Review Pallbearer – Forgotten Days

  • Label: Nuclear Blast
  • Veröffentlicht: 2020
  • Spielart: Doom Metal

Wie sieht es in jemandem aus, der wegen einer Alzheimererkrankung langsam seine Erinnerung, ja sogar seine Persönlichkeit zu verlieren beginnt? Wenn es nach PALLBEARER und ihrem vierten Album „Forgotten Days“ geht, alles andere als schön. Schon in dem abermals von Michael Lierly kreierten, eindringlichen Artwork der Platte, auf der Frontmann Brett Campbell unter anderem seine Erfahrungen mit der Demenz seiner Großmutter verarbeitet, steckt eine immense Trostlosigkeit. Da ist es nur zu passend, dass PALLBEARER ihre Prog-Einflüsse auf dem Nachfolger von „Heartless“ (2017) ein wenig beiseiteschieben und stattdessen wieder mehr Gewicht auf den rohen Doom-Anteil ihrer Musik legen.

Lockerten PALLBEARER ihre zähen Riffs und schleppenden Rhythmen vormals nicht selten mit behänden, verspielten Melodien auf, so fehlt auf „Forgotten Days“ jede Spur von solcher Leichtigkeit – sie wäre hier auch fehl am Platz. Der Tristesse des Textkonzepts entsprechend kehren die Amerikaner die düstersten, niederdrückendsten Aspekte ihres Sounds nach außen, lassen sich zu keinerlei aufmunternden Spielereien hinreißen. Im eröffnenden Titeltrack packen PALLBEARER ihre unheilvollsten Gitarrenriffs aus, der wehklagende Zwölfminüter „Silver Wings“ könnte tragischer nicht klingen und im rumpelnden „The Quicksand Of Existing“ hebt die Band zur Abwechslung das Tempo an, wodurch der Track noch ein Stück drängender wirkt.

Wenn die Doom-Metaller doch einmal sanftere Clean-Gitarren einsetzen, dann klingen diese desolat und verschwommen wie ein finsterer Gedanke am Rande des eigenen Bewusstseins, den man nie ganz zu erfassen vermag („Caledonia“). Die bleierne Schwere der Songs ist allerdings nicht bloß PALLBEARER selbst, sondern auch Produzent Randall Dunn (Sunn O))), Wolves In The Throne Room) zuzurechnen, der der Platte einen organischen und unglaublich massiven Sound verpasst hat.

Was „Forgotten Days“ jedoch zu mehr als einem bloß soliden Doom-Metal-Album macht, ist Brett Campbells betroffen machende Gesangsperformance, aus der die in den zutiefst persönlichen Songtexten steckende Verzweiflung und Resignation deutlich herauszuhören ist. Man kann gar nicht anders, als sich in die Lage des Bandkopfs zu versetzen, wenn er im Titeltrack voller Unsicherheit singt: „Is this insanity? / will they come to take me? / who can I trust with tomorrow? / I can barely trust myself“ oder im absolut mitreißenden „Rite Of Passage“ sinniert: „I have such little recognition / of what I was when I could still see your face / the many flaws of my own admission / a void supreme, I can’t pull away.“

In rein musikalischer Hinsicht mag sich auf „Forgotten Days“ durch die geradlinigere, rauere Herangehensweise der Band vielleicht nicht ganz so viel Interessantes wie zuletzt auf „Heartless“ finden. Das Wissen um die Hintergründe des Albums macht es jedoch praktisch unmöglich, nicht in Campbells Gefühlswelt einzutauchen und seine Trauer nachzuempfinden. Indem PALLBEARER diesmal auf proggige Abzweigungen verzichtet haben, ist es der Band gelungen, den Schmerz, den man beim Mitansehen des langsamen Dahinschwindens eines geliebten Menschen spürt, unmittelbar nachvollziehbar zu machen. Das innovativste Doom-Album des Jahres haben PALLBEARER damit vermutlich nicht kreiert, wohl aber eines der aufwühlendsten.

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Wertung: 8 / 10

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