Interview mit Blanc Feu von Cantique Lépreux

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Winterliche Kälte ist seit jeher ein essentielles Charakteristikum von Black Metal. Dennoch gibt es nur wenige Bands, die dieses Stilelement derart umfassend in ihren Sound integrieren wie CANTIQUE LÉPREUX aus Québec auf ihrem aktuellen Album „Paysages Polaires“. Warum man die Texte und Bilder jedoch nicht zu wörtlich nehmen sollte, was es mit der bemerkenswerten Geschichte hinter dem Artwork auf sich hat und woher die Band ihre Inspiration bezieht, erfahrt ihr in unserem Interview mit Frontmann Blanc Feu.

CANTIQUE LÉPREUX scheint mir ein ziemlich morbider, von Gegensätzen geprägter Bandname zu sein. Was war euer Gedanke dahinter?
Der Bandname würde so etwas wie „Leprahymne“ bedeuten. Er ist surreal, aber das ist so beabsichtigt. Man könnte sagen, er repräsentiert Black Metal: ein krankes, spirituelles Lied, ein Fluch, den man auf die Welt wirft. Und Lepra ist eine sehr interessante Krankheit, denn sie ist uralt und hat ein mythisches Element, das ein Gefühl der Zeitlosigkeit vermittelt.

Ihr seid ein Trio und spielt auch in mehreren anderen Bands zusammen. Warum war es euch trotz dieser anderen Projekte wichtig, zusammen CANTIQUE LÉPREUX zu gründen?
Irgendwann bekamen wir das Gefühl, dass wir eine Band brauchten, die sich auf den Geist konzentriert, der die Atmosphäre von Bands in sich trägt, die uns damals zum Black Metal brachten. Zu dieser Zeit hatte ich bereits eine Reihe von Songs in dieser Richtung, aber es dauerte bis 2014, bis wir eine Auswahl getroffen hatten. Dann mussten wir viel darüber nachdenken, in welche Richtung wir gehen würden. Du kannst dir kannst dir schon denken, dass wir den kalten, kosmischen und doch lyrischen Weg gewählt haben.

Was ist deiner Meinung nach der essentielle musikalische Kern von CANTIQUE LÉPREUX?
Unser Kern ist, den Legenden des Genres Respekt zu zollen. Ich sehe uns jedoch nicht als Klon oder Hommage-Band der 90er Jahre.

Eure Musik kann man ohne Zweifel als eiskalten Black Metal bezeichnen. Woher beziehst du deine Inspiration als Künstler?
Du hast vielleicht schon erraten, dass die Musik selbst eine große Rolle für uns spielt. Wir lieben Black Metal aus allen Epochen und Ländern, nicht zu vergessen den „Métal Noir Québécois“. Wir lassen uns auch viel von Wanderungen und den Landschaften von Québec inspirieren, aber es scheint, dass die Menschen in ihrer Interpretation unserer Texte und Bilder alles sehr wörtlich nehmen, also lass uns noch etwas hinzufügen. Ich interessiere mich zum Beispiel wirklich für Kino, Horrorfilme und die Filme von Andrej Tarkowski. Auch die Literatur aus Québec: Hubert Aquin und zeitgenössische Autoren wie Andrée A. Michaud und Gaétan Soucy. Ich habe früher viele Gedichte gelesen, aber ich bin da nicht mehr auf dem Laufenden. Ich mag immer noch Gedichte von Roland Giguère und Fernand Ouellette.

Gerade in südlicheren Regionen klingen Black-Metal-Bands oft sogar recht warm und erdig. Was hältst du von dieser anderen Herangehensweise?
Sorry, ich habe nie darüber nachgedacht und bin mir nicht sicher, ob ich Beispiele finden würde, um meine Einfälle dazu zu untermauern.

Im Gegensatz zu vielen anderen Black-Metal-Bands habt ihr bisher keine Demos, EPs oder Splits herausgebracht, sondern ausschließlich zwei volle Alben. Könnt ihr kürzeren Veröffentlichungen nicht so viel abgewinnen?
Wir haben uns immer auf die Veröffentlichung von Full-Lengths konzentriert, die im Studio aufgenommen wurden (obwohl wir die meisten Aufnahme- und Mischaufgaben selbst erledigt haben). Wir wollten nichts herausbringen, was nach Proberaum klingt, und eine EP schien uns nicht für ein gutes Debüt geeignet. Splits haben wir in Betracht gezogen, aber es war schwierig, all dies zu koordinieren, sodass es nicht dazu kam.

Euer aktuelles, zweites Album „Paysages Polaires“ ist nach einem Gedicht von René Chopin benannt. Der Titel wirkt fast schon friedlich, die Musik hingegen ist sehr wild und dramatisch. Warum ist es deiner Ansicht nach trotzdem der perfekte Titel für die Platte?
Wie gesagt, die Menschen nehmen vieles sehr wörtlich in ihrer Interpretation… Sie übersehen den Sinn. Die Sache ist die, dass das nicht buchstäblich „Paysages Polaires“ (Polarlandschaften) sind. Sie repräsentieren die Reisen in uns selbst, durch feindselige und doch intime Territorien. Lebensbedrohliches Wetter und der harte Kampf ums Überleben spiegeln das Elend und die Dunkelheit in unserer Musik wider. Wir greifen nach den Extremen auf der Außenseite, aber auch in uns. Jedes Lied ist eine Herausforderung, bei der wir uns selbst testen.

In Kanada gibt es gewiss sehr beeindruckende Winterlandschaften. Wie hat sich jedoch deine Faszination dafür entwickelt?
Weißt du, wir leben in Québec. Kanada ist für uns wie ein fremdes Land, es ist, als würdest du mit mir über die Vereinigten Staaten reden. Zu meinem Interesse an Québecs Landschaften, nun, ich habe immer viel Zeit im Freien verbracht, seit ich jung war. Unsere Berge sind sehr alt und die Erosion durch Wind und Regen lässt sie wie riesige Hügel und nicht wie spitze Zähne aussehen. Ich denke, der wichtigste Aspekt meines Interesses ist, dass wir Millionen von Seen und Tausende von Flüssen haben. Wir haben ein riesiges Gebiet und das meiste davon ist Wildnis. Es ist einfach, der Stadt und der Zivilisation zu entkommen.

Inhaltlich behandelt das Album also nicht nur die Natur in der kalten Jahreszeit, richtig? Welche Themen greift ihr darin sonst noch auf?
Trauer, Krankheit, die Ursprünge, Tod, Angst, Animismus, Identität, Transzendenz der Menschheit.

Schon auf eurem Debüt war die Kälte ein sehr präsentes Motiv. Denkst du, dass ihr euch irgendwann mehr auf andere Themen konzentrieren werdet?
Das tun wir grundsätzlich bereits, aber ja, die Bilder werden sich in naher Zukunft noch weiter ändern, wobei ich jedoch nicht bereit bin, jetzt genaueres preiszugeben.

Was ist deiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen eurem Debüt „Cendres Célestes“ und eurer neuen Platte?
Der Gesang ist lyrischer und ich denke, das Album ist dramatischer. Es gibt auch mehr Abwechslung in den Tempi und die Songs sind konzentrierter, ohne allzu direkt zu sein. Und sie haben natürlich eine bessere Produktion.

Auf dem Opener „Le Feu Secret“ setzt ihr auch chorartigen Gesang ein. Warum habt ihr dieses Stilmittel gerade in diesem Track und sonst nirgends eingebaut?
Hauptsächlich, weil es der einzige Teil ist, bei dem ich das Gefühl hatte, dass es passt. Ich habe noch mehr auf anderen Tracks aufgenommen, aber dann habe ich mich gefragt, ob es schon zu einem Muster wurde und vielleicht Erwartungen an unsere kommenden Alben hervorrufen würde, also habe ich sie wieder herausgenommen. Ich muss auch darauf achten, die Songs nicht zu sehr zu überladen – denn das mache ich spontan. Ich wollte nicht, dass das Album zu „überfüllt“ ist, denn das hätte die trostlose, weitläufige Atmosphäre, die wir anstrebten, zerstört.

Würdest du sagen, dass es auf „Paysages Polaires“ eine bestimmte Stelle gibt, die man als den Höhepunkt der Platte bezeichnen könnte?
Wir haben versucht, in jedem Song einen Höhepunkt zu erreichen, sodass es nicht nur einen gibt. Natürlich haben wir „Le Fléau“ an das Ende des Albums gesetzt, denn das letzte Riff mit schnellem Doublebass-Drumming ist ziemlich episch.

Das Cover zeigt das Gemälde „Crevasses On The Giant Glacier – Mont Blanc Massif“ von Gabriel Loppé. Wie seid ihr darauf gestoßen und wie kam es dazu, dass ihr es ausgewählt und verwendet habt?
Ich habe es zufällig gefunden. Der Maler war ein erfahrener Bergsteiger, der sein Material auf den Berg brachte und vor Ort damit etwas kreierte. Anscheinend hatten seine Kollegen ihn gebeten, zurückzugehen, wenn es dunkel und gefährlich wurde, aber er malte, bis es erledigt war. Das ist ziemlich mutig.

Wie bereits das Debüt wurde auch euer neues Album über Eisenwald veröffentlicht. Was schätzt ihr am meisten an der Zusammenarbeit mit gerade diesem Label?
Absolute Hingabe und den Respekt vor unserem Ansatz und unserer Kreativität. Außerdem sind sie sehr einfallsreich und unterstützend!

Wie wird es als Nächstes mit CANTIQUE LÉPREUX weitergehen? Habt ihr vor, schon bald an einem Nachfolger zu „Paysages Polaires“ zu arbeiten oder lasst ihr es erst mal langsam angehen?
Wir haben bereits mit der Arbeit am dritten Album begonnen! Etwa vier Songs gibt es im Moment. Ich habe viel Material, aber ich bin sehr streng, wenn es um Kohärenz geht.

Kommen wir als nächstes noch zu einem kurzen Brainstorming. Was kommt dir bei den folgenden Begriffen in den Sinn?
Wintersport: Langlaufski
Naturromantik: Sturm und Drang
Depressive Black Metal: Meh
Erderwärmung: Das Schlimmste kommt noch.
Soloprojekt: Eine gute Gelegenheit, zu experimentieren und über sich selbst hinauszuwachsen.
Derzeitiges Lieblingsalbum: Vemod – Venter På Stormene

Ich möchte mich nochmals für deine Antworten bedanken. Die letzten Worte sollen die deinen sein:
Cheers! Vielen Dank für deine eingehenden Fragen!

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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