Review Thought Chamber – Angular Perceptions

Enchant gehören leider zu den Progbands, die nur sehr selten in unseren Gefilden touren und zudem auch in eher unregelmäßigen Abständen neue Alben veröffentlichen. Zu schade eigentlich, denn die Bay-Area-Rocker gehören zu den wenigen Bands des Genres, die wirklich noch rocken können und zudem mit Ted Leonard einen fantastischen Sänger an Bord haben. Doch spätestens jetzt sollten Enchant-Fans aufhorchen: Ted geht „fremd“ und präsentiert uns mit THOUGHT CHAMBER und ihrem Debütalbum „Angular Perceptions“ sein Progmetal-Bilderbuch.

Leider steckt hinter THOUGHT CHAMBER dabei nicht ganz so viel Leonard, wie ich es gern hätte: Die Songs wurden allesamt von Bandchef Michael Harris geschrieben, teilweise mit Unterstützung von Bassist Derek Blakley und Schlagzeuger Rob Stankiewicz. Ted erledigte seinen Job, dank des glorreichen Internets, von zuhause aus und hatte somit im Songwriting-Prozess wohl maximal ja oder nein zu sagen. Das ist zwar schade, aber dennoch wollen wir dem Projekt natürlich die Chance geben, die es verdient.

Fangen wir mit Äußerlichkeiten an: Das Cover der Platte gibt schon mal klar und deutlich die Marschrichtung der Musik vor. Ein metallisches, konstruiertes Auge betrachtet eingehend eine vor ihm sitzende Frau und liest dabei ihre Gedanken – in Form von Noten, Sprache und Formeln. Das Cover wirkt technisch-kühl und hat einen unabdingbaren Science-Fiction-Charakter, was ich schon mal enorm cool finde. Auf dem Backcover konnte man dann allerdings die Klischeekiste wohl wieder nicht außen vor lassen: Warum müssen da metallische Greifarme ein grausam schlecht animiertes Gehirn festhalten!?

Wie oben schon angedeutet: THOUGHT CHAMBER stehen nur bedingt auf warme, einlullende und melodische Mucke. Hier wird noch der technische Show-Off zelebriert, in allen möglichen Farben und Formen. Dabei geht es wirklich abwechslungsreich zu, da die Band auch Einflüsse aus Funk, Jazz und Klassik (gelungen!) einbindet. Dennoch wirkt der Sound stellenweise seltsam überdreht, er sprudelt vor Ideen- und Variantenreichtum nur so über, wirkt aber dadurch zumindest zu Beginn wenig homogen. Das legt sich mit ein paar Hördurchgängen. In der Tat ist „Angular Perceptions“ für den Progmetal aber so etwas wie Frost 2006 für den Progrock war. Eine seltsam überkandidelte, aber dennoch frische Platte, die so frickelig und unterhaltsam ist, dass sie das Genre beinahe aufs Korn nimmt. Dazu kommen eben noch die genrefremden Einflüsse und die Popcorn-Produktion mit den schrägen und quiekigen Sounds – das muss man mögen, aber es gibt dem ganzen eine wirklich moderne und frische Note. Wenn man zu Progmetal Party machen kann, dann mit THOUGHT CHAMBER.

Okay, nun ist nur noch die Frage: Wieviel Raum bleibt für einen Sänger wie Ted Leonard, die ohnehin schon zugestopften Arrangements mit Vocals zu füllen, die sowohl melodisch als auch emotional mitreißen? In drei Fällen, nämlich dem einleitenden „Premonition“ und „Mr Qwinkle’s Therapy“ und „Accidently On Purpose“ verzichtet man schon mal auf Gesang, „Balance Of One“ wird (angeblich!) von Iniator Harris selbst gesungen (ich höre da eigentlich auch Ted raus). Bleiben also noch sechs Nummern, in denen Ted sich entfalten und beweisen kann. Gleich der erste Auftritt im siebenminütigen „Sacred Treasure“ haut einen dabei dermaßen aus den Socken, dass man gar nicht anders kann, als die Repeat-Taste zu drücken. Die Band agiert auf schwindelerregend hohem Niveau, hat Fun-Einfälle für das Keyboard- und Basslager, wie sie früher nur von Spock’s Beard kamen und groovt und rockt dennoch herrlich nach vorn. Teds Gesang passt sich wunderbar in diese Atmosphäre ein und versprüht einen mystischen Charm, der sofort mitreißt und den Hörer packt. Die Gesangsmelodien überzeugen und werden lange in Erinnerung bleiben – Ted transportiert sie federleicht ins Ohr des Hörers, ohne sich groß gegen die beinahe übermächtige instrumentale Allianz anstrengen zu müssen. Es ist einfach wunderbar, mal einen Sänger in einer metallisch ausgerichteten Band zu hören, der die üblichen Kreisch- und Quietschklischees links liegen lässt und dabei noch soviel Gefühl und Ausdrucksstärke in einem solch rauen Gesangsorgan transportiert wie Ted. „Sacred Treasure“ ist nun wirklich ein Progmetal-Superhit und für mich ganz klar die beste Nummer auf „Angular Perceptions“ und hat ungefähr so einen Suchtfaktor wie „Sinking Sand“ vom letzten Enchant-Album.

Im Verlauf des Albums gelingt es der Band immer wieder, großartige Hooklines zu präsentieren, die dauerhaft frickelnden und riffenden Begleitinstrumente machen mich aber mit zunehmender Spieldauer müde – das ist komisch, denn eigentlich gibt es daran nichts auszusetzen. Vermutlich wird mir der Popcorn-Progmetal der Jungs irgendwann zu viel, zumal die Struktur der Songs eigentlich immer recht ähnlich ist. Man beginnt meistens mit Gesang, frickelt kurz, präsentiert eine Bridge und frickelt dann ab Minute 3 bis kurz vor Songende, wo nochmals Ted seinen Spot bekommt. Schade eigentlich. Was Instrumentierung und Stilmix, sowie spaßige Einfälle angeht, hat man nach kurzer Zeit auch schon so ziemlich alles gehört. Positiv heraus sticht nochmal die ruhige Ballade „Silent Shore“ am Ende, sowie der letzte Track „A Mind Beyond“, der das Album so gelungen abschließt, wie es nach dem quasi Intro „Premonition“ mit „Sacred Treasure“ begonnen hatte.

THOUGHT CHAMBER sind vielleicht also ein Stück weit übers Ziel hinausgeschossen bzw. für mich einfach zuviel „Frickelmasse“ auf einmal. An fehlenden Hooklines oder einem schlechten Ted liegt es jedenfalls nicht. Instrumentales Können haben die Herren ganz sicher, doch man hört „Angular Perceptions“ einfach an, dass es ein Projekt-Album und kein Bandwerk ist. Das beginnt bereits bei der klinischen Produktion. Dennoch fällt die Bewertung nicht so schlecht aus, wie jetzt vielleicht erwartet. „Sacred Treasure“ ist grandios und auch viele andere Tracks sind sehr gut bis gut, doch ein ganzes Album davon ist mir zu viel. Genauso wie das leckerste Eis irgendwann nicht mehr reinpasst oder nix besonderes mehr ist.

Anspiel-Muss: „Sacred Treasure“ (gibt es auf der MySpace-Seite der Band zu hören – www.myspace.com/thoughtchamber )

Wertung: 8 / 10

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