Konzertbericht: Massive Attack

05.02.2019 München, Zenith

MASSIVE ATTACK haben mit „Mezzanine“ ein Jahrhundertalbum vorgelegt. Selten klangen Synthesizer derart warm und natürlich, selten hat ein Album eine derart angespannte Atmosphäre erzeugt und selten hatte ein Stück Musik einen derart großen Einfluss auf die Popkultur. Dass die Briten nicht nach herkömmlichen Mustern arbeiten, zeigen sie mit einer Jubiläumstour zu ihrem größten Erfolg, die sie dem 21. Geburtstag des 1998 erschienenen Albums widmen: Eine spezielle audiovisuelle Show und die komplette Darbietung von „Mezzanine“ sind angekündigt. Kein Wunder, dass das Zenith in München an diesem nebligen Februarabend restlos ausverkauft ist.

Als würde die Band die oft als katastrophal verschriene Akustik im Zenith veralbern wollen, klingt die Hintergrundmusik vor Konzertbeginn fast unerträglich dumpf aus den Boxen. Dass hier scheinbar für Münchens größte 90er-Pop-Party aufgelegt wird, sorgt neben dem Sound für das erste Stirnrunzeln des Abends. Die Irritation nimmt zu, als zum angekündigten Konzertbeginn um 20 Uhr keine Anzeichen für einen baldigen Beginn zu sehen sind. Eine halbe Stunde später ertönen erste Pfiffe, die stetig zunehmen. Als weitere 15 Minuten später das Licht erlischt und die wattig-dumpf klingende 90’s-Musik verstummt, brandet kurz lauter Jubel auf – es dauert allerdings noch einmal ganze zehn Minuten, bis MASSIVE ATTACK wirklich die Bühne betreten. Ohne Vorband absolut unverständliche und vor allem unnötige Star-Allüren.

Was die nächsten knapp 90 Minuten passiert, ist über weite Teile ebenso unverständlich. Eigentlich sind MASSIVE ATTACK für druckvollen Sound, hochpolitische und durchdachte Videoinstallationen sowie eine beeindruckende Lichtshow bekannt, die die Stimmung ihres Trip Hops perfekt untermalen. Bei der heutigen Show funktioniert von alledem beinahe nichts.

Zwar ist die Abmischung am heutigen Abend für Zenith-Verhältnisse sehr gut – dafür viel zu leise. Druck aus den Boxen wird besonders dann schmerzlich vermisst, wenn das Feedback pfeift und die musikalischen Ausbrüche von MASSIVE ATTACK durch die Halle brechen und Emotionen hervorrufen (könnten). Die Visuals wiederum sind zwar politisch, beschränken sich jedoch auf Klischees und lassen ein klares Konzept gänzlich vermissen. Die einzige Ausnahme bildet hier der gewollt krasse, wenngleich ebenfalls etwas plumpe Kontrast, den das verträumten Pete-Seegers-Cover „Where Have All The Flowers Gone?“ und die dazu eingespielten Videos von Kriegstoten darstellt. Ansonsten gerät das für MASSIVE ATTACK bislang stets elementare und notwendig politische Videoelement gerade im Vergleich zu früheren Touren schockierend platt.

Die angekündigte „Lightshow“ bleibt leider ebenfalls weit hinter den Erwartungen zurück: Zwar ist die Lichtanlage, die MASSIVE ATTACK hinter und über sich aufbauen, schlicht atemberaubend. Genutzt wird sie jedoch äußerst unspektakulär: Während bei den Cover-Songs die Videoleinwände grelle Bilder durch die Halle schicken, beschränken sich MASSIVE ATTACK bei den Songs, um die es heute eigentlich gehen soll, fast aussschließlich auf gedimmtes, monochrom warmweiß-beiges Licht, was gerade in diesem krassen Wechsel nicht funktioniert.

Was in diesem krassen Wechsel leider ebensowenig funktioniert, ist die Musik selbst: Dass MASSIVE ATTACK es für eine gute Idee halten, einige der auf „Mezzanine“ eingesampelten Songs, etwa von The Velvet Underground, The Cure und Ultravox, völlig übergangs- und gefühllos ins Set einzubauen, anstatt das Album am Stück zu spielen, sorgt dafür, dass die Atmosphäre ständig stilistisch extrem gebrochen wird – so denn, für einige kurze Augenblicke unter all diesen Umständen überhaupt mal welche aufkommt.

Dass dieser Abend allerdings sehr wohl das Potenzial gehabt hätte, so großartig zu werden, wie man es von dieser Band früher schon gesehen hat, zeigt sich in einigen wenigen Momenten – etwa bei „Angel“, das tatsächlich kurz eine extrem dichte, düstere Stimmung aufkommen lässt und neben dem auch heute zerbrechlich schönen „Teardrop“ das vielleicht einzige Highlight des Abends darstellt. Ironischerweise sind es genau diese großartigen, von den Fans fast dankbar bejubelten Stücke, die den Abend schlussendlich vernichten: Was vorher noch durchschnittlich war, wirkt im Kontrast zu diesen kurzen Momenten, in denen die Genialität von MASSIVE ATTACK aufblitzt, schlichtweg desolat.

  1. I Found A Reason (The-Velvet-Underground-Cover)
  2. Risingson
  3. Saturday Night (The-Cure-Cover)
  4. Man Next Door
  5. Black Milk
  6. Mezzanine
  7. Bela Lugosi’s Dead (Bauhaus-Cover)
  8. Exchange
  9. See A Man’s Face (Horace-Andy-Cover)
  10. Dissolved Girl
  11. Where Have All The Flowers Gone? (Pete-Seeger-Cover)
  12. Inertia Creeps
  13. Rockwrok (Ultravox-Cover)
  14. Angel
  15. Teardrop
  16. Levels (Avicii-Cover) / Group Four

Nach dem vielleicht ironisch angespielten Avicii-Cover „Levels“ sowie dem abschließenden „Group Four“ beenden MASSIVE ATTACK ihre Geburtstagsshow ohne Zugabe. Zurück bleiben maßlose Enttäuschung, die auf dem Weg zurück in die Stadt in ganzen U-Bahn-Wägen die Stimmung zu drücken vermag, und absolutes Unverständnis für das eben Erlebte: Mit diesem Konzept wird die Ausnahmeband MASSIVE ATTACK nicht nur dem Ausnahmealbum „Mezzanine“, sondern auch – ganz profan – dem Eintrittspreis von immerhin 45€ nicht ansatzweise gerecht.

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