Review Eisbrecher – Schock

  • Label: Sony
  • Veröffentlicht: 2015
  • Spielart: Rock

Blickten auf „Die Hölle muss warten“ noch Alex Wesselsky und Noel Pix in Persona grimmig in die Augen der CD-Käufer, so sind es dieses Mal die dunklen Augen eines Eisbärs, die „Schock“ näherbringen. Ein Schritt zurück ins Eis? Auf kalt!? In jedem Fall haben EISBRECHER bei ihrer neuesten Veröffentlichung den Fuß wieder spürbar mehr auf dem Gaspedal. Und spielen so ihre Stärken vollends aus, ohne neue Fans zu vergraulen.

Bereits die Videosingle „Zwischen uns“ (mit Unterstützung von Nina de Lianin, In Strict Confidence) deutet an, dass der Deutschrockdampfer anno 2015 mit voller Kraft voraus unterwegs ist. „Da ist noch mehr zwischen uns“ haucht die erotische Frauenstimme im Dialog mit Rampensau Wesselsky repetitiv ins Mikro. Oder ist es doch eher das „Meer“? Das Video lässt manche Fragen offen, beweist aber wiederum, u.a. durch die FBI-Uniformen der Bandmitglieder, mit welch Intelligenz, Charme und hintergründigem Wortwitz sich Eisbrecher Alex manch einem seiner Texte widmet. So man dies erkennen will – und kann. Wer sich EISBRECHER musikalisch-oberflächlich nähert, wird dem Projekt nicht immer vollends gerecht und landet schnell bei vordergründigen Vergleichen mit Rammstein, Unheilig und allem, was sich auf ähnliche Art und Weise Rang und Namen erspielt hat.

Diese Vergleiche kommen sicher nicht immer von ungefähr und mögen angebracht sein, besonders wenn die Brecher selbst wie in „Dreizehn“ gleich mehrfach Rammstein zitieren. Doch verstecken sich Käpt’n Alex und seine Crew nicht hinter bekannten Genregrößen: „Volle Kraft voraus“ als Opener gibt die Marschrichtung deutlich vor. Ein kurzes synthetisches Intro leitet auf krachende Gitarren, treibendes Schlagzeug und ausdrucksstarken Gesang über. Diese Mischung hat EISBRECHER bekannt gemacht und diese Mischung beherrschen sie, das zeigt sich auch im Titeltrack „Schock“. Dass mit Sony eines der finanzkräftigeren Labels hinter der Veröffentlichung steckt, ist hörbar. Nach „Die Hölle muss warten“ zieht Produzent Pix wieder einmal alle seine Register, so dass Eisbrecher nach Eisbrecher und eben nicht nach Rammstein meets Unheilig klingen. Herrlich ausdifferenziert und voluminös erklingen die Instrumente, gesamplet wie in natura. Im Falle von „1000 Narben“ gesellt sich dazu noch gute Textarbeit. Schaffen es die Worte nicht, so gelingt es dem Checker am Mikro mit stimmlicher Präsenz und Ausdruck synthiegeschwängerte Schlageravancen wie „Rot wie die Liebe“ zu retten und im ruhigeren Sektor sogar zu einem der Vorzeigetracks des gesamten Albums zu katapultieren. Bekannte Elemente aus dem acht Jahre alten „Ohne dich“ werden hier mit dem aktuellen Bandsound angereichert und das Ergebnis fügt sich nahtlos in die Diskografie ein.

„Noch zu retten“ und „Der Flieger“ erinnern in ihrem ruhigen Soundkleid auch eher an die Zeiten vor „Die Hölle muss warten“, überraschen demnach besonders die älteren Fans nicht, übertreffen allerdings die manchmal etwas arg schwachbrüstigen Balladen gegen Ende der letzten Langrille. Dazu gesellen sich mit „So oder so“ und „Fehler machen Leute“ textthematisch keine neuen Erkenntnisse an der Rockfront, doch mit Erstgenanntem ein effektbeladener NDH-Rausschmeißer statt der fast schon obligatorischen Quotenballade am Albenende. „Fehler machen Leute“ entpuppt sich als melodiöser Ohrwurm, in welchem Alex genau wie in dem deutlich schrofferen „Himmel, Arsch und Zwirn“ ähnlich erkenntnisreich lamentiert wie in seinen besten Bühnenansagen. Über den „Unschuldsengel“ hüllt man indes besser den Mantel des Schweigens und „Nachtfieber“ bedient letztlich nur pflichtbewusst-routiniert die Dancefloor-Jünger.

Nein, Eisbrecher schocken nicht. Sie rotzen, sie rocken – richtig, ohne dabei jemanden auf der Strecke zu lassen. Wem etwas Bestimmtes (oder auch nicht genauer Definiertes) auf „Die Hölle muss warten“ gefehlt hat, der dürfte hier (wieder) fündig werden. Das gemäß Promoschrieb „härteste EISBRECHER-Album aller Zeiten“ liefert und hält was es verspricht, selbst für Fans von „Die Hölle muss warten“. Mit ihrer neuesten Veröffentlichung gelingt der Kapelle ein deutschrockiger Spagat zwischen ihrer Vergangenheit und Gegenwart, der zwar einerseits vorhersehbar ist und nicht immer seinen hohen Level hält, aber andererseits durch seine musikalische Urgewalt gepaart mit Melodik und Intensität (fast vollends) punktet. This is motherfuckin‘ deutsch(rock)!

Wertung: 8.5 / 10

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