Konzertbericht: Terrorgruppe w/ The Toten Crackhuren im Kofferraum

15.07.2022 München, Backstage (Werk)

Abschiednehmen ist nie leicht – der TERRORGRUPPE jedoch wird das selbstgewählte Karriereende besonders schwer gemacht: Von 2020 auf 2021 auf 2022 mussten sie ihre letzte Tour verschieben – ein Jahr mehr, und die Berliner Punk-Instanz wäre noch in ihr 30. Bandjahr geschlittert. Und dann stirbt, eine Woche vor dem Auftaktkonzert in München, Bassist Zip Schlitzer. Was für andere Bands wohl das Ende bedeutet hätte, wirft die TERRORGRUPPE auf ihrer letzten Runde nicht mehr aus der Bahn: So wird die finale Konzertreise also nicht nur zu einem Lebewohl von den Fans, sondern, mit dem nötigen Respekt und einer sympathischen Prise Humor, auch vom in der Szene hochgeschätzten Zip.

Toten Crackhuren im Kofferraum live 2022Vorneweg dürfen THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM ran – jene 2005 gegründete Electroclash- / Pop-Punk-Band, die Terrorgruppe-Sänger Archi früh in ihrer Karriere als Manager unter seine Fittiche nahm. Entsprechend emotional fallen die Abschiedsworte von Fronterin Luise Fuckface an Zip und die Terrorgruppe aus. Auch sonst kommen die CRACKHUREN maximal sympathisch rüber: Mit Witz und Charme werden kleine Maleure wie ein falsches Sample überspielt („das war ein Remix!“) – und auch musikalisch können die Berlinerinnen überzeugen: Die Band, ehedem ein heißer One-Hit-Wonder Kandidat („Ich und mein Pony“), hat sich mittlerweile zu einem absolut ernstzunehmenden, feministisch geprägten Projekt entwickelt. Mit viel Humor und trotzdem starker Message bieten Songs wie „Bewerte mich“, „Ich bin eine Schlampe“ oder „Bau mir nen Schrank“ gleichermaßen Gelegenheit, Geschlechterrollen zu überdenken und ausgelassenen zu feiern. Dass das Backstage Werk an diesem Sommerabend um 20:00 Uhr noch nicht zur vollen Auslastung gefüllt ist und die Anwesenden auch noch nicht in absoluter Tanzlaune zu sein scheinen, sei verziehen – nach einer Dreiviertelstunde und dem finalen „Punkrock hat mir mein Herz gebrochen“ bekommen die CRACKHUREN jedenfalls ihren wohlverdienten Applaus.

  1. Alles verkacken
  2. Jobcenterfotzen
  3. Bewerte mich
  4. Ich bin eine Schlampe
  5. Rumlaufen Stress machen
  6. Ronny & Clyde
  7. Bau mir nen Schrank
  8. Zurück in der Gosse
  9. Herz
  10. Kopf, Knie
  11. Ich und mein Pony
  12. Punkrock hat mir mein Herz gebrochen

Terrorgruppe live 2022Als Archi Alert, Johnny Bottrop, Kid Katze, Eros Razorblade und Ersatzmann Ace die Bühne entern und direkt und ohne Umschweife mit ihrer Antifa-Hymne „Nazis im Haus“ loslegen, gibt es für das mittlerweile zahlenmäßig stark angewachsene Publikum im Backstage kein Halten mehr. Kein Wunder: Die Berliner überzeugen vom ersten Ton an durch musikalische Frische, sowie von der ersten Ansage an durch den richtigen Mix aus Klamauk und Ernst. „Aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage ist der nächste Song aktueller denn je“ wird zum traurigen Running Gag des Abends, Anspielungen auf den omnipräsenten Zip Schlitzer hingegen bleiben durchweg humor- und eben darum so liebevoll. Einzig als das Publikum am Ende des Sets statt „Zugabe“ wie aus einer Kehle „Zip – Schlitzer“ zu skandieren beginnt, fehlen Archie kurz die Worte.

Terrorgruppe live 2022Das macht aber nichts, denn dafür gibt es ja noch die Musik. Im Konkreten an besagter Stelle das KIZ-Cover „Hurra, die Welt geht unter“, bei dem die TERRORGRUPPE souverän aufzeigt, wie viel Punk-Attitüde in diesem Deutschrap-Hit steckt – und im allgemeinen ein Hitfeuerwerk, wie es sich TERRORGRUPPE-Fans nur wünschen können: Während die letzten beiden Alben jeweils mit je einem Song („Schmetterling“ und „Der Trottel (Oi Oi Oi)“) nur kurz angerissen werden, reiht sich im Set ein Klassiker an den nächsten. So hätte nach den Zugaben „Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschand“ und „Wir müssen raus“ höchstens noch die „Arschrakete“ gefehlt (langjährige Fans wissen Bescheid), um das für die meisten Anwesenden wohl letzte TERRORGRUPPE-Erlebnis komplett zu machen. Aber auch ohne After-Show-Feuerwerk gelingt der Konzertabschluss: Mit einem riesigen Banner verabschiedet sich die TERRORGRUPPE von ihren Fans – da könnte man fast sentimental werden.

  1. Nazis im Haus
  2. Leider nur ein Traum
  3. Gestorben auf dem Weg zur Arbeit
  4. Keine Airbags für die CSU
  5. Allein gegen alle
  6. Tresenlied
  7. Kathedralen
  8. Schmetterling
  9. Wochenendticket
  10. Die Gesellschaft ist schuld
  11. Sabine
  12. Neulich Nacht
  13. Rumhängen
  14. Ich bin ein Punk
  15. Der Trottel (Oi, Oi, Oi)
  16. Arbeit sein muss bleibt
  17. Sozialer Misserfolg
  18. Sonntag Morgen
  19. Namen vergessen
  20. Adolf Hitler (dem sein Bart)
  21. Opa
  22. Schöner Strand
  23. Hurra die Welt geht unter (KIZ-Cover)
  24. Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschand
  25. Wir müssen raus

Zip fehlt, das kann man nicht leugnen. Mit dem souveränen Ace am Bass und einer ausgewogenen Mischung aus Erinnern und Weitergehen gelingt es der TERRORGRUPPE jedoch, das gleichermaßen herauszuarbeiten und eben doch auch – im besten Sinne – vergessen zu machen. So wird diese Auftaktshow der Abschiedstour, der Anfang vom Ende dieser szeneprägenden Band, zu einem Abend der besonderen Art. Abschiednehmen ist nie leicht – so, wie es die TERRORGRUPPE gestaltet, aber trotzdem irgendwie auch schön. Danke … und Tschüssikowski!

Terrorgruppe live 2022

 

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