Konzertbericht: St. Helena Doom Fest

26.05.2012 München, Kranhalle


Ein Wochenende Ende Mai in München: Der Frühling geht allmählich in den Sommer über und ein strahlend blauer Himmel und Temperaturen um die 27 Grad laden dazu ein, einen gemütlichen Tag in der Sonne zu verbringen. Die Musik, die sich bei einer Fahrradtour entlang der Isar aus der Richtung der vielen Grillwolken vernehmen lässt, reicht von Ska über Folk bis hin zu gut gelaunter Pop-Musik. Alles in allem ein idealer Tag und eine ideale Stimmung, die durch ein entsprechend musikalisch ausgerichtetes Konzert am Abend als Biergarten-Alternative sicher noch verstärkt werden kann. Aber weil in München vieles anders ist, findet an einem derartigen Tag nicht das große Open-Air-Folk-Pop-Festival statt. Stattdessen lädt die Kranhalle im Feierwerk zu einem Event, das so gar nicht zu diesem beschwingten Wetter passen will: Das St. Helena Doom Fest geht in die zweite Runde. Nachdem im letzten Jahr Bands wie Amenra oder Blackwaves ihre mächtigen und düsteren Klänge zum Besten gaben, gibt es auch an diesem Abend musikalisch in Form von fünf Bands statt fröhlicher und entspannter Klänge ein Spektrum von Post Rock, Stoner Metal, Black Metal und Doom auf die Ohren.


Als wir das Feierwerk kurz vor dem angekündigten Beginn um 19.00 Uhr erreichen, müssen wir mit einem Blick auf die ausgehängte Running Order feststellen, dass der Opener WASSERMANNS FIEBERTRAUM bereits seit 18.45 auf der Bühne steht. Dass dies nicht nur für uns ärgerlich ist, da wir so nur noch die letzten drei Songs der Band sehen können, sondern auch für die Musiker nicht gerade optimal ist, zeigt sich an der nur sehr spärlich gefüllten Halle. Musikalisch wird hier astreiner Post Rock der etwas härteren Spielart geboten, wobei auch – ganz dem Bandnamen entsprechend – nicht mit verträumten Melodien gegeizt wird. Als Unterstützung für ihren Sound projiziert die Band zu den jeweiligen Songs ausgewählte Videos auf eine Leinwand – auch WASSERMANNS FIEBERTRAUM haben hier unter anderem das von so ziemlich jeder Post-Rock-Band genutzte Video von Atomtests aus der US-amerikanischen Wüste gewählt. Die Kranhalle selbst ist dabei so stockfinster gehalten, dass man die Band auf der Bühne kaum erkennen kann und sich das ganze Konzert nach einer Attacke aus der Nebelmaschine – um Kollege Moritz Grütz zu zitieren – wahrlich zu einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ entwickelt. Insgesamt ist das, was die junge Band präsentiert, nicht schlecht, allerdings teilweise zu durchschaubar. Das große Finale erinnert in seiner Gewalt sehr an Mono, der Weg zu diesem Finale allerdings gestaltet sich etwas unspektakulär. Alles in allem bietet dieser Auftritt für die Anwesenden aber einen stimmigen Beginn für einen langen Abend.
[Bernhard Landkammer]


Bereits an zweiter Stelle im Lineup stehen die Italiener GOTTESMORDER (welche erst unlängst als Headliner im benachbarten SunnyRed zu bestaunen waren) – wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Band bislang grade so das Material für eine gute halbe Stunde Show beisammen hat. Dass das Trio Bock auf den Gig hat, zeigt sich bereits beim Soundcheck, wo Schlagzeuger Matteo gleich mal ein ordentliches Solo aufs Parkett zaubert. Vielleicht etwas unpassend zu dieser Gelegenheit, musikalisch jedoch keinesfalls schlecht.
„Keinesfalls schlecht“ wäre eine Untertreibung bezüglich dessen, was die drei im Folgenden vom Stapel lassen: In schlichtweg beeindruckendem Sound, welcher wohl der fast schon dekadenten Kombination aus einem guten Soundmann und exquisitem Gitarren-/Bass-Equipment zuzuschreiben ist, stellen die Italiener mit ihrem sehr Black-Metal-lastigen Material doch einen recht krassen Kontrast zum Opener des Abends dar. Sicherlich nicht jedermanns Sache, gerade an einem Abend wie diesem, der doch eher in Richtung Post Rock denn Black Metal tendiert – alle, die auf etwas härtere Klänge stehen, bekommen hier jedoch eine wirklich engagierte Show geboten, die gerade gegen Ende hin mitzureißen vermag.


Der Kontrast zwischen Gottesmorder und den ebenfalls aus Italien stammenden ZIPPO ist – schon was die Anzahl der Musiker auf der Bühne betrifft – recht deutlich. Statt drei stehen hier nun wieder fünf Leute auf den Brettern, was natürlich doch etwas mehr Spielraum in der Komposition und dem Arrangement der Songs zulässt, und präsentieren statt schwarzmetallen gefärbter Post-Rock-Klänge groovenden Southern Rock.
Das funktioniert soweit auch recht gut, beschränkt man sich auf die Musik: Diese drückt kräftig aus den Boxen, bietet mit eingeworfenen Instrumentalspielerein genug Abwechslung um auch auf längere Strecken zu gefallen, und klingt alles in allem sehr durchdacht. Allein, wie es bei den meisten Bands eben so ist, gehört zur Musik auch Gesang, und dieser kann bei ZIPPO zumindest mich nicht überzeugen: Denn wo dieser in den harten, geschrienen Passagen tatsächlich sogar ziemlich kraftvoll klingt, ist der stilprägende Southern-Rock-Gesang für das Genre einfach zu dünn und kraftlos – hier müsste eine deutlich vollere Stimme her, keine Frage.
Ein wenig weiß Sänger Davide „Dave“ Straccione dieses Manko durch engagiertes Stageacting wie schwungvolles Schütteln seiner beachtlichen Mähne zu kompensieren – ein etwas fader Beigeschmack bleibt dennoch.
[Moritz Grütz]


Nach der geballten italienischen Fraktion zwischen Black Metal und Psychedelic-Stoner-Sound ist es nun an den Doom-Stoner-Heroen BLACK SHAPE OF NEXUS aus Mannheim, die Bühne zu entern. Auf dieser wird es nicht nur eng, da sich diese nun sechs Mitglieder teilen müssen, sondern auch aufgrund der mächtigen Verstärker-Wände, die die Bühne flankieren – Ehrensache, dass auch hier eine Sunn-Box ihren Platz hat. Die leichte Verzögerung im Spielplan wird von der Band bereits durch ihr sympathisches Auftreten beim Soundcheck wettgemacht – dass sich bereits bei diesem die Halle schlagartig füllt, zeigt, dass viele der Anwesenden eben auch wegen B-SON den Weg ins Feierwerk angetreten haben. Die kleine Lücke zwischen Bühne und erster Reihe wird vor Konzertbeginn von der Band mit einem charmanten „So, und jetzt kommt ihr alle mal den Schritt nach vorne, weil ist sonst nämlich scheiße so!“ sofort gefüllt.
Nachdem das neue Album, welches gut vier Jahre lang in der Mache war, erst vor einigen Wochen erschienen ist, konzentriert sich die Band weitestgehend auf Material von „Negative Black“. Dieses ist im Vergleich zu den vorangehenden Songs stärker auf Stoner-Elemente angelegt und schlägt im Vergleich ein beinahe schwindelerregendes Tempo an – welches natürlich immer noch maximal im Mid-Tempo-Bereich stattfindet. Die Kranhalle ist stattlich gefüllt und die Band hat sichtlich enormen Spaß an dem, was sie tut. Vor allem Sänger Malte, dessen Vocals zwischen hysterischem Kreischen und tiefem Growlen pendeln und zusätzlich von extremen Hall und zusätzlicher Verzerrung verfremdet werden, ist das ganze Konzert über in einem nahezu ekstatischen Zustand. Songs werden hier teilweise endlos gedehnt, Riffs immer wieder und wieder aufs Neue gespielt, das alles aber ohne langweilig zu werden. Vielmehr erzeugt der Sound der Mannheimer einen ganz eigenen Sog. Zum Schluss wird es noch einmal langsamer, die Köpfer des Publikums sind gesenkt und mit einem Feedback-Kreischen wird ein knapp 45-minütiger Auftritt zu einem stimmungsvollen Ende gebracht. Trotz einiger Längen definitiv ein beeindruckendes und mächtiges Konzert, das vom tollen Sound des heutigen Abends zusätzlich profitieren kann.


Schließlich ist es soweit und um kurz nach 23 Uhr erlischt das Umbau-Licht in der Kranhalle zum letzten Mal am heutigen Samstagabend und kündigt so den Headliner des St. Helena Doom Fests an: LIGHT BEARER. Während ein bedrohlicher elektronischer Klangteppich erklingt, der mit seinen tief dröhnenden Basstönen die Halle zum Zittern bringt, füllt sich der Raum vor der Bühne erneut mehr als ansehnlich. Auch wenn die Band im letzten September in München das wesentlich kleinere Sunny Red randvoll gemacht hat, ist der Anstieg der Zuschauer innerhalb dieses halben Jahres doch mehr als beachtlich. Schließlich betritt die Band, im Vergleich zum letzten Mal um zwei Mitglieder ausgewechselt, die in tiefes Blau getauchte Bühne und steigt mit dem Song von der kommenden Split-LP mit Northless in ihr Set ein. Tiefes Riffing, druckvolle Bässe, pure Leidenschaft, Alex CF’s aggressives Shouting: Hier stimmt tatsächlich einfach alles. Der Druck, den der für viele wahrscheinlich noch unbekannten Opener erzeugt, ist kaum beschreibbar, die Wechselspiele in den Dynamiken packend und die Bandmitglieder aufeinander eingespielt, wie ich es persönlich selten gesehen habe. Entsprechend ist auch das Publikum von der ersten Sekunde voll dabei, steht teils mit geschlossenen Augen da und lässt sich von der Musik umschließen, während sich andere zu rhythmischem Headbangen mitreißen lassen und einige wiederum die Köpfe in den Nacken legen, die Fäuste ballen und die Texte nach oben brüllen.
Nach dem ersten knapp 15-minütigen Ausbruch wendet sich Alex mit geschlossenen Augen und regelrecht schüchtern kurz an das Publikum und bedankt sich bei den Anwesenden sowie den Organisatoren und den übrigen Bands. Die folgenden drei Songs lösen alles ein, was man sich in den kühnsten Träumen von diesem Konzert erhofft hatte und beim letzten Auftritt in München aufgrund des matschigen Soundbreis leider nicht in Erfüllung gehen konnte. Sei es das erschütternde Gebrüll und der mehr als nur dramatische Aufbau in „Lapsus“, die ultimativ epische Klimax in „Prelapsus“, in welcher der Cleangesang nun von Gitarrist Matthew übernommen wurde oder die schier unfassbar schöne Melodieführung in „Primum Movens“ welche sich mit mächtigen Flächen und markerschütterndem Riffing abwechselt: Die im Vergleich zu den Studioversionen behutsam arrangierten Songs erfahren hier auf dieser Bühne ihre wahre Bestimmung. Die Atmosphäre ist schlicht umwerfend, Alex kann sogar auf die Textsicherheit des Publikums zählen, sobald er statt das Mikrophon zu benutzen einfach in die Menge schreit oder es in die ersten Reihen hält. Entsprechend fällt der Applaus zwischen den Songs und nach Konzertende aus, der schließlich gar nicht mehr aufhören will. Matthew schaltet daher noch einmal kurz das Mikrophon an, bedankt sich beim Publikum und verkündet „We don’t know any other songs.“ Ein mehr als würdiger Abschluss eines stimmungsvollen Abends.

Setlist:
1. Celestium Apocrypha, Book Of Watchers
2. Lapsus
3. Prelapsus
4. Primum Movens

Das St. Helena Doom Fest weiß auch in seiner zweiten Auflage zu begeistern – und das nicht nur ob des unschlagbar fairen Eintrittspreises von 11€ (VVK) beziehungsweise 14€ (AK) für ein internationales Lineup mit fünf qualitativ hochwertigen Bands. Sicher, das Wetter war nicht gerade die ideale Rahmenbedingung für ein derartiges Event und vielleicht wurden letztendlich auch einige potenzielle Besucher vom Biergarten in Beschlag genommen. Das ändert nichts daran, dass die Kranhalle sehr gut gefüllt war und fünf gute bis überragende Konzerte über die Bühne gingen. Besonders hervorzuheben ist hier sicherlich das Light Bearer Konzert, welches den Qualitäts-Unterschied der anderen Bands zu der Band aus England mehr als deutlich unter Beweis stellte und so verdeutlichen konnte, dass diese Band derzeit in ihrer eigenen Liga spielt. Auf eine Fortsetzung im nächsten mit einem ähnlich abwechslungsreichen Line-Up ist auf jeden Fall zu hoffen.

[Bernhard Landkammer]

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