Interview mit Alasdair Dunn von Ashenspire

Read the English version

Mit ihrem außergewöhnlichen Debüt „Speak Not Of The Laudanum Quandary“ haben die schottischen Avantgarde-Metaller ASHENSPIRE ein zutiefst emotionales und zugleich interessantes Album geschaffen, auf dem sie sich mit dem britischen Imperialismus auseinandersetzen. Leadsänger/Drummer Alasdair Dunn erzählt, was es mit ihrem Avantgarde auf sich hat, wieso er eher spricht denn singt und welchen Bezug der Album-Opener „Restless Giants“ zur derzeitigen Flüchtlingsproblematik hat.

ASHENSPIRE ist ein sehr interessanter Name. Was bedeutet er?
Der Name bezieht sich auf eines der hervorstechendsten Elemente der britischen Architektur, etwas, für das ich mich persönlich sehr interessiere. Insbesondere relevant für unser aktuelles Album sind die riesigen industriellen Schornsteine, die zeitweise die Skyline der meisten Industriestädte hier dominiert haben. Die Resultate sieht man hier immer noch auf den meisten älteren Gebäuden, die sind schwarz befleckt vom Ruß. Der Name bezieht sich außerdem auf die brutalistischen Strukturen, die die Architekten in den 70ern präferiert haben und die man hier heute noch sehr gut sehen kann. Das wird auf zukünftigen Releases vielleicht noch relevant…

Eure Musik ist recht ungewöhnlich und wird eher wenig aufschlussreich als Avantgarde Metal kategorisiert. Wie würdest du denn eure Musik beschreiben?
Ein berechtigter Einwurf. Dass etwas „gegen den Strich“ geht, sagt eigentlich gar nichts aus. Ich würde sagen, es ist ein bisschen Black Metal dabei, ein bisschen 70er-Prog, ein bisschen Jazz-Fusion, ein bisschen theatralische Großspurigkeit. Einer der Vorteile der Mehrdeutigkeit des Begriffs „Avantgarde“ ist, dass wir unseren musikalischen Pfad komplett verlassen können, wenn es uns in den Sinn kommt, ohne dass irgendjemand etwas dagegen tun könnte.

Ihr verwendet verschiedene Instrumente, nicht nur die typische Metal-Instrumentalisierung. Vor allem die Geige scheint in euren Kompositionen eine tragende Rolle zu spielen. Warum gerade die Geige?
Nun, um ehrlich zu sein, war einer der Gründe die Bequemlichkeit. Ich hatte Musik mit vielen Harmonien geschrieben und James [Johnson; Perkussion, Geige] und ich hatten zu dem Zeitpunkt ein paar Jahre lang hin und wieder ein paar Jamsessions gemacht. Es war also eine komplett natürliche Entwicklung. Außerdem passt die Geige natürlich gut zur Ästhetik unseres aktuellen Albums, gemessen daran, dass es sich auf das 19. Jahrhundert bezieht.

Warum habt ihr euch dazu entschieden, die Texte nicht durch normalen Gesang oder Screaming, sondern durch Sprechgesang vorzutragen?
Ich war sehr stark von einem Mann mit dem Namen Mr. Doctor beeinflusst, er war der Sänger der slowenischen Experimental-Rock-Band Devil Doll. Der Schlüssel war der Ausdruck. Die Musik und die Thematik unseres aktuellen Albums erforderten einen Gesangsstil, der diesbezüglich nicht begrenzt war. Ich hatte oft das Gefühl, dass gewöhnliche Screams in ihrer Bandbreite stark eingeschränkt sind und nur wenige Emotionen auszudrücken vermögen. Mr. Doctor war diesbezüglich ein Meister seines Fachs. Er klang völlig wahnsinnig, wenn er es wollte, konnte aber ebenso sanft und nuanciert sein. Außerhalb der Band singe ich sogar ziemlich regelmäßig, aber es war mir wichtig, die Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit der Botschaft auf eine intuitive (wenn auch absurde) Weise auszudrücken.

Ist dieser Sprechgesang anstrengender oder schwieriger einzusetzen als normaler Gesang?
In gewisser Weise. Er ist emotional auszehrend, auf jeden Fall. Man nimmt eine Rolle ein und versucht, in sehr physischer Weise Emotionen zu kanalisieren, die über die eigenen hinausgehen. Aber ich würde es gar nicht anders wollen.

Die Vocals erinnern ein wenig an Primordial oder My Dying Bride, die Geige hingegen an Ne Obliviscaris. Gehören diese Bands zu euren Einflüssen und welche Bands dienen euch sonst so als Inspiration?
Primordial waren lange Zeit eine meiner liebsten Bands und haben mich tatsächlich beeinflusst. My Dying Bride nicht so sehr und obwohl ich Ne Obliviscaris sehr mag, haben sie mein Songwriting nicht direkt inspiriert. Wenn es um unsere Einflüsse geht, kommt man nicht an A Forest Of Stars vorbei, mit denen teilen wir einige Gemeinsamkeiten. Weitere erwähnenswerte Bands sind Vampillia, Voices, Vulture Industries, Dødheimsgard, Pensées Nocturnes, Snarky Puppy und noch einige.

Auf eurem Debüt „Speak Not Of The Laudanum Quandary“ prangert ihr die Absurditäten und Gräueltaten des britischen Imperialismus an. Wie kamt ihr darauf, über dieses Thema zu schreiben?
Nun, es fing mit meinem Überdruss für Romantisierung und meinem Blick auf soziale Ungerechtigkeit an. So oft entscheiden wir uns dafür, unsere Geschichte zu zensieren, um sie uns schmackhaft und rechtfertigbar zu machen. Hilft uns wohl, nachts schlafen zu können. Offen gesagt, fühlt es sich so an, als sei diese Thematik den meisten britischen Bürgern unbekannt. In Zeiten wie diesen ist es wichtiger denn je, dass wir uns an die Verantwortung erinnern, die wir für viele Ungerechtigkeiten in dieser Welt tragen, und daran, wie unsere ausbeuterischen Handlungen sich auch Generationen später in der modernen Gesellschaft fortsetzen. Nicht, dass uns diese Verantwortung sehr willkommen wäre…

Wie genau habt ihr euch mit der Thematik auseinandergesetzt? Habt ihr viel einschlägige Literatur gelesen?
In erster Linie wissenschaftliche Zeitschriften und andere Literatur, ja. Es ist recht einfach, Dokumentationen über die verschiedenen Grausamkeiten und Umstände des Imperiums zu finden. Aber das Thema ist für mich schon lange Zeit von Bedeutung, also geht das schon weiter zurück.

Wie steht ihr eurer Heimat, Großbritannien, denn im Allgemeinen gegenüber?
Nun ja, das allein steht ja schon zur Debatte, immerhin kommen wir ja aus Schottland. (lacht) Um ehrlich zu sein, es ist ein großes Privileg, vergleichsweise luxuriös zu leben. Gleichzeitig ist Großbritannien gerade aber auch ein ziemliches Durcheinander. Der rechte Populismus erhebt sich immer mehr, die Inanspruchnahme von Armenküchen ist in die Höhe geschossen und es passieren immer mehr Hassverbrechen gegenüber Minderheiten. Es ist alles ein bisschen elend, eigentlich.

Wollt ihr das Konzept des britischen Imperialismus auch auf späteren Alben weiter fortführen oder werdet ihr euch in Zukunft anderen Themen zuwenden?
Wir werden vielleicht einmal darauf zurückkommen, vorerst aber nicht. Auf dem nächsten Album werden wir uns ganz anderen, aber auch nicht ganz unzusammenhängenden Observierungen zuwenden.

Welcher Song auf „Speak Not Of The Laudanum Quandary“ bedeutet dir am meisten und warum?
Die Antwort auf diese Frage schwankt natürlich regelmäßig. Der momentan relevanteste Song ist aber wohl „Restless Giants“, ein Song über die Demütigungen und die Gleichgültigkeit, die Flüchtlingen entgegengebracht werden. Die expliziteste Verweis bezieht sich auf die Highland Clearances (eine Gräueltat, die an den ländlichen Familien der schottischen Highlands begangen wurde) sowie die Zertretung der indigenen Völker durch das Imperium. Es lässt sich jedoch viel mehr auf Europa im Jahr 2017 anwenden.

Das Cover sieht aus wie ein Schiffsrumpf, was ja auch zum Konzept passen würde. Was genau sehen wir denn darauf und was hat es mit dem Cover auf sich?
Da liegst du völlig richtig! Es ist ein Gemälde unseres Freundes Mr. Ryan Mutter, der ein recht angesehener Glasgower Künstler ist, und es trägt den Titel „Tightening The Bolts“. Es zeigt zwei Hafenarbeiter, die ihre Arbeit an einem großen Schiff in den Docks von Glasgow beenden. Glasgow war früher mal eine der Städte mit den besten Schiffsbauern der Welt, doch inzwischen nicht mehr. Unser Song „Mariners At Perdition’s Lighthouse“ erzählt von den Leben und Anstrengungen der Hafenarbeiter. Was ich daran so passend finde, ist, dass man selbst in den Tiefen der industriellen Szenerie eine gewisse persönliche Verbindung mit den Hafenarbeitern fühlen kann. Zerdrückt von der Monstrosität, die sie instand halten.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Scott MacLean (Falloch), der sich auf dem Album um Piano, Orgel und Synthesizer gekümmert hat?
Er ist mir ein sehr enger Freund und eine stetige Quelle neuer und erhellender Musik. Ich lernte ihn kennen, als ich mit Falloch zusammen jammte und schließlich für sie live Drums spielte. Eine Zusammenarbeit kam da auf beiden Seiten sehr natürlich. Es ist mir eine Freude und ein Privileg, ihn mit an Bord zu haben.

Grundsätzlich tretet ihr auch live auf. Mit welchen Bands würdet ihr denn gerne einmal die Bühne teilen?
Da gibt es so viele! Realistisch gesehen würden wir gerne mal mit Bands zusammen spielen, mit denen wir musikalische Ideen teilen. Neben den bereits genannten wären das Oranssi Pazuzu und Schizoid Lloyd, beides phänomenale Bands live und auf Platte. Wir haben die Ehre, im April mit Ash Borer aufzutreten, einer weiteren Band, die wir lieben. Schließlich hoffe ich, dass wir einmal mit Sigh die Bühne teilen werden dürfen, vielleicht sogar Ulver, wenn man ganz schwelgerisch darüber nachdenkt.

So, dann kommen wir langsam zum Ende unseres Interviews. Zum Schluss möchte ich dich noch bitten, an unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming teilzunehmen. Bitte sag, was dir zu den folgenden Begriffen in den Sinn kommt:
Brexit: Kollossaler Fehler. Die negativen Auswirkungen werden wir noch jahrzehntelang spüren.
Oldschool Metal: Hüftschwingende Güte. Je mehr Leuchtsignale und Hammondorgeln wir in den Metal packen können, desto besser.
Tee: Hach, da hab ich nichts dagegen.
Lieblings-Metal-Leadsänger: Niemand hat eine Chance gegen Ronnie James Dio.
Die Queen: Ein grundlegendes Objekt des Konzepts der Monarchie.
ASHENSPIRE in fünf Jahren: Saxofone – viele Saxofone.

Alles klar, dann nochmals vielen Dank für dieses Interview. Gibt es noch etwas, das du unseren Lesern mitteilen möchtest?
Danke dir für die Fragen, es ist niemals unerquicklich, eine Tribüne angeboten zu bekommen. Ich hoffe, die Leser erfreuen sich an dem Album und nehmen sich die Zeit, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen, die es anspricht. Vor allem wollen wir eine Diskussion auf den Weg bringen, also ist es uns wichtig, zu hören, was die Leute darüber zu sagen haben.

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert