Konzertbericht: Yann Tiersen w/ Lonski & Classen

2010-11-26 München, Backstage Halle

Mit YANN TIERSEN geht einer der renommiertesten französischen Künstler auf Tour, der in Deutschland vor allem durch den Soundtrack zu „Die fabelhafte Welt der Amélie“ bekannt ist. Bedingt dadurch ist der Mann primär wegen seines eher klassisch orientierten Klavierspiels angesehen, gerade „Comptine d’un autre été“ hat über Genre- und Altersgrenzen hinaus weithin Anklang in der deutschen Hörerschaft gefunden. Von der derlei Musik ist, das vorweggenommen, heute wenig zu merken, Klavier oder Flügel haben nicht einmal den Weg auf die Bühne gefunden.

Als Einstimmung gibt es vor dem Main Act aber LONSKI & CLASSEN zu hören, ein Berliner Duo, das sich für Umsetzung der Songs hauptsächlich auf Schlagzeug und Gitarre verlässt. Bedingt dadurch kommt der stimmungsvolle Pop relativ straight aus den Boxen, für große musikalische Spielereien bleibt aus Mangel an Instrumentalisten kein Raum. Dennoch kann man den beiden keine mangelnde Kreativität vorwerfen, die Gitarre kommt mal clean, mal verzerrt daher, spielt mal geradeheraus Powerchords und mal groovige Untermalung für die Songs. Getragen von markantem Gesang vermögen die Norddeutschen atmosphärischen Wohlfühlsound schaffen, der soweit sehr gut ins Ohr geht. Problematisch wird es erst mit fortschreitender Spielzeit, wo trotz aller Bemühungen um abwechslungsreiches Material irgendwann deutlich wird, dass Gitarre, Standard-Drumset und manchmal immerhin zweistimmiger Gesang keine wirkliche Fülle, keinen Druck in den Sound bringen können. Von Langeweile sollte man sicher nicht sprechen, aber LONSKI & CLASSEN motivieren nicht final dazu, die Band heute auf Tonträger mit nach Hause zu nehmen.

YANN TIERSEN sind in Sachen Instrumenten-Fülle schon etwas anderes drauf: Allerlei elektronische Instrumente wie Keyboards und Synthesizer stehen auf der Bühne herum, zwei Gitarren und Bass sind dazu der Standard, mit dem die Songs umgesetzt werden. Statt Filmmusik gibt es hier Alternative / Indie Rock zu hören, der an sich nicht wahnsinnig spektakulär daherkommt. Geglänzt wird eher durch den Umstand, dass viele Mitglieder der Band Tiersens doch eine Menge Instrumente beherrschen und die häufig konventionellen Songs unkonventionell umsetzen. So wechselt der Bassist zwischendurch auch gerne mal zum Saxophon, Tiersen selbst nimmt neben der E-Gitarre auch die Zwölfsaitige zur Hand, und die Harmonika dient häufig dazu, Songs französisch-romantisch einzuleiten (auch bezüglich der Vokal-Komponente lässt man sich nicht lumpen, mit Unterstützung von LONSKI & CLASSEN werden viele Nummern mit bis zu sechs Sängern umgesetzt). Der Höhepunkt des Multi-Instrumentalistentums tritt dennoch hervor, wenn der Meister die Geige zur Hand nimmt. Mit dieser fegt er wie ein Derwisch über die Bühne und scheint sich, speziell im bejubelten Solo, regelrecht in Rage zu spielen. Dass der Mann neben dem Klavier noch ein klassisches Instrument derart beherrscht, hat wohl ein guter Teil des Publikums nicht geahnt, und hierin liegt vielleicht ein wenig die Krux am heutigen Abend: Natürlich wird YANN TIERSEN dem eigenen Anspruch insofern gerecht, als dass die Songs vielfältigst instrumentiert sind und in ungewöhnliche Arrangements gepackt werden, aber damit hatte schlicht und ergreifend niemand gerechnet. Wenn ein ruhiger Abend klassischer Musik vage in Aussicht steht und dann Rock geboten wird, kann man durchaus mal ein wenig irritiert sein. Beim Publikum scheint dies auch der Fall zu sein, viele tun sich schwer, sich auf die überwiegend völlig unbekannten Songs einzulassen. Dem Applaus und Zuspruch tut dies allerdings keinen Abbruch, jemanden mit dem Ruf Tiersens überhaupt mal auf einer Bühne zu sehen löst Begeisterung genug aus.

Nach zwei Zugaben bleibt man also etwas ratlos in der Konzerthalle zurück. Klar gibt es wenige Bands, die bei unbekanntem Songmaterial auf Anhieb überwältigen, doch hinzu kommt heute die nicht erfüllte Erwartungshaltung bezüglich dessen, wofür Tiersen hier eben bekannt ist (wobei man sich das aktuelle Album, „Dust Lane“, vielleicht vorsichtshalber mal zu Gemüte hätte führen sollen). Trotzdem muss der Truppe natürlich Respekt gezollt werden für die musikalische Leistung und den alternativen Ansatz, mit dem an die Musik herangegangen wird. Echte Begeisterung stellte sich nicht ein, auf jeden Fall aber bleibt die gedankliche Notiz an sich selbst, sich auch mal mit der anderen Seite des Musikers zu beschäftigen. Insofern hat sich die Anwesenheit bei dem Konzert auch sicherlich gelohnt.

Publiziert am von Marius Mutz

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