Decapitated - Cancer Culture

Review Decapitated – Cancer Culture

Viele Bands werden im Laufe der Jahre von schlimmen Schicksalsschlägen heimgesucht – manche zerbrechen daran, manche wachsen damit. Und dann gibt es das polnische Death-Metal-Powerhouse DECAPITATED, das auf eine bewegte und bewegende Historie zurückblickt, die ihresgleichen sucht. Ein dramatischer Unfall mit dem Tourbus in Russland forderte 2007 das Leben von Schlagzeuger Witold „Vitek“ Kiełtyka, dem jüngeren Bruder von Band-Mastermind „Vogg“, und der damalige Sänger, Adrian „Covan“ Kowanek, trug schwerste Kopfverletzungen davon und ist seither auf den Rollstuhl angewiesen. Im Oktober 2011 entging die Band einer Flugzeugkatastrophe, nachdem das Fahrwerk des Fliegers aus den Vereinigten Staaten nicht ausfuhr und eine Notlandung eingeleitet werden musste. Weitere vier Jahre später wurden die Musiker in den USA für rund ein Vierteljahr festgenommen, weil ihnen eine gemeinsame Vergewaltigung vorgeworfen wurde, die Anklage wurde später fallen gelassen.

Das alles formt den rabenschwarzen Teil der Geschichte von DECAPITATED. Dem gegenüber steht Release um Release hervorstechend hochklassige Musik. Diese ist im Ursprung von äußerst technischer Couleur, bekam aber mit den beiden letzten Alben „Anticult“ und „Blood Mantra“ – durchaus zulasten von Geschwindigkeit und Brutalität – einen frischen Groove-Anstrich. Das hat wunderbar funktioniert und eröffnete der Band gewiss ein breiteres Publikum, wurde freilich aber auch kritisiert.

Mit dem neuen Album, „Cancer Culture“, wollte Songschreiber Waclaw “Vogg” Kiełtyka die Ausrichtung der Gruppe jedoch wieder zurück in die von früher gewohnten Fahrwasser führen. Zurück zu hochtechnischer Finesse, mit der er sich als Gitarrist auf diesem achten Studioalbum selbst herausfordern wollte. Das Ergebnis sind zehn fesselnde Stücke, die vor Ideenreichtum, Spielwitz und außerordentlichem Können der vier Protagonisten nur so strotzen.

Während der dem Release vorangestellte Titelsong nach dem Intro noch vergleichsweise bescheiden plakatiert, mit welch herausragenden Musikern wir es hier zu tun haben, geht es danach erst richtig los: ob es das Duett zwischen Gitarre und Schagzeug in der zweiten Hälfte von „Just A Cigarette“ ist, das noch von einem erhabenen Gitarrenlead begleitet wird, oder das von Blastbeat angetriebene, darauf folgende „No Cure“ mit seiner extravaganten Flüsterpassage – DECAPITATED haben so viele gute Ideen verarbeitet, es lässt den Hörer staunend zurück.

Für den vertrackt startenden Song „Hello Death“ konnten die Polen aus ihrem ukrainischen Nachbarland niemand geringeres als Tatiana Shmayluk von den Durchstartern Jinjer gewinnen, die mit ihrem unverkennbaren Gesang eine großartige Performance beisteuert und sich auf diesem fünften Titel als gelungene Bereicherung erweist. Insbesondere im Zusammenspiel mit „Rastas“ Screams ist Shmayluk ein absolut gelungenes Feature. Das nächste wartet direkt im Anschluss auf – mit dem One-and-Only von Machine Head – Robert Flynn! Nach dessen „Let’s go!“ wird das Tempo erhöht und der „Iconoclast“ losgelassen. Flynn überrascht vor seinen Trademark-Shouts darauf vorwiegend mit Klargesang und überlässt die Bühne zum allergrößten Teil dem angestammten Frontmann DECAPITATEDs. Insgesamt ist auch dies eine sehr ausgewogene Kollaboration und tolle Revanche Flynns, nachdem „Vogg“ 2019 bei der „Burn My Eyes“-Tour von Machine Head aushalf.

„Cancer Culture“ endet dann mit den anscheinend bewusst nach hinten gestellten Songs „Hours As Battlegrounds“ und „Last Supper“. Während erst genannter die mit am wenigsten Spannung geladene Nummer des Albums ist, fasst der Rausschmeißer die Charakteristik der Scheibe nochmal zusammen: hohes technisches Niveau, wilde Griffbrettrasereien und ein fantastisches Gespür für vielerlei Feinheiten inmitten der einzelnen Stücke. Damit sind Soli und vielfältiges Drumming gemeint, aber auch wiederkehrende Kurzsequenzen und Melodien, die den Tracks ihr Gesicht geben.

DECAPITATED sind zurück mit alter Härte und voller Vehemenz; und wenn ein Genie wie „Vogg“ Kiełtyka schon verrät, sich selbst herausgefordert zu haben, dann kann das Ergebnis entweder schwer überladen sein, oder es gestaltet sich eben wie auf „Cancer Culture“: als kurzweiliges Vergnügen hochklassigen Tech-Deaths mit durchweg anspruchsvollen und sehr abwechslungsreichen Songs. Leider ist die Platte mit 37 Minuten im Genre zwar gut im Schnitt. Aber eben auch zügig durchgehört. „Cancer Culture“ ist ein mächtiges Album und ein prädestinierter Kandidat für die stärksten Death-Metal-Scheiben des Jahres!

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Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Andreas Althoff

Ein Kommentar zu “Decapitated – Cancer Culture

  1. Krank gut (mal wieder), aber bei Decapitated auch nicht anders zu erwarten. Kaum eine Band liefert so konsequent auf derart hohem Niveau ab.

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