Interview mit Laster

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Seit der Veröffentlichung ihres Debüts „De Verste Verte Is Hier“ stehen LASTER mit ihrer „Obscure Dance Music“ für außergewöhnlichen Black Metal mit einem avantgardistischen Twist. Ihr aktuelles Album „Het Wassen Oog“ erschien nunmehr über das renommierte, deutsche Label Prophecy Productions. Wie es dazu kam, dass die Niederländer bei ihrem neuen Label gelandet sind, warum sich LASTER in ihren Texten anderen Themen widmen, als es in ihrem Genre üblich ist, und welches Paradoxon man im Black Metal oft antrifft, könnt in unserem Interview mit der Band nachlesen.

Vergleiche mit anderen Bands sind in der Musikbranche gang und gäbe. Bei euch würden mir diesbezüglich jedoch allenfalls Shining einfallen. Woher bezieht ihr selbst denn eure Inspiration?
Glas von blauen Bildschirmen schnüffeln, während wir uns hinter der Bühne um die Wäsche kümmern. Wir lassen uns von vielen Dingen des täglichen Lebens inspirieren, nicht nur von der Musik.

Gerade im Black Metal reproduzieren viele Bands bloß ein bestimmtes Schema. Warum, denkst du, sind so viele Interpreten dieses Genres nicht daran interessiert, etwas Neues auf den Tisch zu bringen?
Weil sie sich mit einem bestimmten Muster, Gefühl, Dogma oder einer Art der visuellen Darstellung selbst identifizieren. Was in Ordnung ist. Einige Black-Metal-Musiker und Fans trinken jeden Morgen eine Tasse Kaffee. Schwarzen Kaffee, ohne Zucker, ohne Milch. Wenn man Zucker oder Milch hinzufügt, dann werden sie es nicht trinken. Nein, nicht einen Schluck.

Bist du der Meinung, dass es auch etwas für sich haben kann, bloß einen bereits etablierten Stil wiederzugeben, sofern man es mit Leidenschaft tut?
„Etwas“ ist eher undefiniert, weshalb es albern wäre, das zu verneinen. Aus künstlerischer Sicht, also nach dem Beispiel der modernen Kunst, treten dann romantische Vorstellungen von Individualität, Originalität, Einheit und Authentizität in den Vordergrund. Interessanterweise scheinen solche Ideen bei vielen Bands aus verschiedenen Strängen des Black Metal Anklang zu finden, von denen man sagen könnte, dass sie mehr oder weniger nach einem bereits etablierten Stil spielen. Solche Bands behandeln Themen wie Rebellion gegen das universelle Gesetz Gottes, individuelle Emotionen, Einsamkeit, Gefühle geschichtlicher Zugehörigkeit, Naturreligionen, Heimat oder sogar Nietzsche. Das sind Themen, die sich auf die romantische Fürsprache des authentischen Ausdrucks des Einzelnen beziehen. Der Vorzug, Black Metal zu spielen, wie er bereits in der Black-Metal-Kultur etabliert ist, scheint also nicht im authentischen Ausdruck des Individuums zu liegen, obwohl er in diesem Glaubenssystem verwurzelt ist. Vielmehr könnte der Vorzug darin bestehen, sich mit einer bestimmten Identität zu verbinden oder sie zu stärken. Das erscheint paradox, was interessant ist, da das Ganze möglicherweise etwas über die Globalisierung und Fragmentierung der Gesellschaft zeigt, in der wir unser Begehren formulieren.

Eure Musik ist äußerst ungewöhnlich, man muss bei euch gewissermaßen immer das Unerwartete erwarten. Müsst ihr euch beim Songwriting manchmal zurückhalten, um nicht völlig den Rahmen zu sprengen?
Wir vernichten fast keine der Ideen, die uns in den Sinn kommen. Sie verändern sich allerdings kontinuierlich, während sie mit anderen Elementen kombiniert werden – mitunter sogar bis zu einem Punkt, an dem sie nur sehr wenig Ähnlichkeit mit ihrer ursprünglichen Form haben.

Was macht für dich ein kohärentes Musikstück aus?
Blast-Beats.

Eure Tracks sind von Album zu Album ein Stück kürzer geworden. Ist dies eine bewusste Entwicklung oder hat sich das eher durch Zufall ergeben?
Die Aufregung, viele Ideen zu integrieren, könnte etwas damit zu tun haben, dass wir versuchen, uns nicht selbst zu wiederholen.

Mit „Het Wassen Oog“ habt ihr zuletzt eure dritte Platte und zugleich euer Prophecy-Debüt veröffentlicht. Würdest du sagen, dass ihr darauf eher euren bisherigen Stil weitergeführt habt oder habt ihr eher darauf abgezielt, euch neu zu erfinden?
Im Vergleich zu unserem vorherigen Album geben wir diesmal 110%, wobei wir uns im Ergebnis gewissermaßen durch Zufall neu erfunden haben. „Het Wassen Oog“ fühlt sich zwar wie ein natürlicher Nachfolger unseres vorherigen Albums „Ons Vrije Fatum“ an, allerdings auf eine viel exaltiertere Weise. Es verlangte uns eine Verbesserung unserer technischen, instrumentalen und gesanglichen Fähigkeiten, größere Kontraste und mehr Experimente ab, um die Offenheit und Vielfalt zu erreichen, die wir jetzt vorweisen können.

Ich habe den Eindruck, dass einige eurer Songs ziemlich kompliziert zu spielen sind. Welchen eurer neuen Tracks findest du persönlich aus technischer Sicht am herausforderndsten?
Möglicherweise „Ondersteboven“ oder „Zinsbetovering“.

Ihr schreibt sämtliche Texte zu euren Songs in eurer Muttersprache, weshalb gewiss nicht all eure Fans sie verstehen, ohne nachzulesen. Kannst du uns daher kurz beschreiben, worum es thematisch auf „Het Wassen Oog“ geht?
Wie auf den beiden vorherigen Alben erforschen wir alltägliche, aber dennoch „große“ Konzepte wie Liebe, Elend, Verwirrung, Sexualität, Identität… Während wir die Ungewissheiten, die uns unser ganzes Leben lang begleiten, überdenken und interpretieren, vermischen wir sie mit szenischen Erlebnissen und Fantasien, in denen das Unerwartete geschieht. Das ist allerdings keine Verzerrung unserer Erinnerungen. Wenn wir in einer entzauberten Welt leben, wie es einige der großen Intellektuellen vertreten haben, versuchen wir, unser Leben neu zu verzaubern, aber ohne Religion in irgendeinem traditionellen Sinne. Diese magisch-realistische Art von Erfahrung beeinflusst und hilft uns, unsere künstlerischen Projekte zu gestalten.
Außerdem haben wir auf diesem Album versucht, deutlich zu machen, dass diese eben von mir genannten umfassenden Konzepte unser privates und soziales Leben wirklich vereinnahmen, und dass wir feststellen, dass dies auch für andere in verschiedenen sozialen Schichten um uns herum gilt. Infolgedessen denken wir, dass der böse Blick für uns nicht mehr relevant und interessant ist. Im Gegenteil, er scheint immer mehr von der Bühne zu verschwinden. Wir denken, dass viele der traditionellen Extreme-Metal-Themen, die das Böse und Satan umfassen, von Bedeutungslosigkeit bedroht sind, weil sie so sehr recycelt wurden, ohne dass ihre Relevanz ausreichend diskutiert wird.

Wie wichtig sind dir persönlich die Texte im Vergleich zur Musik selbst?
Sie treiben die Musik an und umgekehrt.

Das grazile Artwork entspricht jedenfalls ganz dem Stil eurer ersten beiden Alben. Würdest du sagen, dass diese visuelle Ästhetik ein entscheidender Teil eurer Kunst ist oder könntest du dir für ein zukünftiges Album auch mal ein gänzlich anderes Coverbild vorstellen?
„Het Wassen Oog“ ist das Ende einer Trilogie, sodass es sich nur natürlich anfühlt, für zukünftiges Material über einen neuen visuellen Stil nachzudenken.

Wie bereits erwähnt habt ihr die neue Platte über Prophecy Productions herausgebracht. Was hat euch daran gereizt, gerade mit diesem Label zusammenzuarbeiten?
Prophecy war schon zu unserer Teenagerzeit ein großer Einfluss auf uns als Musiker. Bands wie Alcest, Lantlôs, Nucleus Torn, A Forest of Stars, Falkenbach, Drautran, Tenhi und Les Discrets beeinflussten uns enorm, auch wenn das vielleicht nicht so leicht zu herauszuhören ist. Es ist der experimentelle, aber auch atmosphärische und faszinierende Charakter von Prophecy, der wirklich zu uns spricht. Außerdem finden wir es sehr befriedigend, im gleichen Roster wie Kayo Dot zu stehen.

„Het Wassen Oog“ scheint hauptsächlich euphorisches Feedback bekommen zu haben. Zu einem negativen Review habt ihr einen ziemlich witzigen Post auf Facebook veröffentlicht. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, auf diese Weise zu reagieren?
Die Reaktion schrieb sich von selbst. Der Schrein steht noch. Lang lebe Maarten.

Viele andere Bands beschäftigen sich gar nicht mit den Kritiken zu ihren Alben oder nehmen sich selbst zu ernst, um darauf mit Humor zu reagieren. Denkst du, dass solche Rezensionen für euch womöglich sogar in irgendeiner Form hilfreich sein können?
Eine Rezension wirft sowohl auf den Künstler als auch auf den Kritiker Licht. Es gibt darin immer etwas Konstruktives zu finden, unabhängig von der jeweiligen Haltung. Allerdings sind wir der Meinung, dass sich der Wert der Rezension im Laufe der Jahre verändert hat. Heutzutage sind wir nur noch zwei Klicks vom Hören von neuem Material entfernt – und wir haben die Werkzeuge, um unsere Meinungen überall zu verbreiten.

Was habt ihr als Nächstes für LASTER geplant?
Touren, neues Material schreiben und uns sowohl musikalisch und lyrisch als auch visuell weiterentwickeln.

Bei Metal1.info beenden wir unsere Interviews für gewöhnlich mit einem kurzen Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Disco-Musik: Musikalisch, ja – kulturell, nein.
Avantgarde: Bitte, gerne.
Ausdruckstanz: Ja
Politik in der Musik: Musik ist von Natur aus politisch.
Social Media: Jein
Niederländische Metalszene: Jein

Nochmals vielen Dank für deine Antworten. Falls du noch ein paar letzte Worte an die Leser richten möchtest, kannst du das jetzt gerne noch tun:
Wir freuen uns darauf, neue Gesichter zu sehen. Wir werden Deutschland beim Prophecy Fest in Balve am 13. September und die Wintermelodei 2019 in Münster am 7. Dezember besuchen. Hoffentlich sehen wir uns da dann wieder.

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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