Review Nightwish – Century Child

Und plötzlich hört man Mainstream! So konnte es einem schon vorkommen, wenn man das vierte Album „Century Child“ der finnischen Symphonic Metaller NIGHTWISH erstanden hatte. Waren die Vorgänger noch beinahe schüchtern und weitgehend ohne großes Aufsehen für einige Wochen in den Verkaufslisten im Mittelfeld gelistet, ging es ab diesem Zeitpunkt so richtig bergauf. Alleine in Deutschland wurde Platz fünf erreicht und der Weg zum späteren Megaerfolg geebnet.

Dies geschah mit „Century Child“ so berechtigt wie vorhersehbar, schließlich wirken alle späteren Alben aller musikalischen Kunst zum Trotz doch irgendwie klinisch, steril, konzeptüberfrachtet oder schlicht zu durchgestylt. Anfang des Jahrtausends klangen NIGHTWISH einfach noch natürlicher, wobei dies keinesfalls (alleine) mit der Position am Mikrofon zu erklären ist, denn das, was für die meisten vermutlich DAS Highlight der Band war, kann auch als anstrengend wahrgenommen werden. Sicherlich verfügt Tarja Turunen über eine gewaltige Stimme mit einem für das Genre sensationellen Umfang und einer Kraft, die tatsächlich für noch mehr gemacht ist. Aber Operngesang und Metal war schon immer eine Gratwanderung, weswegen auf „Century Child“ auch Basser und Nebenmann an der Front, Marco Hietala, eine insgesamt zur Musik noch passendere Figur abgibt.
Ohnehin wurde viel zu lange der „Fehler“ gemacht und NIGHTWISH alleine auf seine Frontfrau reduziert, die Schlammschlacht, die sich nach ihrem Ausstieg abspielte, tat da ihr Übriges. Denn letztlich sind es vor allem die genialen Kompositionen von Keyboarder Tuomas, die den Sound von NIGHTWISH schon immer prägten. Sein Faible für Filmmusik schien auch schon auf „Century Child“ durch, nicht nur aufgrund der phantastischen Coverversion des Musical-Songs „The Phantom Of The Opera“. Dazu gesellten sich Einflüsse aus der klassischen Musik, er selber nennt immer wieder Richard Wagner und Antonín Dvořák, was man getrost so stehen lassen kann.
Jedenfalls ist es das Songwriting, was NIGHTWISH zu dieser Zeit einzigartig machte, der nicht nachlassende Erfolg trotz des Wechsels an der markantesten Position einer Band ist da ein eindeutiger Fingerzeig. Dabei lotet die Truppe alle Facetten, alle Möglichkeiten regelrecht gnadenlos aus. Egal ob hymnisch wie im megaeingängigen Opener „Bless The Child“, balladesk wie im zerbrechlichen „Forever Yours“ oder episch wie im über zehnminütigen „Beauty Of The Beast“, die Lieder verfehlen ihre Wirkung nicht. Dennoch ist auch der Rest keinesfalls Füllstoff, immer wieder schimmert der beinahe jugendliche, im Kontext des Albums vielleicht sogar kindliche Sturm und Drang der Gefühle durch, im positiven Sinne naiv klingen die zehn Songs, die beinahe etwas wie neu-finnische Musikgeschichte geschrieben haben. Es kommt einem so vor, als wären da fünf junge Musiker gewesen, die gar nicht wussten, was sie da gerade Großes leisten.

Natürlich ist es zwölf Jahre nach der Veröffentlichung eines Albums immer leicht, eine uneingeschränkte Verkaufsempfehlung auszusprechen, aber „Century Child“ sollte nun wirklich jeder, der schwungvolle, dramatische, stets aber auch gefühlsbetonte und filigrane Musik schätzt, in seiner Plattensammlung haben. Wem neue Werke zu überfrachtet vorkommen oder wer NIGHTWISH in ihrer Gesamtheit schätzt, kommt an dieser Platte nicht vorbei. Man muss mit gewissen Begriffen sicher vorsichtig sein, aber hier haben die Skandinavier schon so etwas wie ein Kapitel moderne Musikgeschichte geschrieben. Da kann es einem auch herzlich egal sein, dass man nun plötzlich Mainstream hört.

Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

Ein Kommentar zu “Nightwish – Century Child

  1. Beauty of the Beast ist sicherlich einer der besten Songs, die Nightwish je geschrieben haben. Das ganze Album ist nach 12 Jahren immer noch kein alter Hut und beeindruckend wie eh und je – dem mit Vorsicht zu genießenden Begriff „Musikgeschichte“ kann ich vorbehaltlos zustimmen!

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