Review Faith No More – Angel Dust

Manch einem hartgesottenen Metaller braucht man mit Nu Metal gar nicht erst kommen: Poppig-melodische Keyboards oder chatchy bis cheesy Vocal-Hooklines spalten bis heute die Gemüter. Trotzdem gibt es das eine oder andere Album, das sich genau dieser Mechanismen bedient und trotzdem der gesamten Szene, vom Mayhem– bis zum Korn-Hörer, ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. In diese Kategorie gehört zweifelsohne das vierte FAITH-NO-MORE-Album „Angel Dust“: 1992 erschienen bietet es bis heute eine unglaubliche stilistische Varianz – und einen Mike Patton, der erstmalig auf das beinahe komplette Potential seiner bis heute einzigartigen und herausragenden Stimme zugreifen kann.

Es ist schon ein bisschen gemein: Nach dem Drücken der Playtaste passiert erst einmal drei Sekunden … gar nichts. Absolute Stille, gerade genug Zeit, um reflexartig den Lautstärkeregler aufzudrehen, weil man ja auch nichts verpassen möchte. Und gerade wenn man sicher ist, dass da wirklich nur absolute Stille ist, prügeln die ersten Takte von „Land Of Sunshine“ in Form von Schlagzeug, Schweineorgel, Metal-Gitarre und Slap-Bass auf den Zuhörer ein, bevor schließlich der Gesang einsetzt. „Angel Dust“ ist das zweite Album mit dem zukünftigen Ausnahmevokalisten am Mikrofon, der etwas quäkig-nasale Charakter von Mike Pattons Stimme auf „The Real Thing“ gehört endgültige der Vergangenheit an.

So zeichnet sich nach wenigen Songs ab, dass die Qualität der Musik vom Zusammenspiel dieser musikalisch sehr unterschiedlich geprägten Individuen lebt. Pattons facettenreicher Gesang, dessen Bandbreite von hardcore-artigen Shouts über Rap und epische Refrains in unterschiedlichsten Tonlagen bis hin zu zuckersüßem Gesäusel reicht, der funky Slap-Bass von Billy Gould, die kompromisslos klassischen Metalgitarren von Jim Martin und die Piano- und Keyboard-Teppiche von Roddy Bottum sind im Zusammenspiel mit den groovigen Drums von Mike Bordin der Stoff, aus dem einige Jahre später die feuchten Nu-Metal-Träume diverser Bands sein würden.

Highlights zu benennen fällt schwer: „Everything‘s Ruined“, „Midlife Crisis“, „A Small Victory“ und das legendäre Commodores-Cover „Easy“ sind allesamt zu Recht Single-Auskopplungen – melodisch-harte, aber ziemlich straighte Alternative-Metal-Hymnen (und mit letztgenanntem Song eine vor Ironie triefende Ballade – gerade in Verbindung mit dem zugehörigen Video), die den Zuhörer nach einer kurzen Eingewöhnungsphase nicht nachhaltig überfordern.

Dass FAITH NO MORE auch die Zähne zeigen können, fällt dafür bei den harten Nummern wie „Caffeine“, „Malpractice“ oder auch „Jizzlobber“ auf. Diese Songs verbindet dabei eine beinahe schon lächerliche Horrorfilmatmosphäre, nicht zuletzt bedingt durch den Einsatz entsprechender Keyboard- und Streicherarrangements. Apropos Atmosphäre: Selbige, allerdings weit weniger albern, bieten auch Songs wie „Kindergarten“ oder „Smaller And Smaller“ und sind gerade deshalb ausgesprochen gelungen.

Textlich-inhaltlich arbeitet sich Patton dabei ebenfalls an einer bemerkenswerten Bandbreite ab: Sei es das Leben des White Trash in den USA („RV“), das despotische Verhalten eines Crack-Dealers („Crack Hitler“) oder Männerprobleme mit fortschreitendem Alter („Midlife Crisis“) – für jeden Geschmack dürfte etwas Absurd-Skurilles dabei sein.

All das macht „Angel Dust“ zu einem Ausnahmealbum in der Diskografie von FAITH NO MORE. Leider sollte es die letzte Platte mit Jim Martin an der Gitarre sein, dieser verließ noch während der Aufnahmen aufgrund künstlerischer Differenzen die Band. Trotzdem konnte die Band auch in den Folgejahren mit großartigen, wenn auch aufgrund der unterschiedlichen Gitarristen recht variablen Alben überzeugen und wurde Idol für eine ganze Generation von Musikern, für die die Genregrenzen der achtziger und neunziger Jahre keine Bedeutung mehr haben sollten. Muss man schon mal gehört haben, egal, welchen Metal-Stil man normalerweise bevorzugt.

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Wertung: 10 / 10

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2 Kommentare zu “Faith No More – Angel Dust

  1. Können wir Faith No More bitte nicht mit Nu Metal in einen Topf werfen? Das ist zeitlich komplett verkehrt. Damals lief das unter Funk Metal, später Crossover.

    1. Moin, auch wenn die Musik Faith No More sicherlich kein Nu Metal ist, ist „Angel Dust“ ohne Frage ein Album, welches diese Spielart der Rockmusik maßgeblich beeinflusst hat. Mit der Einleitung wollte ich lediglich zwei möglichst weit entfernte Pole innerhalb der Szene ansprechen – die sich im Zweifelsfall beide auf dieses Meisterwerk einigen können und die Platte lieben. Außerdem sind bei uns einige Genres der Übersichtlichkeit halber zusammengefasst. Unter anderem auch Nu Metal und Crossover. Aber Du hast schon Recht: Von Nu Metal hat damals noch niemand gesprochen, von Crossover (zumindest vor Body Count) auch niemand so wirklich und Funk Metal wäre wohl die am besten passende Kategorisierung.

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