchterne Sicht der Dinge, der Blick nicht auf die „bösen Monster“, sondern auf die kleinen Jungs, die erst Quatsch machen, der dann aus dem Ruder läuft, dabei aber eben nie den Respekt vor ihrer kreativen/künstlerischen Schöpfung verliert, gibt dem Film etwas, was ich so buslang in keinem Buch bzw. keiner Dokumentation gefunden habe. Aber klar, das ist halt nicht, was jeder in der Szene sehen will.
      Was Varg angeht, halte ich es für das einzig richtige, dass er nicht gefragt wurde, ob er mitmachen will – das allein macht die Geschichte ja nicht weniger authentisch, und das Risiko, dass er das Ganze infiltriert und indoktriniert bzw instrumentalisiert hätte, wäre einfach zu hoch gewesen. Und ja: Man kann nichts dagegen sagen, dass er den BM mit geprägt hat, und meiner persönlichen Ansicht nach kann man das auch hören – man sollte sich halt nur, wenn man Shirts anzieht, Patches aufnäht etc. fragen, ob man damit nur seine Liebe zu den alten Sachen ausdrückt oder – zumindest aus der Sicht des Betrachters – eben den Nazi, der er heute ist, supportet.

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