Konzertbericht: Everlast w/ Drawing Circles

2012-12-03 Backstage, München

Inzwischen sind sie durch den Castingwahnsinn immer mehr vom Aussterben bedroht: die echten Musiker. Eben jene Künstler, die sich nur mit einer Gitarre bewaffnet und einem Kaltgetränk in der Hand auf einen Stuhl inmitten einer leeren Bühne setzen – und ihr Publikum dennoch fesseln. Einer der letzten dieser „Dinosaurier“ des Musikbusinesses ist Erik Schrody aka EVERLAST aka Whitey Ford. Und auf seiner Akustik-Tour beweist der Crossover-Musiker, aus welchem Holz er geschnitzt ist.

Den Abend eröffnet zunächst das Duo DRAWING CIRCLES. Den meisten Besuchern gänzlich unbekannt, liefern die beiden ein überzeugendes Warm-Up ganz im Stile von Everlast. Die unwahrscheinlich raue Stimme von Vincent Alex, begleitet von Sebastian Lesch an der Gitarre, lässt die Blicke der Zuschauer trotz spartanischem Bühnenbild unweigerlich nach vorne wandern und dort verharren. Am ehesten kennen Castingshow-Gucker diese Momente, wenn unscheinbare dürre Gestalten sich als wahre Stimmwunder erweisen. So auch hier, nur eben live und in Farbe. DRAWING CIRCLES entpuppen sich trotz nur einer EP namens „Tales Of An Arsonist“ als ungemein vielversprechend. Hier wächst die Zukunft des Singer/Songwriter-Genres heran.


Wenig später betritt die Gegenwart dieser Zunft die Bühne: EVERLAST kommt in Begleitung des Afro-Amerikaners Derek Brassel. Dieser stammt gebürtig aus Memphis, Tennessee – wie Whitey Ford mehrfach anmerkt. Und seine Begleitung hat der Veteran nicht zufällig gewählt: Spätestens bei „Little Miss America“ zeigt sich, wie kongenial das Duo harmoniert.
Der Sound im Backstage ist dabei klar und wuchtig. Einzig und allein der nuschelige Südstaatenakzent von EVERLAST führt dazu, dass manche seiner Anekdoten nicht komplett zu verstehen sind. Die Gitarren sprechen hingegen eine universelle Sprache. Und spätestens bei „Ends“ wissen auch die letzten, wer hier gerade in Pullover, Cargojeans, dicker Hornbrille und Dockermütze vor ihnen sitzt.
Zwar nutzt der US-Amerikaner den Abend auch dazu, um mit Liedern wie dem eingangs erwähnten „Little Miss America“ sein aktuelles Werk „Songs Of The Ungrateful Living“ vorzustellen, doch natürlich sind viele besonders wegen seiner Welthits wie „What It’s Like“ und Co. im Akustikgewand gekommen. Diese ähneln den Originalen erwartungsgemäß sehr, doch es sind kleinere Feinheiten wie geänderte Akkorde oder eine leicht modifizierte Intonation, die die Herzen von MUSIKliebhabern höher schlagen lassen. Schrody weiß zu jeder Sekunde, was er tut – nur schroffe Zwischenrufe duldet er nicht. Zurecht.
Es ist die Melancholie und Sensibilität, die unter anderem aus „White Trash Beautiful“ spricht, und eben auch von kurzen Momenten der Stille lebt, wenn die letzten Akkorde ausklingen. Und dem Duo gelingt ein Kunststück, welches manche Rockbands selbst mit Schlagzeug, zwei E-Gitarren und einem Bass nicht hinbekommen: Sie fesseln.


Wenn Brassel kurz seine Gitarre stimmt, erzählt EVERLAST davon, dass er in seiner Karriere die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen erlebt hat. Die Liebe zu seiner Akustikmusik hätte er allerdings nicht unnötig in Worte packen müssen, sie sprach aus den Songs selbst – klar und deutlich. So bedankt sich eher ein Erik Schrody als der Künstler dahinter bei den rund 900 Zuhörern bzw. Freunden wie er sie nennt, die ihm mehrfach Szenenapplaus spenden und denen er sein Herzblut zu widmen scheint.
Am Ende huldigt EVERLAST noch Johnny Cash mit seiner „Folsom Prison Blues“-Coverversion. Diese gerät sehr speziell und etwas frei, aber diese Freiheiten verzeiht man dem Gitarrero gerne. Mit „What It’s Like“ und seiner letzten großen Hitsingle „Stone In My Hand“ folgen zwei Highlights zum Ende der regulären Setliste. Besonders bei Letzterem übertreffen sich der gläubige Moslem und sein dunkelhäutiger Mitmusiker an den Gitarren gegenseitig. Die Akkorde fliegen nur so durch den Zuschauerraum und besonders am Ende zeigt sich, dass es nicht mehr als zwei Gitarren braucht, um zu berühren und zu begeistern. Denn Schrody spricht auch über die Hintergründe des Songs und gibt sich mit seiner Aussprache spürbar Mühe dabei, dass ihm die Menge trotz Slang folgen kann. Ein Junge mit einem Stein in der Hand habe ihn zum gleichnamigen Song inspiriert – für ihn das einfachste und effektivste Zeichen des Aufstands, fernab von Raketen und Waffengewalt. Und teilweise sind EVERLASTs Akustikhymnen eine Hommage an den Frieden und das kollektive Miteinander einer jeden Ethnie.


Diese Botschaft trägt er allerdings ganz ohne Pathos und Klischees nach außen, sondern durch die Macht seiner Musik und eine brummende Erzählstimme. So folgen ihm nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen der Anwesenden, als er im Zugabenblock alleine „65 Roses“ im wahren Sinne des Wortes zelebriert – gewidmet seiner Frau, über die er ähnlich südstaatencharmant spricht wie über das heutige Hip Hop-Business. Und man glaubt ihm, wenn er sagt, dass viele der heutigen Künstler sprichwörtlich in dem Buch lesen, dass er damals als House Of Pain-Mitglied Anfang der 90er geschrieben hat. Noch viel mehr glaubt man ihm jedoch dass er akustische Konzertabende wie diese besonders schätzt, als er am Ende ein letztes Mal zusammen mit Derek ansetzt, der bei „Put Your Lights On“ den farbigen Carlos Santana mimt. Und wenn ein Afroamerikaner mit seiner roten Baseballcap im Gesicht eine Gitarrenlegende beinahe perfekt imitieren kann, dann ist ein Konzertabend endgültig über jeden Zweifel erhaben. Einzig und alleine für das feierwütige Partyvolk war dieser Auftritt denkbar ungeeignet. Doch auch dieses könnte und sollte ab und an zur Ruhe kommen – am besten an Abenden wie diesen.

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