Festivalbericht: Sick Midsummer 2018

14.07.2018 Scharnstein (AT), Bäckerberg

Mehr ein Familientreffen denn ein Festival im Sinne dessen, was die meisten sich unter dem Begriff „Festival“ heutzutage vorstellen, erwartet den Fan nahe dem oberösterreichischen Scharnstein am 14. Juli: Bereits zum neunten Mal lädt der Metal Music Verein Salzkammergut e.V. zum SICK MIDSUMMER auf den Bäckerberg.

Nach einer Wer-sieht-die-“Sick“-Schilder-Schnitzeljagd über Güter- und Feldwege, die sich malerisch durch Wald und Flur winden, findet man sich in der absoluten Metal-Idylle wieder: Eine kleine Wiese bietet Platz für Autos und Zelte, vor einer Scheune wird auf offenem Feuer gekocht, und im Innenhof des Hofes steht die kleine Bühne. Davon, dass am Himmel dunkle Gewitterwolken aufziehen, lässt sich da niemand der um 15:00 Uhr bereits zahlreichen Gäste die Laune verderben.

Das Wetter meint es aber auch gut mit den Gästen des SICK MIDSUMMER: Die Oberösterreicher BEREAVEMENT, die das bereits in guter Zahl vor der Bühne versammelte Publikum zum Auftakt des Festivaltages mit so wuchtigem wie griffigem Death Metal versorgen, eröffnen den Reigen noch bei Nachmittagssonne und beenden ihr Set unter lauem Sommerregen und lautem Applaus von schon gut 100 Zuschauern. Sieht man vom folgenden Regenguss in der Umbaupause ab, lässt der Regengott es dabei bewenden – es folgen sieben Shows unter sonnigem beziehungsweise sternenübersätem Himmel.

Weiter geht es direkt im Anschluss mit den Black-Metallern ASPHAGOR. Seit diese mit ihrem aktuellen, dritten Album „The Cleansing“ ins Herz der Black-Metal-Community getroffen haben, läuft es für die Tiroler. Kein Wunder, funktioniert ihr roher, doch zugleich melodischer Black Metal doch live wie auf Platte überaus gut. Auch heute können sich ASPHAGOR entsprechend über mangelnden Zuspruch nicht beklagen – und das, obwohl es noch lichter Tag ist, also trotz Corpsepaint, Skelett-Mikrofonständer und grimmigen Blicken kein echtes Black-Metal-Ambiente herrscht, und das Festival gerade erst in Fahrt kommt.

Unter dem Sonnenlicht leidet auch die Atmosphäre bei HUMANITAS ERROR EST etwas. Oder anders gesagt: Bei Dunkelheit hätte die Show der Sachsen wohl noch besser funktioniert. Doch auch so ist die Darbietung der Leipziger packend: Gerade die blutüberströmte Fronterin S Caedes (Lebenssucht) weiß als die dominantere von zwei Sängerinnen mit ihrer enormen Bühnenpräsenz, giftigen Blicken und richtiggehend bösartigem Gebahren zu beeindrucken: Da muss der Black Metal der Band musikalisch gar nicht mehr so viel hermachen, um die Zuschauer an die Bühne zu fesseln: HUMANITAS ERROR EST sind definitiv sehenswert!

Im Anschluss wird es zum ersten Mal richtig international: NERVECELL aus den Vereinigten Arabischen Emiraten geben eines ihrer eher raren Gastspiele im deutschsprachigen Raum. Fans von Bands wie Suffocation, Benighted oder Dying Fetus kommen bei den Tech-Deathern aus Dubai voll auf ihre Kosten: Gerade Fronter James Khazaal weiß das Publikum mit seiner entspannten Art zu motivieren: So sieht man hier nicht nur eine rundum gelungene Death-Metal-Show, die der Band gewiss ein paar neue Fans beschert, sondern wie als Beweis dafür auch die ersten (abenteuerlichen) Stage-Dives und sogar einen kleinen Circlepit. Mit Recht: Die Jungs machen live richtig Laune!

Etwas grimmiger geht es bei LVTHN weiter: Die Depressive-Black-Metaller setzen voll auf blutiges Corpsepaint und verzweifelte Schreie, mit denen sie gegen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne angehen. Doch sei es, weil das Publikum des Sick Midsummer eher Death- als Black-Metal bevorzugt, oder weil es mittlerweile beste Zeit für ein Abendessen ist (wahlweise mexikanisches Chili, indisches Dal oder, für die bodenständigeren Besucher: Leberkas): So richtig will die Musik der Belgier, die erst ein Album auf dem Konto haben, aber nicht zünden – so sehr sich das Quintett, deren Namen nach wie vor unbekannt sind, auch bemüht.

Anders ist das bei SINISTER, die um 20:30 Uhr als erster der beiden  Headliner mit 60-Minuten-Set die Bühne betreten. Mit 30 Jahren Bandgeschichte auf dem Buckel müssen sich die Niederländer selbst im letzten Winkel Oberösterreichs niemandem mehr vorstellen – dennoch ist der Innenhof überraschender Weise weniger gut gefüllt als noch bei Nervecell. Musikalisch lässt sich das leider sogar begründen: Während letztere eine absolut tighte Show mit bestem Sound abgeliefert hatten, passt bei SINISTER so einiges nicht so ganz: Der Sound klingt einen Tick zu räudig, die Leadgitarre ist ordentlich verstimmt und außer Ex-Drummer Aad Kloosterwaard, der seit 2005 als Sänger fungiert, wirkt auf der Bühne auch keiner so richtig motiviert.

Das ist bei HELRUNAR anders, schlägt hier allerdings ins gegenteilige Extrem um. Für ein kumpelhaftes Festival wie das Sick Midsummer scheinen sich die Münsteraner etwas zu ernst zu nehmen. Die Einladung eines sichtlich angetrunkenen Fans zum Schnaps kurz vor Showbeginn lehnt Skald Draugir mit den Worten „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ so väterlich-belehren wie typisch deutsch ab. Auch die Ankündigung des Songs „Aschevolk“ als „Song über Identität, ein schwieriges Thema … aber das wisst ihr ja, sonst hätten wir ja nicht diese leidige Diskussion“ lässt die Stirn runzeln. Musikalisch hingegen lassen sich HELRUNAR wenig vorwerfen – zumal das Set mit Songs wie „Raune mit der Tiefe“ vom ersten Demo und Stücken wie „Älter als das Kreuz“ von „Frostnacht“ viel altes Material beinhaltet. Spätestens mit diesem Klassiker haben HELRUNAR die Zuhörer dann auf ihrer Seite, so dass der Refrain gellend aus dem Publikum schallt.

Auf den recht geradlinigen deutschen Pagan-Black-Metal folgt mit DORDEDUH die transsylvanische Interpretation dieses Genres: Das Quartett um Sol Faur und Hupogrammos, ehemals Teil des kreativen Kerns von Negură Bunget, bietet den Fans nach knapp neun Stunden Metal als Special-Act einen vergleichsweise ruhigen, jedoch extrem stimmungsvollen Festival-Ausklang: Atmosphärische Cleangitarren und sanfte Hackbrettklänge treffen auf sehnsuchtsvollen Black Metal, der genauso gut unter den Sternenhimmel mitten im bergigen Nirgendwo Oberösterreichs passt wie in die bergigen Wälder Transsylvaniens, aus denen er kommt. Etwas schade ist lediglich, dass DORDEDUH – anders als seinerzeit Negură Bunget – vom Hackbrett abgesehen sämtliche extravaganten Instrumente vom Band einspielen: So verlieren Elemente wie geschlagene Klangbretter doch etwas an Charme. Sieht man davon ab, schürt der Auftritt jedoch die Vorfreude auf das kommende zweite Album der Formation, von dem sich heute bereits ein Stück beachtlicher Länge in dem Set wiederfindet.

Um 0:30 Uhr ist auch das neunte SICK MIDSUMMER Geschichte – zumindest, was die Live-Bands angeht: Für Feierwütige hat die Scheunen-Disko in dieser Nacht noch so manchen Metal-Hit zu bieten. Doch auch, wer sich noch in der Nacht auf die Heimreise macht und im düsteren Wald des Bäckerbergs so manch‘ grüne Augen im Scheinwerferlicht aufblitzen sieht, ist in diesem Jahr voll auf seine Kosten gekommen: Die familiäre Atmosphäre auf dem Gelände, die abwechslungsreiche Bandauswahl und die durchweg guten Shows sprechen für sich: Anders als auf so mancher Großveranstaltung geht es hier noch um eine gemeinsame Leidenschaft, einen Tag im Zeichen der Musik und Freundschaft. So, wie es auf Festivals eigentlich immer sein sollte, aber leider nur noch viel zu selten ist.

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