Review Anathema – Eternity

„Where Are You Tonight“. Noch nie habe ich ein Album gehört, welches mit einer simpleren Gesangszeile eröffnet wurde, die gleichzeitig so unglaublich emotional und schön ist. Würde der erstmalige Hörer bei diesen Worten auch nur erahnen, was ihn in den folgenden knapp 58 Minuten an intensiver Gänsehautmusik erwarten würde, er würde vor Freude laut aufjubeln, hieran kann kein Zweifel bestehen. „Eternity“ von ANATHEMA ist sicherlich als Ausnahmewerk zu bezeichnen, die CD prägte und prägt Generationen von (Gothic-) Bands, sie wurde oft kopiert, aber leider nie wirklich und nur selten im Ansatz erreicht. Vergleiche zu anderen Bands verbieten sich von vorne herein, hier haben wir es mit einer Veröffentlichung zu tun, die sicher eine ganze Szene neu definiert hätte. Vermutlich kam dies nur deshalb nicht zu Stande, weil „Eternity“ zu Beginn nicht von allen richtig verstanden wurde oder verstanden werden konnte. Zugegebenermaßen ist es auch am Anfang nicht ganz leicht, direkten Zugang zu finden, doch alle diejenigen, die der CD einige Durchläufe gönnen, werden durch eine der besten CDs aller Zeiten belohnt. Hieran hat wirklich jeder Freund guter Musik seine helle Freude, ganz egal, welche Musik er oder sie sonst bevorzugt.

Dabei war eine solche musikalische Wandlung der Briten nicht unbedingt zu erwarten. Mit den beiden Vorgänger-Alben „Serenades“ und „The Silent Enigma“, sowie einiger EPs (u.a. die bekannte „Pentecost III“) hatten sich die Mannen aus Liverpool, die einen herrlich-grausigen Maaaaanchester-Akzent sprechen, eine breite Anhängerschaft im Doom-Metal-Underground erspielt (auch wenn man trefflich darüber streiten kann, ob besagter Wandel nicht schon mit „The Silent Enigma“ eingesetzt hat). „Eternity“ zeigt die Band nun von einer ganz neuen, melodisch-tragischen Seite, Atmosphäre ist eines der neuen Zauberwörter (der Vergleich zu Pink Floyd drängt sich freilich auf, aber hierzu später mehr). Dies wird nicht allein durch die Keyboards von Les Smith (damals noch als Session-Musiker von Cradle Of Filth ausgeliehen, seit 2000 fester Bestandteil der Band), der sich hier den Job mit Daniel Cavanagh (auch Gitarre) teilt, deutlich. Aber auch das Songwriting an sich hat sich gewandelt, schwere, schleppende Riffs sind beinahe schwebenden Melodien gewichen, die den (geneigten) Hörer ein ums andere Mal beglücken.

Tja, wie nähert man sich also einer Scheibe, die ihresgleichen vermutlich noch in 50 Jahren suchen und vergeblich finden wird? An sich kann man nur jedem empfehlen, „Eternity“ zu hören, da Kraft und Wirkung der CD nie und nimmer durch das geschriebene Wort deutlich werden können. Bereits mit dem als längeres, gesangloses Intro fungierenden „Sentient“ geht es wunderbar los: eine traumhafte Piano-Melodie legt sich über atmosphärische Keyboard-Sounds und macht sofort klar, dass man hier nicht entkommt, ohne die Platte in ihrer vollsten Erhabenheit genossen zu haben. Eine Kribbeln in der Magengegend verursachende Gitarre gesellt sich schnell dazu und macht bereits diese knapp dreiminütige Introduktion zu einem Erlebnis. Das Weinen eines Babies macht auch sogleich das lyrische Konzept von „Eternity“ deutlich: Vergänglichkeit, ein Thema, welches später auch bei „Alternative 4“ noch hier und da auftauchen sollte.

Als zweiter Song folgt das mit den einleitenden Worten „Where Are You Tonight“ bereits angesprochene „Angelica“. Leider kann ich als Reviewer nicht einfach schreiben, dass mir da die Worte fehlen, denn dann hätte ich meine Berufung wohl verfehlt; auf der anderen Seite helfen beschreibende Worte nun wirklich nicht mehr weiter, wenn man bei diesem wunderbaren Song emotionslos bleibt. Wenn nicht schon der Beginn für wohlige Schauder sorgt, dann spätestens der langsame Mittelteil, der in einen weiteren, gefühlsausbrechenden Part mündet. Das ist eine ganz hohe Form der Kunst, dies wurde nur ganz selten erreicht!!
Im weiteren wird die lyrische Ausrichtung vor allem anhand der drei (!) Titeltracks deutlich, es stellt sich die Frage, ob wir denn für immer sind. Was sonst gerne mal platt daher kommt, wird hier mit einer ehrlichen Ernsthaftigkeit aufbereitet, dass es schon fast weh tun könnte, wenn es nicht oder gerade weil es so schön wäre bzw. ist.

A propos Pink Floyd. Wie es lyrisch in das Konzept passt, lässt sich schwer sagen, da, wie so oft bei Cover-Versionen, die Texte des sechstens Liedes „Hope“ nicht abgedruckt sind. Immerhin steht fest, dass David Gilmour, der immerhin seit 38 Jahren für die Gitarre bei den britischen psychodelic-progressive Rockern zuständig, den Song mit Roy Harper zusammen geschrieben hat und er passt mit seinem mächtigen Refrain einfach perfekt zu „Eternity“. Die wunderschöne Stimme von Danny gibt dem Hörer hier im positivsten Sinne den Rest. Sicher ist dies ein Song, den ANATHEMA gerne selber geschrieben hätten…was aber danach folgt, übertrifft sämtliches auf „Eternity“ bereits Gehörte um Längen: „Suicide Veil“ ist neben „Angelica“ der absolut herausragende Song der CD, hier gibt es einfach alles: Atmosphäre, Gänsehaut-Melodien, emotionalen Gesang, einen gefühlsmäßigen Ausbruch, der kaum einen Vergleich scheuen muss, im Mittelteil und einen unter die Haut gehenden Text, der ehrlich die Situation des von Drogen völlig angegriffenen Protagonisten aufbereitet, ein Text, der nur reflektierte Wahrheit und keinerlei Fiktion darstellt.

Man könnte sicher und ich würde auch gerne Ewigkeiten so weiter machen, diese CD ist einfach schon zehn Jahre nach ihrem Erscheinen ein zeitloser Klassiker. Bei allem, was ANATHEMA zuvor und danach erschaffen haben, so eine CD produziert man nur einmal im Leben und auch dies ist wenigen Glücklichen vorenthalten. Um es noch mal ganz klar auszudrücken: hier stimmt einfach alles, großartige Songs, bestens instrumental und gesanglich umgesetzt, berührende Texte, wo das Auge hinschaut, ein stimmiges Konzept, welches von Musik, Texten und Artwork getragen wird. Kann man so etwas planen? Ich glaube nicht. Bei diesem Jahrhundertwerk haben vier junge Engländer einfach auf ihre Gefühle, auf ihr Herz gehört und getan, was sie tun mussten, aber vermutlich (wenn man sich bei aller Wertschätzung) die folgenden Outputs anschaut, nur einmal tun konnten. Schade, dass dieses geniale Songwriter-Duo Duncan Patterson (später „Antimatter“, jetzt „Ion“) und Danny Cavanagh nur noch das nächste Album „Alternative 4“ (welches erstaunlich gehemmt und vergleichsweise wenig-schichtig die Welt von ANATHEMA repräsentiert) überdauerte.

ANATHEMA (griechisch: Fluch) steht hier gänzlich diametral, wir haben es mit einem wahren Segen zu tun. Wenige bis gar Keine werden jemals einen solchen Status erreichen, kein einziger Song fällt wirklich ab, dafür fallen Einige ganz besonders auf, daher bleibt mir nur und ich spreche es wahrlich und wahrhaftig gerne aus:

Wertung: 10 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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