Interview mit Obsidian Kingdom

Vielen Dank, dass du dir für dieses Interview Zeit genommen hast! Ich hoffe, dass dort, wo du bist, Corona halbwegs unter Kontrolle ist und alle in deinem Umfeld gesund sind – wie ist die allgemeine Situation bei dir?
Hallo! Wir sind alle gesund, danke! Wir waren gerade damit beschäftigt, unseren nächsten Auftritt vorzubereiten, der eigentlich an diesem Wochenende hätte stattfinden sollen, aber nun aufgrund von Corona-Beschränkungen auf Dezember verschoben wurde. Da sowas in Zukunft wohl ganz normal sein wird, haben wir auch damit begonnen, neue Musik zu schreiben, um uns zu beschäftigen, falls wir eine Zeit lang nicht spielen dürfen. Aber wir hoffen auf das Beste.

Kulturell und sozial betrachtet hatten wir im Jahr 2020 „A Year With No Summer“. Ich bin dir deswegen nicht böse, aber hättest du in unserem letzten Interview, 2016, nicht etwas präziser werden können? Das hätte uns eine Menge Ärger erspart! Damals meintest du:
Was passiert, wenn sich etwas in unserem Leben plötzlich ändert, etwas absolut unaufhaltsames, eine der Säulen unserer Realität? Wie würde sich das anfühlen? Was würdest du tun? Der Sommer ist das perfekte Beispiel: Etwas, worauf du immer zählen kannst, das Versprechen des sich ewig erneuernden Kreislaufs. […] Es funktioniert aber auch wortwörtlich genommen: Ist ein Jahr ohne Sommer möglich? Können wir uns das vorstellen? Und wer wäre schuld? […] Vielleicht könnte es am Ende passieren. Was würdest du dann machen?“ Die Pandemie hat gleich mehrere Säulen unserer Realität hinweggefegt … was hast du dann getan? Wie bist du mit der Situation umgegangen, wie gehst du jetzt damit um?
Verdammt (lacht) … Wir sind selbst überrascht, dass sich unsere Prophezeiung so früh erfüllt hat! Aber Spaß beiseite: Die Wahrheit ist, dass Dinge wie diese bereits in der Vergangenheit geschehen sind und höchstwahrscheinlich wieder geschehen werden. Wir sind also keine Wahrsager, sondern eher Dichter, die sich für die Architektur der Zeit interessieren, ähnlich wie Ulver heutzutage.
Nun, wir kommen damit zurecht. Wir sind alle gesund, und die meisten von uns sind immer noch berufstätig; und wir haben entgegen aller Widrigkeiten auch eine Releaseshow und eine Tournee zur Promotion von „Meat Machine“ angekündigt. Ähnlich wie beim Ende des „Black Swan“-Videos ist die Apokalypse also doch nicht das Ende. Die Menschen passen sich an.

Gibt es auch etwas Positives, das du aus der Krise mitnehmen kannst?
Ein Gefühl demütiger Resignation und etwas, das einer erneuerten Spiritualität nahe kommt. Wenn etwas so Grosses passiert, ist die Macht des Einzelnen plötzlich so weit geschrumpft, dass man die Situation nur noch akzeptieren, daneben stehen und auf den Willen der Götter, des Universums, der Regierung oder einer größeren Macht wie dem Zufall vertrauen kann, weil es wenig anderes zu tun gibt. 2020 hat uns alle daran erinnert, wie klein wir als Menschen wirklich sind und wie wenig wir die Situation unter Kontrolle haben. Das Einzige, was im Leben sicher ist, ist, dass alles auf sein Ende zuläuft.
Aber es gibt eben auch schlechte Neuigkeiten – ein Gefühl des drohenden Untergangs zeichnet sich ab, als ob das Schlimmste noch bevorsteht. Die Hauptfolge der gegenwärtigen Krise ist das Abdriften der meisten Regierungen in ungezügelte totalitäre Zustände und die starke Polarisierung einer Gesellschaft, die aufgrund eines Übermaßes an Informationen und Anreizen nicht mehr zwischen richtig und falsch unterscheiden kann. Und ich denke, wir alle wissen, wohin das führt.

Lass uns zur Musik wechseln: Für euer neues Album habt ihr euch ein paar ziemlich extravagante Outfits überlegt – was war die Idee hinter diesem Look, was hat das mit dem Album zu tun?
Eine unserer wichtigsten Inspirationen war das Artwork des Albums, das aus der Feder unserer langjährigen Komplizen Elena Gallén und Ritxi Ostáriz stammt. Es ist von seltsamen Figuren bevölkert, die aus einem bösen Traum oder einem Gemälde von Magritte hervorgegangen zu sein scheinen – sie wirken modern und zeitlos zugleich, wie fehl am Platz, gleichzeitig aber auch im Rampenlicht, ebenso elegant wie abstoßend. Wir suchten diesmal einen theatralischen Look, mit ungewöhnlichen Farben und bizarren Outfits, auf halbem Weg zwischen einem Wanderzirkus und einer dystopischen Gang. Wir haben gleichermaßen Elemente von Alex und seinen Droogs, von der traditionellen fernöstlichen Mode und vom „modernen klassischen“ Stil von Marken wie Allsaints übernommen.
Ein weiterer Einfluss waren die Figuren aus den Filmen von Jodorowsky und Kenneth Anger, vor allem in Bezug auf ihre Verwendung von Farbe und Format zu symbolischen Zwecken, wobei wir die Palette beibehalten haben, die wir für das Album gewählt haben: Rot, Gelb, Violett und Schwarz – die dekonstruierte Chromatik des Fleisches.

Das Cover ist tatsächlich eine etwas seltsame Collage aus Text- und Farbblöcken und einem ziemlich bizarren Foto. Hat diese Anordnung einen anderen Hintergrund als die Ästhetik?
Wir wollten ein schockierendes Aussehen, das mit der Musik einhergeht – schrill, abwechslungsreich, beunruhigend und unerwartet. Reine Farben mit einem Überschuss an Rot waren perfekt dafür geeignet. Es ist auch die Farbe der Leidenschaft, der Liebe und des Blutes, was die Hauptthemen des Albums sind. Gleichzeitig weist der Collage-Stil der Illustrationen eine gewisse Ähnlichkeit mit der Art und Weise auf, wie wir Lieder schreiben – durch ein System von Patchwork, bei dem wir unerwartbare Stücke zusammennähen, die zusammengesetzt eine neue Bedeutung erhalten.
Die Bedeutung, die wir dieses Mal der Typografie beigemessen haben, hat wiederum mit dem Gewicht der Texte zu tun: In der Vergangenheit haben wir mit eher vagen poetischen Allegorien gespielt, aber bei „Meat Machine“ ist der Inhalt viel expliziter und lauter, und dennoch klingt er gehetzt und konfus. Daher die ausschließliche Verwendung von Großbuchstaben und die Eliminierung von Absätzen und Satzzeichen.

Das Bild erinnert mich an das eures Debüts „Mantiis“ – damals hatte der Mann einen Heuschreckenkopf, heute einen Fleischbündelkopf. Ist diese Parallele beabsichtigt? Und wenn ja: warum? Was verbindet die Alben sonst noch?
Oh, aber die Büste bei „Mantiis“ war weiblich, mein Freund! Diese ist absichtlich viel androgyner. Die Ähnlichkeit war nicht nur unbeabsichtigt, sondern sogar etwas, was uns zunächst etwas Sorgen bereitet hat. Denn einerseits finden wir nicht, dass beide Alben so viel gemeinsam haben, und andererseits sind wir sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, uns zu wiederholen oder ein sich wiederholendes Muster anzudeuten.
Aber sie haben natürlich Gemeinsamkeiten. Sowohl „Mantiis“ als auch „Meat Machine“ sind sehr abenteuerlich und unberechenbar und haben eine stärker ausgeprägte Metal-Komponente als zum Beispiel „A Year With No Summer“. Beide klingen auch gefährlich, weil sie auf Schritt und Tritt die Androhung von Gewalt in sich bergen, und beide weisen viele Grownls und Knurrlaute auf, die bei unserem vorherigen Werk irgendwie auf dem Weg verloren gegangen sind. Aber abgesehen davon sind es völlig unterschiedliche Bestien.

Musikalisch ist das Album aber wieder härter und stilistisch vielseitiger als euer letztes Album. Ist „Meat Machine“ insofern nicht doch näher an eurem Debüt als „A Year With No Summer“?
Vielleicht ja, in dem Sinne, dass sowohl „Mantiis“ als auch „Meat Machine“ viel heterogener und unerwartbarer klingen. Sie sind wilder und verspielter als „A Year With No Summer“, weil letzteres ein sehr restriktives, depressives Album ist, in dem wir versucht haben, ein bestimmtes Gefühl mit einem klar definierten Stil zum Ausdruck zu bringen. Als wir unser letztes Album geschrieben haben, haben wir den Ideen freien Lauf gelassen und sind einfach dem gefolgt, was sich daraus organisch zu entwickeln begann, ganz ähnlich wie beim Schreiben unseres Debüts. Unsere zweites Album hatte ein strengeres Skript, weil die Bandbreite der Emotionen und Ideen, die wir ansprechen wollten, enger war.

Ganz allgemein – was steckt hinter dem Albumtitel „Meat Machine“ und dem Mann mit dem Fleischkopf?
Die Schönheit der abstrakten und surrealen Kunst, und jeder Kunst im Allgemeinen, liegt darin, dass es keine Möglichkeit eines Missverständnisses gibt, sondern nur eine Unzahl von plausiblen Interpretationen. Genau das war unsere Absicht, als wir das Cover für das Album ausgewählt haben: etwas ikonisches zu schaffen, in das jeder seine Phantasie projizieren kann – eine zeitgenössische Darstellung der menschlichen Seele oder ein modernes Monster. Blind, aber charismatisch, schrecklich, aber elegant, kraftvoll, aber zart, schmackhaft, aber abstoßend; ein Geschöpf der Alpträume und Wunder, das in den Grenzen des Bewusstseins wohnt.

Steckt darin auch Kritik an der Fleischindustrie und am Fleischkonsum?
Ja, die Frage, wie wir Fleisch anbieten und konsumieren, wird auf dem Album klar und deutlich angesprochen, und zwar nicht nur zum Essen: auch für Sex, zum Vergnügen und für die Bildung einer Identität. Wir in der Band haben sehr unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten – von militanten Veganern bis hin zu bösartigen Fleischfressern – und das war etwas, worüber wir viel gestritten haben, als wir „Meat Machine“ geschrieben haben.

Was ist deine Meinung zu dem Thema – hat der Fleischkonsum in den heute üblichen Mengen eine Zukunft?
Wir haben als Einzelpersonen sehr unterschiedliche Meinungen dazu, deshalb können wir als Band keine Stellungnahme dazu abgeben. Aber nichtsdestoweniger sind wir in der Tat besorgt darüber, ob wir überhaupt eine Zukunft haben, mit unserem derzeitigen Konsumverhalten und der zunehmenden Überbevölkerung des Planeten. Die Zisterne geht kaputt, wenn die Flüsse über die Ufer treten.

Die EU hat gerade den Antrag abgelehnt, dass vegetarische Fleischersatzprodukte nicht mehr nach Fleischprodukten hätten benannt sein dürfen. Eine gute oder schlechte Entscheidung aus deiner Perspektive?
Das ist ein interessantes Thema, da Namen Macht haben. Ich vermute, dass die Benennung vegetarischer Lebensmittel nach Fleischprodukten vielen Menschen, die gerne Vegetarier werden wollen, hilft, da sie so lange an der Illusion festhalten, dass sie wie früher einen „Hamburger“ oder einen „Hot Dog“ essen, bis sie nicht einmal mehr dieses Konstrukt haben. Im Grunde fühlt sich dieser Vorschlag also wie ein Angriff auf den Vegetarismus an, wahrscheinlich aus kommerziellen Gründen – und vielleicht aus ideologischen?
Wir sind froh, dass er gekippt wurde. Nicht weil wir den Vegetarismus befürworten, sondern weil Sprache eine organische Sache ist und Traditionen in Frage gestellt werden müssen. Für mich gibt es keine festen Regeln darüber, was in einem Hamburger enthalten sein sollte; wir sind also im Prinzip gegen eine Autorität, die die „offizielle“ Bedeutung von Wörtern diktieren sollte – Sprachen sollten durch Konsens und nicht durch Auferlegung entwickelt werden.

Die Texte sind im Pressetext zum Album wie folgt zusammengefasst: „‚Meat Machine‘ ist ein verzweifelter Versuch der Selbstfindung, indem man kopfüber in die Angst eintaucht, die sich aus der sexuellen Frustration, dem Absurden der Realität und der einer mechanisierten Welt innewohnenden Grausamkeit ergibt.“ Könntest du das bitte etwas näher erläutern?
Es läuft alles auf eine einfache Frage hinaus, eine Frage, die wir uns gleich zu Beginn des kreativen Prozesses gestellt haben: Wer sind wir jetzt? Und warum tun wir das? Diese Frage entwickelte sich bald zu einer erbitterten Diskussion zwischen uns, die sich deutlich in dem Ziel des Albums widerspiegelt, den Kampf der Seele in sich selbst darzustellen, wenn man der eigenen inneren Dunkelheit und den eigenen Monstern gegenübersteht. Es ist einfach unsere bescheidene Interpretation der bekannten Werken von Freud und Jung, durch ein moderneres Prisma betrachtet.
Wir stießen auf das Dilemma zwischen Empathie und Machtmissbrauch, als es darum ging, unsere persönliche Identität zu finden. Würdest du zum Vergnügen töten? Einige von uns tun es systematisch, vor allem diejenigen, die Fleisch essen. Oder wenn sie Gartenarbeit verrichten. Magst du es, andere als Teil von Sexspielen zu überwältigen? Und warum? Vielleicht ist es auch andersherum. Wärst du bereit, Schmerzen zuzufügen, um deine Lebensziele zu erreichen? Oder ein Auge zuzudrücken? Das waren einige der unbequemen Fragen, mit denen wir uns auch beim Schreiben des Albums auseinandergesetzt haben. Außerdem haben wir festgestellt, dass viele dieser Verhaltensweisen nicht allein von uns abhängig waren; einige davon waren uns bereits in unser Fleisch geschrieben, eine Art mechanischer Automatismus. Wie zum Beispiel Emotionen, die unsere Gefühle und unsere Persönlichkeit und die Welt um uns herum prägen; oder unsere sexuellen Vorlieben; oder unsere Aggressivität oder deren Fehlen. Das sind Dinge, die wir uns nicht aussuchen, sondern mit denen wir umgehen müssen. Dieses Gefühl der Frustration und Ohnmacht vor oder gegenüber materiellen Zwängen ist auch auf „Meat Machine“ verewigt.
Das ist natürlich längst nicht alles, was auf dem Album zu finden ist. Wir haben uns wirklich bemüht, auch unsere Gedanken über ein blindes und unmoralisches Universum mitteilen zu können; über die Art und Weise, wie unsere Vorstellungskraft einen Einfluss auf die Realität hat, sei es durch unser Unterbewusstsein oder durch Werbung; über das Erreichen von Wissen durch Selbstverbrennung; und vieles, vieles mehr. Es ist wirklich ein sehr dicht gepacktes Album.

OBSIDIAN KINGDOM, live 2016. © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Ich finde das Thema der Angst vor sexueller Frustration spannend. Wird Sex in der (Rock-)Musik falsch dargestellt, muss das überdacht werden?
Wir würden nicht sagen, dass es „falsch“ ist, aber es stimmt, dass Rock und Metal stark in Richtung Testosteron, Männlichkeit und heteronormative sexuelle Standards tendieren. Und es überrascht nicht, dass die große Mehrheit der Interpreten und Zuschauer in der Tat heterosexuelle Männer sind. Rockmusik ist laut, kompromisslos und aggressiv, was ebenfalls traditionelle männliche Charakterzüge sind. Das ist offensichtlich.
Aber kurioserweise wurden Rockmusik und Heavy Metal auch von Personen geprägt, die sich eindeutig nicht an die Standards hielten. Ich denke dabei an Freddie Mercury, Debbie Harry, David Bowie, Patti Smith, Kurt Cobain oder Rob Halford. Rockmusik sollte eigentlich eine Ode an die Selbstbestätigung und die Freiheit sein, unabhängig von Geschlechtsidentität oder sexuellen Vorlieben: Einfach zu sein, wer zum Teufel man auch immer sein möchte.

Laut Booklet hat Jr. Morgue Mikrowellen-Sounds beigesteuert. Das wirft Fragen auf. Etwa: Braucht es dafür einen Profi?
Warum … natürlich! Wir bringen ihn immer mit auf Tournee, damit er jeden Abend für uns die Mikrowelle spielen kann. Nein, Scherz beiseite: Diese Credit-Zeile ist ein mit einem Augenzwinkern verfasster Hinweis darauf, wie Jr. Morgue alias Jorge Mur (der in Wirklichkeit „Meat Machine“ produziert hat) großen Einfluss auf den kreativen Prozess des Albums hatte. Aber es stimmt auch: Im Intro von „Womb Of Wire“ hört man eine Mikrowellenheizung und ihre Glocke, was sowohl seine Idee waren als auch von ihm umgesetzt und aufgenommen wurde. Es ist ein Lied über Sklaverei, Holocaust und institutionalisierte Grausamkeit, und weil Irene Veganerin ist, hat sie es immer so gedreht, dass es um die Misshandlung von Tieren in der Fleischindustrie geht – obwohl das nur ihre Interpretation ist. Das mit der Mikrowelle fühlte sich also einfach genau richtig an.

Was hat euch dazu gebracht, diesmal so viel mit Synthesizern zu arbeiten und euren Stil allgemein so stark zu verändern?
Tatsächlich haben wir seit „Mantiis“ immer intensiv mit Synthesizern gearbeitet, und sie sind seitdem eine Konstante in der Band. Aber es stimmt, dass sie diesmal eine Hauptrolle spielen, während sie bei „Mantiis“ manchmal als ein Arrangement im Hintergrund stehen, das man für einen Chor oder Streicher halten könnte. Außerdem haben wir bei „Meat Machine“ mehr ungewöhnliche Sounds verwendet, weil wir eine eigenartigere Stimmung erreichen wollten, die die surreale Aura des Albums begleitet.
Aber der Hauptgrund könnte sein, dass wir ganz am Anfang eine ausgewachsene tanzbare elektronische Platte machen wollten. Das ist uns nicht gelungen, und als wir den Entwurf unserem Produzenten vorlegten, lehnte er ihn völlig ab und schlug vor, noch einmal von vorn anzufangen, was wir auch taten. Aber wir haben viel von diesen Schnipseln behalten, vor allem die Synthesizer.

Im Pressetext werdet ihr wohl deswegen mit Ulver verglichen – aber andererseits auch mit Scott Walker, Deftones, Death Grips und Daughters. In welchem der Vergleiche findest du OBSIDIAN KINGDOM wieder, in welchem nicht?
In allen! Von Ulver haben wir den Mut gelernt, unbekannte Gebiete zu betreten und unserer Neugierde ganz natürlich zu folgen; von Scott Walker den Sinn für schreckliches Drama und dass Rätsel der beste Weg sind, ein Geheimnis zu vermitteln; von Death Grips den inhärenten Spaß an Gewalt und die „alles ist möglich“-Haltung; und von Daughters die kathartische Energie völliger Negativität und die Fähigkeit, zu terrorisieren.

Sind das Bands, die du dir auch privat anhören würdest?
Auf jeden Fall!

Welche Musik wandert generell in deine Musik-Anlage?
Gerade mache ich eine Phase durch, in der ich keine Musik höre. Aber wenn doch, dann höre ich alles Mögliche, ganz abhängig von der Situation: dunkle elektronische Musik wie Drone und Industrial-Techno oder Cold Wave; Industrial-Hip-Hop und Horrorcore; Post-Metal und Sludge; Ambient (dunkel, krank oder anders) oder minimale Neoklassik; apokalyptischen Folk und schräge Americana; und natürlich die Klassiker aus meiner Jugendzeit wie Grunge, Post-Grunge und Alternative Metal in der Art von Deftones und Type O Negative. Ich liebe Musik.

Und welches Genre hörst du aus Prinzip nicht?
Nicht aus Prinzip, aber ich höre selten Dinge wie Latin Jams, Country oder alles, was zum Tanzen gedacht ist, wenn es keine elektronische Musik ist. Meine Fähigkeiten als Tänzer sind ziemlich begrenzt.

Was bedeutet „Musik-Anlage“ für dich? CD-Player, Plattenspieler oder digitale Wiedergabeliste – und warum bevorzugst du diese oder jene Option?
Ich habe alle drei Möglichkeiten: CDs eignen sich immer noch hervorragend für Autofahrten und LPs spiele ich ab, wenn ich wirklich Zeit dafür habe und erstklassige Audioqualität genießen möchte. Die meiste Zeit spiele ich digital, aber eine Playlist mache ich nur an, wenn ich mit etwas anderem beschäftigt bin, bei einer Party zum Beispiel oder wenn ich das Haus aufräumen muss.

OBSIDIAN KINGDOM, live 2016. © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Zum ersten Mal haben OBSIDIAN KINGDOM nun eine Sängerin. Wie kam es dazu?
Wenn du dich dabei auf Irene beziehst, die die weibliche Hauptsängerin auf „Meat Machine“ ist: Sie ist nicht mehr in der Band – sie hat die Band verlassen, kurz bevor wir die Aufnahme beendet waren. Aber ihre Rolle als Sängerin war auch ungeplant … Irene kam als Gitarristin für die „A Year With No Summer“-Tournee in die Band. Als die Tournee vorbei war, machten wir uns daran, das neue Album zu schreiben. Irene beteiligte sich viel am kreativen Prozess, und als Folge davon schrieb sie viele Texte und Gesangslinien, die sie uns vorsang, während sie uns ihre Ideen zeigte. Wir entdeckten bald, dass sie eine wunderbare Stimme hatte, also beschlossen wir, es zu versuchen. Das Ergebnis war verblüffend, und wir haben entschieden, den Gesang zwischen uns aufzuteilen. In der Folge können wir im Moment „Flesh World“ und „A Foe“ nicht live spielen. Wir können nur hoffen, dass sie eines Tages mit uns auf die Bühne kommen wird, um diese Songs zum Leben zu erwecken.

Eine weibliche Stimme gibt der Musik – besonders im Metal, wo man Frauengesang noch selten hört – immer einen ganz anderen Charakter. Bei welcher Band funktioniert das besonders gut?
Es gibt viele tolle Frauenstimmen im Metal! Einige unserer Lieblingsbeispiele sind Myrkur, Chelsea Wolfe, Milena von Gold, Julie Christmas oder Poppy.

Und bei welcher funktioniert es überhaupt nicht?
Mir fällt im Moment keine ein.

Im Mai 2021 wollt ihr mit Enslaved, Intronaut und Crown auf Tournee gehen. Welche der drei Bands gefällt dir am besten?
Wir mögen die drei, und wir finden, es ist eine wirklich tolle Kombination: abwechslungsreich, aber stimmig; technisch, aber gefühlvoll; farbenprächtig und dunkel zugleich. Mit Enslaved zu touren ist natürlich eine große Ehre, da sie Ikonen in der Prog-Metal-Szene sind, aber auch eine Referenz in Sachen Entwicklung und Hartnäckigkeit. Wir kennen die Jungs von Intronaut bereits vom letzten Mal, als wir mit ihnen auf Tour waren, und wir müssen sagen, dass wir es kaum erwarten können, wieder mit ihnen in den Bus zu steigen – sie sind erstaunliche Musiker und unglaublich lustige Leute. Crown kannten wir nicht, bevor wir sie auf dem Billing sahen, aber sie scheinen auch wirklich nette Jungs zu sein und auch ihre Musik ist genau unser Ding. Das wird eine großartige Tour werden!

Was hältst du von „Utgard“, dem neuen Werk von Enslaved?
Mir gefällt es tatsächlich sehr gut. Es ist eines dieser Alben, die man sich ein paar Mal anhören muss, bevor man beginnt, sie zu verstehen, und das an sich ist schon großartig. Es ist sehr frisch und kreativ und eine unvorhersehbare Achterbahn voller Nervenkitzel und Wendungen, ganz ähnlich wie unser eigenes Album. Es enthält immer noch ihre Aggressivität und Wikinger-Vibes, aber mit einem sehr melodischen und nonchalanten Ansatz. Ich stehe auch auf die elektronischen Teile, sie klingen für mich sehr mutig. Ich kann es kaum erwarten, die Songs live zu hören!

Derzeit nimmt die Zahl der Corona-Fälle überall zu – glaubst du momentan daran, dass diese Tournee stattfinden wird … und wenn ja, wie stellst du dir die Shows vor? Werden die Zuschauer Masken tragen, stehen sie in fast leeren Sälen oder sitzen sie sogar, oder siehst du eine echte Menschenmenge vor der Bühne?
Ich habe ehrlich gesagt überhaupt keine Ahnung. Ich hoffe natürlich, dass es ein verschwitztes Publikum sein wird, das in überfüllten Sälen ohne Maske nebeneinander stehen kann, aber das ist reines Wunschdenken. Vielleicht wird es von dem Land abhängen, in dem wir spielen, oder vielleicht wird es auch gar nicht passieren. Oder vielleicht wird dieser Alptraum im Mai vorbei sein, wer weiß. Wir müssen daran glauben, dass es geschehen wird.

OBSIDIAN KINGDOM, live 2016. © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Realistisch betrachtet könnte auch passieren, dass viele der Spielstätten nach einem Lockdown-Winter gar nicht mehr existieren. Mit welchen Auswirkungen der Corona-Krise auf die europäische Kulturindustrie rechnest du?
Die Krise hat bereits katastrophale Auswirkungen auf die Branche, wie jeder weiß. Veranstaltungsorte und Veranstalter stehen am Rande des Bankrotts, in den Musikmedien sind die Werbeeinnahmen drastisch zurückgegangen, das Technikpersonal ist weitgehend arbeitslos, und viele Bands und Künstler mussten Hunderte von Auftritten und Tourneen absagen oder verschieben, ohne zu wissen, ob sie überhaupt stattfinden werden. Die Menschen in diesem Sektor sind ernsthaft betroffen und, was noch schlimmer ist, dramatisch entmutigt. Einige von ihnen werden es nicht durchstehen, und wir wissen das. Es fühlt sich wirklich apokalyptisch an, um ehrlich zu sein.

Was ist mit dir persönlich – verdienst du dein Geld mit Musik oder im Musikgeschäft, bedroht Corona auch OBSIDIAN KINGDOM?
Wir leben nicht von der Band, sondern haben alle einen Hauptberuf. Insofern ist die Krise in diesem Sinne keine direkte Bedrohung für uns – wir machen das alles, weil wir es wollen, und es hat schon immer ein großes Opfer für uns bedeutet. Aber was wird passieren, wenn wir unsere Jobs zu verlieren? Oder wenn wir erkennen, dass es sinnlos ist, ein Album herauszubringen, das wir nicht promoten können, weil es keine Auftritte mehr gibt? Oder wenn unsere Mitarbeiter auf Lebenszeit beschließen, ihre derzeitigen Jobs zu kündigen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können? Im Moment sind wir stark, aber die Zukunft ist ungewiss und das Ende ist immer nahe.

Vielen Dank für das Gespräch! Lass uns zum Abschluss ein kurzes Brainstorming machen:
Ein Essen, das dich immer glücklich macht:
Steak-Tartar
Ein Lebenstraum von dir:
in Japan spielen
Das Getränk deiner Wahl in einer Bar:
Scotch
Ein Ort, an dem du dich besonders wohl fühlst:
London
Ein Album, immer geht:
der Soundtrack zu Blade Runner
Ein Hobby von dir, das nichts mit Musik zu tun hat:
Boxen
OBSIDIAN KINGDOM in 10 Jahren:
eine Kultband

Nochmals vielen Dank für deine Zeit. Die letzten Worte an unsere Leser gehören dir:
Passt auf, welche Ideen ihr anderen einpflanzt!

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