Konzertbericht: Gogol Bordello w/ DeVotchKa & Alain Johannes

2010-11-30 Tonhalle München

Von der Ukraine nach New York, von dort ab nach Brasilien und jetzt wieder zurück in den Big Apple: Der musikalische Weltenbummler Eugene Hutz ließ sich auf seinen Wegen von verschiedenen Musikrichtungen und –stilen inspirieren. Diese kunterbunten Einflüsse spiegeln sich auch in seiner Formation GOGOL BORDELLO wider. Die Internationalität der Band reicht von Balkanbeats über Klezmerelemente bis hin zu Latin, Punk, Metal und Dub.
Im November gastierte das quirlige Ensemble mit seinem neuesten Werk „Trans-Continental Hustle“ im Gepäck in der Münchner Tonhalle. Diese inzwischen fünfte CD wurde von Rick Rubin produziert, der bereits für Künstler wie Johnny Cash und Slayer tätig war und sich besonders für seine musikalische Fokussierung einen Namen gemacht hat. So wurde auch aus dem unübersichtlichen Gogol-Mix eine für Hutz überraschend durchstrukturierte Platte gezimmert.

Diese Struktur suchte man bei der Liveumsetzung erwartungsgemäß vergebens: Binnen weniger Minuten verwandelten Gogol die restlos überfüllte Tonhalle selbst an den sonst eher ruhigen Seitengängen in einen tobenden Hexenkessel. Aus der musikalischen Vielfalt der Anfangsjahre und des aktuellen Longplayers entstand wiederum ein buntes Potpourri (oder eher ein musikalisches Überraschungsei), von dem sich die feierwütige Menge trotz regelmäßiger Soundprobleme stetig aufs Neue antreiben ließ.

Bereits als Hutz himself torkelnd mit einer halbvollen Flasche Rotwein die Bühne betrat und nach einem kurzen Instrumentalintro die ersten Takte des Openers „Tribal Connection“ erklangen, hatte er seine Fans spürbar hinter sich. Eine gewisse Faszination und Aura umgibt den spindeldürren Gogol-Mastermind, bei dem man meistens nicht genau weiß, wer oder was ihn gerade bewegt. Jedenfalls ist seine Liebe und Hingabe an die Musik spürbar, sobald er mit meist geschlossenen Augen das Mikro ergreift oder auf seiner Gitarre beinahe in einer Art Trance seiner inneren Bestimmung zu folgen scheint. Etwas ungelenk und wirsch wirken seine Bewegungen meist, doch genau diese Echtheit und der beinahe greifbare Enthusiasmus dahinter prägen den nachhaltigen Eindruck, den man von diesem Konzert gewinnt.

Wenn sich der Frontmann selbst im Hintergrund hielt und seinem Instrument die wildesten Töne – von laut über leise, von wild über virtuos – entlockte, übernahmen seine Liveverstärkung in Form von MC Pedro Erazo und Elizabeth Chi-Wei Sun das Zepter im größtenteils geld-orange-roten Rampenlicht. Wie aus dem Nichts stürmten die beiden Sänger regelmäßig an den Bühnenrand und heizten bei Abgehsongs wie „Immigraniada“ gut gelaunt mit größtenteils wilden Percussionbeats im Rücken die Stimmung weiter an.
Kurzum: Das Konzept aus Folk-Punk bzw. Gypsy-Punk ging voll auf. Zwar begeisterten mich persönlich nur wenige Songs wie das mexikanische „My Companjera“, das eben angesprochene irre-intensive „Immigraniada“ und der All-Time-Klassiker „Start Wearing Purple“, doch gemessen an den übrigen Publikumsreaktionen kann man Gogol Bordello für diesen Auftritt keinen Vorwurf machen. Egal, welcher Song erklang und ob es um Mitsingen, Mittanzen oder einfach nur wilde Party ging, die Menge war sofort Feuer und Flamme – im wahrsten Sinne des Wortes. Selbst als gegen Ende u.a. mit einem kleinen Johnny Cash-Medley überraschend ruhigere Töne angeschlagen wurden, litt die Stimmung im Saal keine Sekunde. Bereitwillig hingen die Fans an den Lippen von Hutz und seinen Mitsängern, die selbst in diesen anspruchsvollen Momenten ein stimmlich überzeugendes Bild abgaben. Als der allgemeine Lautstärkepegel sich etwas senkte, konnte sich auch Geiger Sergey Ryabtsev zum ersten (und leider einzigen) Male wirklich in den Vordergrund spielen. Zwar fegte er sonst wie ein Derwisch über die Bühne und wechselte trotz fortgeschrittenen Alters munter zwischen Geigenspiel und Gesang, doch neben Percussion, Drums und Gitarre gingen seine feurigen Streicherklänge oft im fragwürdigen Tonhalle-Soundmix zu sehr unter.

Oren Kaplan und Tommy T am Bass bzw. an der Gitarre hielten sich im Vergleich zu ihren Mitmusikern scheinbar bewusst im Hintergrund und spielten ihre Parts ohne jegliche Aufregung mit einer gewissen unspektakulären Routine. Ein angenehme Abwechslung im Vergleich zum Griffgewichse vieler Metalbands, bei denen die Gitarristen mehr auf ihre eigene Show achten. Yuri Lemeshev am Akkordeon trat hingegen regelmäßig vor die Menge, um sich seine 5 Minuten im Rampenlicht abzuholen – zurecht, denn bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt konnte er bei Stücken wie „Last One Goes The Hope“ unter Beweis stellen.

Zwar umfasste die Setliste „nur“ 18 Lieder, doch am Ende – als sich auch die letzten Tropfen aus der Hutz‘schen Rotweinflasche perlten – war dies spürbar die richtige Menge für die Münchner Fans. Die Temperaturen in der Tonhalle erreichten jedenfalls (trotz beißender Kälte außerhalb) beinahe neue Höchstwerte. So sehr hatten sich sowohl die Musiker als auch ihre „Companjeras“ verausgabt. Insgesamt sind Gogol Bordello eine willkommene Abwechslung in der Musikwelt – sowohl live als auch im Studio und optisch. Außerdem ist die Band der kosmopolitische Beweis dafür, dass Authentizität und eine gewisse Bekanntheit in verschiedenen Kreisen völlig ausreichend sind, um ganze Hallen zu füllen – oder auch bei Rock im Park aufzutreten. Adios!

Im Vorprogramm präsentierte der vorher unangekündigte Alain Johannes Moschulski einige Stücke auf seiner Gitarre im Singer/Songwriter-Stil. Moschulski arbeitete musikalisch bereits mit Bands wie Queens of the Stone Age oder Them Crooked Vultures zusammen und ist der Gründer Band Eleven. Sein Solodebüt „Spark“ ist eine Hommage an seine inzwischen leider verstorbene Bandkollegin Natasha Shneider. Entsprechend gefühlsbetont und teilweise melancholisch geraten die Arrangements, die nur sporadisch von einem Akustikschlagzeug begleitet werden. Eine nette Einleitung, aber musikalisch nicht 100% passend im Gogol Bordello-Kontext.
DeVotchKa entpuppten sich hingegen im Laufe ihres extrem kurzweiligen Auftritts als die perfekte Einstiegsdroge. Die Punk- und Folkelemente im Balkangewand waren ein völlig neues Klangerlebnis und entwickelten mit fortschreitender Dauer eine eigene Dynamik, ebenso wie das Instrumentarium inklusive einer Tuba (!). Nicht umsonst trat die US-amerikanische Band mit russischen Wurzeln in diesem Jahr bereits vor über 80.000 Menschen in Frankreich als Support von Muse auf. Darüber hinaus komponierten DeVotchKa zum Großteil den Soundtrack des Kinofilms „Little Miss Sunshine“. Entsprechend erfahren und wenig mit sich selbst beschäftigt gaben sich Sänger Nick Urata und seine Mitmusiker während ihres gesamten Auftritts. Dank ihrer Routine und ausgereifter Kompositionen verbreiteten sie statt dessen ein Flair, wie es besser auf den folgenden Hauptact nicht hätte hinführen können. Dabei klangen DeVotchKa weder wie eine billige Kopie noch wie ein lauwarmer Abklatsch von Gogol Bordello. Das kommende Album „100 Lovers“ sollten sich Musikliebhaber dieses Genres für den Februar 2011 auf jeden Fall vormerken.

Setliste Gogol Bordello:

01. Intro
02. Tribal Connection
03. Not A Crime
04. Wonderlust King
05. My Companjera
06. Last One Goes The Hope
07. Trans-Continental Hustle
08. Immigraniada (We’re Comin‘ Rougher)
09. Break The Spell
10. Rise The Knowledge
11. When Universes Collide
12. Pala Tute
13. Start Wearing Purple
14. Sun On My Side
15. Johnny Cash-Medley
16. American Wedding
17. Sacred Darling
18. Mishto!

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