Review Marillion – Marbles On The Road (DVD)

Marillion werden heute vielerorts nur noch mit einem Lächeln bedacht. Die glorreichen Neoprog-Zeiten vor gut 20 Jahren mit Fish werden vergöttert, die „Phase II“ mit Sänger Steve Hogarth (h) oftmals nur als Nebensächlichkeit angesehen, was schließlich dazu führt, dass für viele die Band Marillion seit Ende der 80er nicht mehr existiert. Fakt ist jedoch, dass Marillion seit Einstieg von h umso mehr für Worte wie „fortschrittlich“, „progressiv“ oder „stimmungsvoll“ stehen. Wo diese Progressivität früher vorwiegend auf symphonischen Bombast gegründet war, spielt seit Anfang der 90er das Wort „Melancholie“ oder auch „Andächtigkeit“ hier eine viel größere Rolle. Marillion haben es seit ihrer Reinkarnation geschafft, sich weiterzuentwickeln. Ihre Musik steht nie still, sie ist immer modern, zugänglich, aber doch anspruchsvoll und lässt sich nicht in Normen fassen. Es gab mit Sicherheit Alben, auf denen sie mit ihrer Experimentierfreude auch mal zu weit gegangen sind und jegliche Linie haben vermissen lassen. Aber mit ihrem neuesten Studioalbum „Marbles“ haben sie die Kurve eindeutig gekriegt. Und das weiß die Band auch selbst: „I honestly think that this is our best album ever”, so Keyboarder Mark Kelly. Und so erscheint es nicht verwunderlich, dass die Jungs dieser Tage eine DVD der diesjährigen Tour zum Album herausbringen.

Aufgezeichnet wurde das darauf enthaltene Bildmaterial am 11. und 12. Juli 2004 im Londoner Astoria. Man hat aber den Eindruck, als ob es sich um lediglich ein Konzert handelt. 15 Kameras und ein optional verfügbarer 5.1. Digitalton sollen uns garantieren, dass der Konzertfilm „closer to the Marillion live experience than any previous video recordings“ kommt. Man ist also mit dem klaren Vorsatz an die Produktion gegangen, die Atmosphäre während eines Gigs so gut wie möglich einzufangen.

Dies ist der Band und dem Produktionsteam dann auch in erstaunlicher Perfektion gelungen: Angefangen von der Setlist des Konzertes, über die eigentliche Performance und die Lightshow, bis hin Spitzenpublikum und dem glasklarem Sound hat man bei so ziemlich allem das Optimum rausgeholt. Zunächst präsentiert man ein zusammenhängendes, circa einstündiges Set zum neuen Studioalbum, bravourös eingeleitet mit dem experimentellen, etliche Musikstilen durchlaufenden „Invisible Man“ und beendet mit dem epischen „Neverland“. Mittendrin gibt es mit „You’re Gone“ auch die Single, mit der es Marillion in England auf Platz 8 der Singlecharts schaffte. Danach widmet man sich dem stilistisch ähnlichen Konzeptwerk „Brave“ von 1995, aus dem es die beiden Titel „Bridge“ und „Living With The Big Lie“ zu hören gibt. Abgeschlossen wird das ca. zweistündige Konzert mit den zwei Gassenhauern „Uninvited Guest“ von h’s Marillion-Debüt „Seasons End“ (1991) und dem Song „Cover My Eyes“ unter frenetischer Mithilfe des Publikums. Nicht nur die tolle Stimmung, sondern auch die fast schon erschreckenden Entertainer-Qualitäten von Sänger Steve Hogarth machen diese DVD äußerst sehenswert. Er scheint jede Textzeile, jedes Wort, ja fast jede Silbe zu spüren und mitzufühlen und setzt sie, einem Schauspieler gleich, sofort in entsprechende Gestiken, Mimiken und Bewegungen um. Besonders deutlich wird dies beim Opener „Invisible Man“, wo er in Jackett, Hemd und mit „Intellektuellenbrille“ auftritt. Im Verlauf des Konzertes lockert sich aber das Auftreten und er ist auch einfach nur ein Frontman, der seinen Spaß hat und in üblicher Weise mit dem Publikum kommuniziert. Hierbei sei natürlich darauf hingewiesen, dass, bis auf wenige Ausnahmen, ein Marillion Konzert recht wenig Möglichkeiten bietet, sich zu bewegen und Spaß im wahrsten Sinne des Wortes zu haben. Es ist eher ein Genießen, die Freude an der Musik und an den vermittelten Emotionen, was zu einem Konzertbesuch der „Marillos“ anleitet. Im Falle dieser DVD dunkelt man am besten sein Zimmer ab, macht eine Kerze an, sucht sich eine Flasche wohltemperierten Wein aus dem Schrank und vergisst einfach nur den Alltag. Wer bei dieser stimmungsvollen Lightshow, dieser Musik und vor allem Hogarths Gesang und Rotherys Gitarrensoli keine Gänsehaut bekommt, muss einfach gefühlskalt sein…

Wertung: 9.5 / 10

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