Interview mit Julien Truchan von Benighted

Seit mittlerweile 22 Jahren liefern die französischen BENIGHTED Brutal Death Metal auf allerhöchstem Niveau. So wurde ihr neuestes Werk „Obscene Repressed“ wie der Vorgänger „Necrobreed“ zum Album des Monats der Redaktion gewählt. Das Gespräch mit Sänger Julien Truchan dreht sich dieses Mal jedoch nicht nur um das neue Release, sondern auch um die Covid-19-Pandemie, mit deren Folgen er als Krankenpfleger besonders konfrontiert ist.

Hallo Julien. Das Label hat uns informiert, dass du dich mit dem Corona-Virus angesteckt hast. Hast du dich gut davon erholt?
Ja, ich habe mich auf der Covid-Station damit angesteckt, wo ich als Krankenpfleger seit Mitte März gearbeitet habe. Ich hatte eine Woche lang starkes Fieber, Kopfschmerzen, eine Lungenentzündung und hatte Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Glücklicherweise habe ich mich schnell erholt und konnte die Arbeit wieder aufnehmen. Ich bin wieder fit, habe wieder angefangen, Sport zu machen und warte ungeduldig darauf, dass die Konzerte wieder losgehen. Die ältere Dame, die mich angesteckt hat, ist allerdings in der Zwischenzeit leider am Virus verstorben.

Der große Ausbruch des Virus müsste ungefähr zu der Zeit gewesen sein, als ihr gerade das Album fertiggestellt habt – oder hat es die Arbeiten noch irgendwie beeinflusst?
Nein, das Album war schon im November fertig. Wir waren gerade in den finalen Vorbereitungen für die große Frankreich-Tournee und die super Festivals, die nach dem Erscheinen am 10. April stattfinden sollten – stattdessen lag ich mit 40 Grad Fieber im Bett. (lacht) Das war eine sehr frustrierende Zeit, es war eigentlich alles perfekt für den Release von „Obscene Repressed“.

Das öffentliche Leben ist in Frankreich momentan noch stark eingeschränkt: Wie betrifft euch das als Band? Ihr könnt euch ja sicher nicht zum Proben treffen?
Genau, man darf sich nicht weiter als 100 Kilometer von seinem Wohnort entfernen, und da wir alle 200-600 Kilometer auseinander wohnen, steht alles auf Halt. Aber es arbeitet jeder für sich weiter an neuen Songs.

Konzerte, die dieses Jahr hätten stattfinden sollen, sind bis auf Weiteres ausgesetzt. Versucht ihr, daraus auch etwas Positives zu ziehen, beispielsweise dass ihr mehr Zeit mit euren Familien verbringen könnt, oder seid ihr hauptsächlich enttäuscht ?
Die anderen können vielleicht mehr Zeit mit ihren Familien verbringen – ich habe zwei Monate alleine verbracht, da ich nicht riskieren wollte, meine Familie anzustecken, da ich ja auf einer Krankenstation arbeite. Seit ich wieder gesund bin, habe ich versucht, ein Maximum an Sport zu machen und habe mich sehr gefreut, dass ich nach der Erleichterung der Ausgangsbeschränkungen endlich wieder meine Familie und meine Freunde sehen konnte.

In Deutschland hat die Krise eine lebhafte Debatte über die Bezahlung und die Wertschätzung von Pflege-Personal ausgelöst – denkst du als Krankenpfleger, dass das französische Gesundheitssystem in einem guten Zustand ist? Hätte man die Krise besser lösen können oder müssen?
Wir sind eins der Länder weltweit, in dem die Pflegekräfte am wenigsten wertgeschätzt und am schlechtesten bezahlt werden. Unsere Regierung versucht seit Jahren, den öffentlichen Dienst einzuschränken, da er zu teuer ist. Noch vor sechs Monaten, als Krankenpfleger und Pflegehilfen für bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Ausstattung demonstriert haben, sind sie von der Polizei, die die Regierung geschickt hat, mit dem Schlagstock verprügelt worden. Als die Krise ausbrach, hieß es plötzlich, wir seien „Helden, die das Virus an vorderster Front bekämpfen“. Die Regierung will jetzt eine Prämie an alle Pflegekräfte verteilen, so wie man einem Hund einen Knochen zum Abnagen hinwirft. Wir wissen genau, dass, sobald die Krise vorbei ist, sie uns weiter die Mittel kürzen werden, so wie sie das seit Jahren machen. Die finanziellen Interessen liegen ganz woanders als im Gesundheitssektor, das ist an Heuchlerei nicht zu überbieten. Die Krise wurde überhaupt nicht rechtzeitig erfasst und von völlig inkompetenten Leuten gemanagt.

Lass uns ein wenig über das Album sprechen: Das lyrische Konzept ist erneut sehr interessant und speziell: Kannst du erklären, an welcher psychischen Erkrankung der Hauptcharakter leidet?
Auf dem Album geht es um ein Kind, das schnell einen paranoiden psychotischen Wahn mit unkontrollierbaren Ödipus-Impulsen entwickelt. Ich wurde zu dieser Geschichte von einem Patienten inspiriert. Das Album erzählt von einem Jungen mit einer unoperierten Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, der im Haus eine Bandage auf dem Mund tragen muss, da seine Mutter ihn einerseits sehr abstoßend findet und gleichzeitig sehr beschützerisch ihm gegenüber ist. Er entwickelt schnell eine Psychose mit selbstkonstruierten Wahnvorstellungen, gespaltener Persönlichkeit und Halluzinationen. Er beschuldigt seinen Vater, den er hasst, ihn so geschaffen zu haben, damit er nie mit seiner Mutter zusammen sein kann. Er hasst auch alles außerhalb des Hauses der Eltern und entwickelt schädliche sexuelle Neigungen. Eines Tages, als er die Ambivalenz seiner Mutter und die schlechte Behandlung durch seinen Vater nicht mehr erträgt, schneidet er sich als symbolischen Akt die Lippen mit dem Rasierer des Vaters ab und legt diese der Mutter auf einen Teller mit Essen, denn diese weigert sich, sich von ihm küssen zu lassen. Sie stellt erst fest, was sie gegessen hat, als er seinen Verband abnimmt und er dadurch „mit dem Teil zu seiner Mutter zurückgekehrt ist, der sie am meisten anwiderte“.

Hat das Albumkonzept Auswirkungen darauf gehabt, wie ihr das Songwriting angeht?
Tatsächlich nicht, da die Musik alleine von Emmanuel (Dalle, Gitarrist der Band, Anm. d. Red.) komponiert wurde. Ich habe die Atmosphäre jedes Stückes genutzt, um damit einen passenden Teil der Geschichte zu erzählen.

Seit 2017 sind zwei neue Musiker zur Band gestoßen, Fabien Desgardins und Kévin Paradis: Was haben sie zum Album beigetragen?
Emmanuel hat das Album komplett geschrieben: Er hat sogar die Schlagzeug-Parts auf den Demos programmiert, die Kévin dann angepasst und seinen Ideen entsprechend verändert hat. Er hat außerdem eine Monster-Arbeit für „Obscene Repressed“ gemacht – sein Schlagzeugspiel ist herausragend, einerseits super intensiv und andererseits von einer unglaublichen Originalität. Was die Songs angeht, kann jeder seine Ideen und seine Meinung einbringen – das Ziel ist immer, dass sie am Ende so gut wie möglich klingen.

“Obscene Repressed” ist das neunte Album, das BENIGHTED veröffentlicht haben. Gibt es Aspekte bezüglich des Prozesses (Brainstorming, Songwriting, Aufnahmen), die dir auf die Nerven gehen?
Nein, jede Etappe ist spannend und macht mir Spaß, ob es um das Songwriting, die Struktur, das Texteschreiben oder die Aufnahmen der Vocals geht. Das einzig Nervige ist, dass man sechs Monate warten muss, bevor das Album rauskommt, nachdem man fertig ist. (lacht) Aber darüber haben wir keine Entscheidungsmacht.

Habt ihr manchmal Schreibblockaden? Was macht ihr in diesen Fällen?
Wir machen uns keinen Druck, machen eine Pause und versuchen später, weiterzumachen.

Das Album habt ihr wieder im Studio von Kristian Kohlmannslehner aufgenommen. Macht er während der Aufnahmen Anmerkungen bezüglich der Struktur der Lieder? Diskutiert ihr darüber, wie man den Sound verbessern kann? Wie genau läuft es ab?
Kohle ist sicher das sechste Bandmitglied. Wir schicken ihm Demos der Stücke und denken gemeinsam vorab über den Sound jedes Instrumentes und die klangliche Identität nach, die wir ihm verleihen wollen. Wir haben bei „Necrobreed“, das sehr direkt und aggressiv war, eher einen lauten und dreckigen Sound angestrebt, weil das am besten zu den Songs gepasst hat. Für das neue Album mit seinen komplexen Riffs brauchten wir einen klaren, druckvollen und modernen Sound, damit alles gut rüberkommt. Während der Aufnahmen zögert Kohle nie, uns Ideen zu geben, die Struktur eines Songs zu verändern oder wie man einen Refrain besser hervorbringen kann. Er hat eine Herangehensweise, die sehr viel mehr „Mainstream“ ist als unsere. Daher hat er manchmal Ideen, die uns nicht in den Sinn kommen würden und die sich als sehr gut herausstellen.

Unterhaltet ihr euch dann eigentlich auf Deutsch, Französisch oder Englisch?
Mit Kohle ? Alle drei. (lacht) Er spricht ein bisschen Französisch, ich spreche Deutsch, meistens reden wir aber trotzdem Englisch, damit alles flüssig läuft.

Sebastian Grihm von Cytotoxin, Karsten Jäger von Disbelief und Jamey Jasta haben auch einige Zeilen beigetragen. Haben sie auch auf Deutsch oder Französisch gesungen?
Sie haben alle auf Englisch gesungen.

Wir sind am Ende des Gesprächs angekommen. Ich werde dir einfach noch ein paar Begriffe nennen und du sagst mir, was dir dazu einfällt:
Impfgegner: Ich bin gegen die systematische Impfung, außer bei Kinderkrankheiten.
Bill Gates: Ich fühle mich von dieser Welt so weit entfernt, dass mich das überhaupt nicht interessiert.
Pastis: Ich kenne viele Sorten von Alkohol, aber das ist vielleicht der einzige, den ich nicht mag. (lacht)
Dein Lieblingsessen: blutiges Rinderkotelett
Deine Lieblings-Nicht-Metal-Band: The White Buffalo

Danke für das Gespräch. Bis bald.
Danke auch an dich!

Publiziert am von Pascal Stieler

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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