Festivalbericht: Festival-Mediaval IX – Tag 3

09.09.2016 - 11.09.2016 Selb, Goldberg

Auch am Sonntag zeigt sich der Spätsommer von seiner besten Seite und schenkt den frühen (und meist leicht verkaterten) Besuchern des Nachwuchswettbewerbs in der Kategorie Spielmann warme Temperaturen und einen strahlend blauen Himmel. So warme Temperaturen, dass es nicht nur den Bands auf der Bühne ordentlich einheizt, sondern vor allem auch ihren Instrumenten, die deswegen mehrfach nachgestimmt werden müssen. Das tut der Spielfreude jedoch keinerlei Abbruch: WALDKAUZ liefern einen tollen Auftritt ab und können mit ihrem Stil, der irgendwo zwischen Omnia und Faun anzusiedeln ist, ordentlich punkten. Der stimmige Gesamteindruck, die ätherischen Klänge und sicherlich auch die wunderschöne Harfe locken eine große Menge Tanzwütiger vor die Bühne. Leider können ELEYA FOLK das Publikum trotz sprühender Energie und sympathisch-frecher Frontfrau nicht bei Tanzlaune halten und ernten eher verhaltene Reaktionen. Zwar passt das Frauen-Trio wohl noch am besten zur eigentlichen Wettbewerbs-Kategorie, doch der Funke möchte nicht so recht überspringen. Spätestens beim abgekauten “Drunken Sailor“ ohne Innovation haben sich die Mädels ihren Sieg leider verspielt. Größere Chancen haben schließlich die Jungs von SATYRIAS. Der vielleicht ob der Ähnlichkeit zu Satyricon etwas ungünstig gewählte Bandname ist in diesem Fall hilfreich und lockt sicherlich einige Neugierige mehr vor die Bühne. Mit immer wieder wechselndem Instrumentarium und fetzigen Rhythmen bekommt die Band viele von der durchzechten Nacht Gebeutelte wieder auf die Beine. Am Ende hatten jedoch WALDKAUZ die Nase vorne – und können sich im Selber Jubiläumsjahr 2017 auf einen Auftritt auf einer der Hauptbühnen freuen.

festival mediaval irfan

Fast schon einer Völkerwanderung gleich drängen die geduldigen Zuhörer nach Abgabe des Stimmzettels hinunter zur Burgbühne – IRFAN haben völlig zu Recht einen hervorragenden Ruf, der ihnen bis ins tiefste Bayern vorauseilt. Mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen machen die Bulgaren darauf aufmerksam, dass sie, als Teil des Balkan-Specials des Festivals, die einzige gebuchte Band sind, die tatsächlich aus dem Balkan stammt. Und ob es nun die genregetreue Herkunft oder einfach Talent und Hingabe sind, die IRFAN zu den Meistern ihres Fachs machen: Am Ende bleibt der unvergleichliche Hörgenuss. Während die Band selbst sehr in sich gekehrt, gesammelt und ruhig wirkt, sind die Melodien doch kraftvoll und sehr intensiv vorgetragen. So gibt es viele Zuhörer, die lieber auf der Wiese in der Mittagssonne liegen und mit geschlossenen Augen die Musik genießen, während andere losgelöst tanzen und sich zu den ungewöhnlichen Klängen bewegen. Der Auftritt macht auf jeden Fall neugierig auf das “Balkan Roots” Konzert zusammen mit Omnia, das am Nachmittag auf der Schlossbühne stattfinden wird.

Festival Mediaval Ratatosk

Wie immer um die Mittagszeit ist in Selb unterschiedlichstes Programm geboten. Während die sphärischen Klänge, die Irfan auf die Bühne zauberten, auf der Schlossbühne von den Finnen von RATATOSK weitergeführt werden, die mit unterschiedlichsten Musiker-Charakteren, Stimmen, Sprachen und Instrumenten ein ruhiges, aber abwechslungsreiches Konzert spielen, bieten auch die anderen Schauplätze ein buntes Programm. So kann sich das heidnisch geprägte oder einfach nur neugierige Publikum zur Sonntagsandacht von MARCUS VAN LANGEN begeben, der bei seinem zweiten Solo-Auftritt im Rahmen des Festivals wieder mit schwarzhumorigen Liedern und Sprüchen über die katholische Kirche schmunzeln lässt – und gerne auch Messwein an die Besucher verteilt. Mit KELVIN KALVUS, BASSELTAN und PURPUR gibt es außerdem weitere Auftritte Selb-Erfahrener, die jedes Jahr aufs Neue mit ihrem Programm verzaubern, staunen lassen und zum Lachen anregen. Gegen diese große Auswahl, sowie den knurrenden Magen der Besucher, können RATATOSK leider nur schwer anspielen, und so findet sich dementsprechend nur ein kleines Publikum vor der Schlossbühne wieder.

Festival Mediaval Romengo

Wieder etwas flotter geht es schließlich bei ROMENGO zu. Die Ungarn spielen sehr traditionelle Balkan- und Roma-Melodien, die teils schon von Generation zu Generation weitergegeben wurden, teils auch eigens, wenngleich sehr genregetreu, komponiert sind. Sängerin Monika Lakatos wird nicht nur in ihrem Heimatland als eine der talentiertesten und authentischsten Künstlerinnen ihrer Zunft angesehen. Selbst für das Selber Publikum ist es schwer, einen Zugang zu dieser kaum an die modernen Hörgewohnheiten angepasste Musik zu finden, doch auch hier siegt am Ende die Neugier, und ROMENGO können sich ihr Publikum mit der Zeit tatkräftig erspielen.

Festival Mediaval Omnia

Besonders neugierig macht anschließend das angekündigte Balkan-Roots-Special der Bands OMNIA und IRFAN. OMNIA, die ja bereits am Tag davor eine volle Show gespielt hatten, wollen zusammen mit IRFAN ein ganz besonderes Konzert auf die Beine stellen. So bleibt auch der Großteil des Publikums andächtig vor der Bühne sitzen, als Steve und der Rest der Band auf ihren Stühlen Platz nehmen und Steve mit ruhiger Stimme erwähnt, dass ihm die ruhige Stimmung und das Sitzen irgendwie ganz gut gefallen. Leider hat es sich damit auch schon mit den offensichtlichen Änderungen zur Show vom Vortag. Trotz 20 Jahren Bandbestehen und damit unendlichem Repertoire spielen die Holländer ein fast identisches Set, und nur die Stücke auf dem neuen Album “Prayer”, die sie zusammen mit IRFAN aufgenommen haben, sind neu dabei. Auch der Sound hat sich, trotz der ruhigen Sitz-Atmosphäre, nicht wirklich zu etwas Akustischerem geändert, und das gelegentliche Hinzuziehen der IRFAN-Musiker macht nur einen marginalen Unterschied. Wie immer spielen OMNIA und auch IRFAN technisch hervorragend und sind mit Leib und Seele dabei, doch selbst für die Hardcore-Fans dürfte diese wenig originelle Show ein Rätsel geblieben sein – sind die Voraussetzungen für etwas wirklich Außergewöhnliches bei OMNIA und IRFAN in Kombination doch wirklich mehr als gegeben. So bleibt dieses Konzert zwar ein gutes, aber dennoch weit hinter den hohen Erwartungen zurück.

Festival Mediaval Berlinskibeat

Die vom Sitzen müden Füße kann man schließlich bei BERLINSKI BEAT ausschütteln. Bei fetzigem Balkan-Pop, Polka-Rhythmen und Berliner Schnauze kann selbst der größte Tanzmuffel nicht an sich halten. Dass es sich bei der Berliner Band um ein Zweitprojekt von Corvus Corax handelt, kann man zunächst kaum glauben, wenn man die Multikulti-Musiker mit Hut und Hemd in Feierlaune auf der Bühne stehen sieht. Egal ob “Fräulein, könn’ Sie linksrum tanzen” oder “Damenwahl” oder “Der Mann mit dem Koks ist da”: BERLINSKI BEAT zeigen sich charmant, frech und irgendwie auch urkomisch. Guter Humor kommt eben auch gut an. Nicht mehr so ganz “traditionell Balkan”? Total egal. Das Publikum feiert tanzend und polonaise-hüpfend mit, primär auch jene, die sich mit DIKANDA, ROMENGO und Co. weniger anfreunden konnten. Dudelsack, Trompeten, Electro-Sounds und Berlin passen eben irgendwie doch zusammen.

Festival Mediaval Fiddlers

Den letzten Auftritt des neunten Festival-Mediaval haben schließlich FIDDLER’S GREEN, die mit dem Festival-Mediaval ihre Festival-Saison 2016 beschließen. Von Ruhe sprechen die Wahliren indes nicht, steht mit „Devil’s Dozen“ doch der nächste Longplayer bereits in den Startlöchern und will im Winter ordentlich betourt werden. Auf einen Vorgeschmack muss das Selber Publikum an diesem Abend verzichten, widmen sich die Musiker doch lieber ihrem aktuellen Werk „Winners & Boozers“. „The More The Merrier“ eröffnet den feierlichen Reigen, der lediglich unterbrochen wird, wenn Tobi mit seiner Fiedel etwas Instrumentales zaubert oder Sänger Ralf mit seiner Ballade „Down By The Hillside“ zum Zuhören und Schwelgen einlädt. Die Kombination aus irischer Partymusik, den eben angesprochenen kurzen Intermezzi und einem finalen Ausflug der gesamten Combo ins Publikum lassen das 9. Festival-Mediaval furios ausklingen. So sind es am Ende nach dem Rausschmeißer „Blarney Roses“ keine „Zugabe“-Sprechchöre, sondern ein lautes „Dankeschön“ aus allen Kehlen, die über den Goldberg schallen. Wie man an den Reaktionen der Fiddlers ablesen kann, eine völlig neue Erfahrung für die Band – so überrascht das Mediaval selbst Veteranen mit mehr als 20 Jahren Bühnenerfahrung.

Festival Mediaval Fiddlers

Überrascht werden 2016 wohl die einigen wenigen sein, die zum ersten Mal zum Festival-Mediaval gereist sind. Alle anderen wissen bereits seit Jahren, was der Goldberg an den drei Tagen alles zu bieten hat. Trotz starker Besuchszahlen, besonders am Freitag, ist das Gelände immer noch völlig stressfrei zu erkunden, selbst für Familien mit Kindern. Musikliebhaber kommen dabei ebenso wie Händler und Lagertreibende auf ihre Kosten. Der bunte Mix aus alldem ist es, was dieses Festival seit seinen ersten Tagen auszeichnet. Kaum eine Veranstaltung dieser Größenordnung ist durch eine so ruhige und entspannte Atmosphäre geprägt, die sich wie ein roter Faden vom VIP-Zelt über die großen und kleinen Bühnen bis zum Toilettenpersonal zieht. Zum großen zehnjährigen Jubiläum 2017 werden erstmals IN EXTREMO den Goldberg erobern. Außerdem wird es viele bekannte Gesichter aus den Anfangsjahren erneut am Goldberg zu sehen geben.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Jens Wessel / http://www.medievalphotography.com – dort findet ihr unter anderem die vollständige Galerie zu diesem Festival!

 

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