Review Disillusion – The Liberation

DISILLUSION besitzen zu Recht einen gewissen Exotenstatus innerhalb der deutschen Metal-Landschaft; nicht nur, weil sie mit ihrem Debüt „Back To Times Of Splendor“ (2004) Pionierarbeit im Bereich Prog Metal aus Mitteldeutschland geleistet haben und Die-Hard-Fans der ersten Stunde mit dem folgenden Überalbum „Gloria“ (2006) gehörig vor den Kopf gestoßen haben dürften, sondern auch, weil sie danach für mehr als 13 Jahre einfach abgetaucht sind.

2016 gaben die Sachsen mit der Single „Alea“ endlich ein überraschendes Lebenszeichen von sich und zeigten darauf einen erneuten Richtungswechsel. Schwangen DISILLUSION auf ihrem Debüt noch deutlich die Metal-Keule, legten sie diese auf „Gloria“ zur Seite und präsentierten sich (ausgesprochen sensationell!) im modernen Gewand mit vielen Ohrwürmern und hoher Experimentierfreudigkeit. Dann folgte Stille, jahrelang, ehe das mittlerweile einzig verbliebene Gründungsmitglied Andy Schmidt neue Musiker um sich scharrte und mit „Alea“ erstmals überdeutlich mit klassischen Prog-Strukturen liebäugelte.

2019 und somit 13 Jahre nach dem letzten Album sind DISILLUSION mit neuer Besetzung, neuem Album und der nächsten Phase in ihrer Entwicklung erneut in aller Munde – zu Recht. „The Liberation“ ist diese Art von gigantischem Opus, dass man sich nach „Alea“ sehnlichst erhoffte, was ich ihnen aber selbst nicht zutraute. Danke, Andy, dass du mich eines Besseren belehrt hast!

Auf dem knapp einstündigen Ungetüm vertonen DISILLUSION so ziemlich jede gute Idee, die Mastermind Schmidt in den vergangenen Jahren gehabt dürfte. Dabei ist er einen übergroßen Schritt vom unbekümmerten, leicht in die Gehörgänge gehenden und hochgradig melodischen „Gloria“ zurückgetreten und deutlich näher an den Härtegrad von „Back To Times Of Splendor“ herangetreten. Mit dem Besten aus beiden Schaffensphasen gewappnet und stramm den Weg einschlagend, den „Alea“ ebnete, klingt „The Liberation“ so wenig und doch so stark nach DISILLUSION, dass einem der Kopf raucht.

Nach einem kurzen instrumentalen Opener eröffnet das zwölfminütige „Wintertide“ ein vollends ausgereiftes, reines Prog-Album, dessen Facettenreichtum im ersten Moment erschlagend wirkt. Zu viele Eindrücke, die es zu verarbeiten gilt: Die grandiosen Leadgesänge in „Wintertide“ und „The Great Unkown“, der treibende Titeltrack, das erhabene „A Shimmer In The Darkest Sea“, das halbwegs balladesk angelegte „Time To Let Go“. DISILLUSION zeigen in knapp einer Stunde Spielzeit eine Bandbreite an fragiler Atmosphäre und treibender Dynamik. Zwischen Melo-Death-Anleihen und Doublebass-Attacken („The Mountain“), der Charme ihrer Anfangstage, bauen DISILLUSION Spannungsbögen der Superlative auf, deren Auflösung unter die Haut gehen („Wintertide“, „A Shimmer In The Darkest Sea“, „The Liberation“).

Mit den drei Long-Tracks auf „The Liberation“ ist den Sachsen genau das gelungen, was der Albumtitel impliziert: Die Befreiung vom vormals veröffentlichten Material. Wo DISILLUSION zuvor nur eingängig und catchy klangen, transportieren sie nun eine gesamte Gefühlspalette. Wo die beiden Vorgänger verspielt, vertrackt und ein wenig verschroben klangen, bietet „The Liberation“ eine herausfordernde Komplexität und zugleich hörbare Struktur.

Fortschritt ist der Inbegriff vom Prog-Genre und wie würdig sich DISILLUSION dieser Zuordnung zum Genre erwiesen haben, beweist „The Liberation“ eindrucksvoll in weniger als einer Stunde. Mit ihrem dritten Album orientiert sich die Band weder am Vorgänger noch setzt sie am Debüt an, vielmehr haben DISILLUSION ihre bisherige Diskografie einem Reifeprozess unterzogen, dessen Resultat das Nonplusultra ihres bisherigen Schaffens darstellt.

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Wertung: 9 / 10

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Ein Kommentar zu “Disillusion – The Liberation

  1. Krasses Teil, ich habe die Platte jetzt etwa zehnmal gehört und für progressive Musik hat sie erstaunlich schnell gezündet, wächst aber immer noch. Ich kann keinen Schwachpunkt ausmachen, die einzig winzig kleine Kritik wäre, dass es noch einen Hauch mehr der ganz magischen Momente geben könnte. In seiner Gesamtheit aber noch deutlich vor „Gloria“ und vor allem vor „Back To Times Of Splendor“, auch wenn ich da einschränken muss, dass ich mit diesem Werk einfach nie warm geworden bin. Umso geiler „Liberation“!!

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