Interview mit Anton Belov von Kauan

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Nach dem sanftmütigen, aus voneinander unabhängigen Tracks bestehenden „Kaiho“ haben KAUAN mit „Ice Fleet“ wieder ein ganzheitliches Konzeptalbum, in dem Doom Metal, Post-Rock, Ambient und Neoklassik ineinanderfließen, herausgebracht. Wir haben Bandkopf Anton Belov zu der Platte, die sich um ein mysteriöses Ereignis in der UdSSR der 1930er Jahre dreht, ein paar Fragen gestellt – ein Gespräch über die Faszination des Unbekannten, das Schwimmen gegen den Strom der Musikbranche und Brettspiele.

Bislang habt ihr stets in sehr kurzer Zeit neue Alben veröffentlicht. Zwischen eurem neuesten Album „Ice Fleet“ und dessen Vorgänger „Kaiho“ lagen nun aber doch ganze vier Jahre. Was hat sich in dieser Zeit bei euch getan?
Ach, das Leben hat sich in diesen Jahren ein paar Mal verändert. Ich habe meinen Job gewechselt, bin in ein anderes Land gezogen, habe das Label kauanmusic gegründet und mein Soloprojekt Anton Belov gegründet. Tatsächlich lieferten KAUAN Alben immer mit nur kurzen Pausen dazwischen ab. Da ich aber meinen Lebensunterhalt nicht mit Musik bestreite, habe ich immer die Freiheit, mir für die Dinge so lang Zeit zu nehmen, wie sie brauchen. In diesem Fall habe ich besonders viel Zeit in die Komposition, die Produktion und die Suche nach einem geeigneten Plattenlabel gesteckt.

Derzeit hält die Coronapandemie die Welt und insbesondere die Musikbranche in Atem. Wie kommt ihr unter den derzeitigen Umständen als Band und persönlich zurecht?
An meinen täglichen Aktivitäten hat sich eigentlich nichts verändert. Musikalisch hat sich nichts geändert, KAUAN war schon immer ein Studioprojekt mit einer sehr wählerischen Herangehensweise an Gigs, und das ist auch jetzt so. Ich habe das Glück, eine Lebensgefährtin zu haben, mit der mir nie langweilig wird (und hoffentlich denkt Alina genauso (lacht)). 24/7 zusammen zu sein und von zuhause aus zu arbeiten, ist für mich keine Herausforderung. Es ist lustig, es als „Testlauf vor der Rente“ zu sehen – viele junge Leute hatten endlich die Chance, ihre Gefühle, Beziehungen oder Ehe richtig auf den Prüfstand zu stellen.

„Ice Fleet“ ist euer erstes Album mit einem englischen Titel. Wie kommt das?
Mir gefiel einfach der Klang der englischen Wörter. Es war wirklich nichts dahinter, nur ein sehr schön klingender Name, der die Geschichte repräsentiert, und ich dachte: „Zur Hölle, warum nicht?“

Ihr setzt euch auf dem neuen Album mit einem mysteriösen Schiffsfund in der UdSSR zu Beginn der 1930er Jahre auseinander – eine Begebenheit, über die offenbar nicht viel bekannt ist. Wie bist du darauf aufmerksam geworden?
Nach „Sorni Nai“ und tausenden von rührenden Komplimenten bezüglich meiner Fähigkeit, lange und tragische Geschichten mit Musik zu erzählen, wusste ich, dass ich das früher oder später wieder tun würde. Ich war auf der Suche nach einer geeigneten Geschichte, die ich erzählen konnte. Nichts erregte meine Aufmerksamkeit, bis mein enger Freund Max Dankevich (der Drehbuchautor ist) den Vorschlag machte, seine „Bibliothek der Tragödien und Wunder“ durchzusehen. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Sammlung von Szenarien aus echten Geschichten. Ich blätterte durch die Texte und fand sie. Ich liebte all die unbekannten Umstände und den Mangel an Informationen über die Ereignisse. Wir können nicht einmal sicher sein, ob es wirklich passiert ist, es gibt keine Beweise oder Belege. Das beflügelt die Vorstellungskraft des Zuhörers, der keine Grenzen durch Fotos, Fakten und Dokumente gesetzt sind. Ich wollte eine Geschichte erzählen, in der es ein paar Leuchtfeuer gibt und jeder seine eigenen Verbindungen zwischen ihnen herstellen kann.

Interessant sind solche Begebenheiten auf jeden Fall. Mitunter kann es aber sicher auch frustrierend sein, dabei bloße Verschwörungstheorien kaum von der Wahrheit unterscheiden zu können. Wie gehst du an dieses schwierige Unterfangen heran?
Weder „Sorni Nai“ noch „Ice Fleet“ behandeln die Gründe und Ursachen der Ereignisse. Und deshalb muss ich mich auch nicht darum kümmern. Ich erzähle keine Geschichte des Todes, ich erzähle eine Geschichte, wie sie gelebt haben.

Die einzelnen Songs auf „Ice Fleet“ gehen fließend ineinander über, sodass sie im Grunde ein einziges langes Musikstück bilden. Aus welchem Grund war es euch wichtig, nicht einfach voneinander unabhängige Einzelstücke zu kreieren?
Das ist die Art, wie ich Musik komponiere – als ein einziges langes Stück. Es ist schwieriger für mich, einzelne Songs zu komponieren (wie z. B. auf „Kaiho“). Ich denke, dieses Konzept passt sehr gut zu meinem konzeptionellen Ansatz und der Fähigkeit, lange Geschichten zu erzählen. Es ist eine Art Oper oder „Audiofilm“, wenn man so will.

Warum habt ihr das Album überhaupt dennoch in einzelne Tracks unterteilt?
Wir haben das nur aus technischen Gründen gemacht. Die meisten digitalen Plattformen mögen keine langen Tracks, einige erlauben sie sogar überhaupt nicht. Auch die CD-Fabriken mögen keine langen Tracks, sie sagen, es besteht die Gefahr, dass das Brennen scheitert, wenn man versucht, eine lange Datei dort unterzubringen. Ich habe kein Problem damit, da jede lange Komposition ihre eigenen Teile und Abschnitte hat, ich muss nur die richtigen Schnittstellen für sie finden.

Bei einem durchgehend fließend arrangierten Album wie „Ice Fleet“ ist es wohl schwierig, einzelne Tracks als Singles für Playlists und dergleichen auszukoppeln. Denkst du, dass euch dieser Umstand Bekanntheit kostet?
Ehrlich gesagt, denke ich nicht viel darüber nach, KAUAN ist nicht die Art von Band, die sich um ein breiteres Publikum kümmert, wir waren nie im „Pop“-Bereich, warum sollten wir uns also um solche Tendenzen kümmern? Als Hörer kann ich ein großes Problem in Bezug auf das einst aufregende Gefühl der „Suche nach neuer Musik“ feststellen – es gibt eine wahnsinnige Menge an neuen Nachahmern und ein Durcheinander mit dem neuen „Playlist“-Ansatz der digitalen Plattformen, was es sehr schwierig macht. Ich gehöre zu der alten Garde, die ein „Album“ immer noch als ein Gesamtwerk ansieht, nicht als eine Zusammenstellung von Tracks, die zuvor als Singles veröffentlicht wurden und nichts gemeinsam haben, was sie zusammenbindet.

Das Album scheint als Format langsam, aber sicher aus der Mode zu kommen. Wie denkst du darüber?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass 99 % der Musiker, die ich höre, ihren Ansatz nie ändern werden (einige von ihnen haben übrigens nie Alben veröffentlicht). Wenn ein Künstler sich also damit wohlfühlt, getrennte Tracks zu veröffentlichen, ist das in Ordnung.

Ihr habt zu dem Album ein eigens konzipiertes Tabletop-RPG herausgebracht. Was hat euch auf die Idee gebracht, die Geschichte hinter „Ice Fleet“ auf diese Weise umzusetzen?
Wie ich bereits erwähnt habe, ist „Ice Fleet“ eine Geschichte mit offenem Ende und einer Menge unbekannter Aspekte. Und Tabletop-Rollenspiele teilen diese Eigenschaft – die Spieler bauen die Geschichte im Laufe der Spielsitzung auf. Da ich von TTRPGs fasziniert bin, dachte ich, es wäre eine gute Idee, diese beiden Künste zu kombinieren und zu versuchen, dem Zuhörer eine weitere Ebene der Immersion zu geben.

Gehören Brettspiele zu deinen Hobbys? Falls ja: Mit welchen Spielen vertreibst du dir gern die Zeit?
Ja, meine Leidenschaft für Brettspiele ist eine Art Vorstufe zu meinem Tabletop-Rollenspiel-Hobby gewesen. Hier sind ein paar Top-Titel, die ich in letzter Zeit gespielt habe: 7th Continent, KDM, Gloomhaven, Fall Of Magic, Arkham Horror LCG und alle Warhammer Quests.

Was sind deine nächsten Pläne für KAUAN oder deine anderen Projekte?
Ein paar überarbeitete Artikel aus dem Backkatalog werden dieses Jahr veröffentlicht und es gibt eine große Show in Helsinki im Oktober. Ansonsten gibt es nichts Konkretes im aktuellen Masterplan, ich habe ein paar Ideen für das neue Album, aber das ist zu abstrakt, um darüber zu sprechen.

Zum Abschluss noch ein kurzes Brainstorming. Was denkst du über die folgenden Begriffe?
Gletscherschmelze: Wahrscheinlich sind wir die letzte Generation, die einen richtigen Winter mit Schnee gesehen hat. Das ist bedauerlich, denn ich bin an Orten aufgewachsen, wo die Durchschnittstemperatur im Januar -35 C° beträgt. Dieses Jahr waren es -4 C°. Man spürt den Unterschied.
Das Unbekannte: Faszination und Gefahr.
Black Metal: Der wichtigste Teil meines Lebens und Pate für meine Entwicklung als Musiker.
Isolation: Die Möglichkeit, sein Leben Revue passieren zu lassen und sich neu zu erfinden. Ein seltener Moment im Leben, in dem man die Zeit anhalten, das Licht ausmachen, ins Bett gehen und sich fragen kann – bin ich ein guter Mensch oder nur so halbwegs?
Streaming-Konzerte: Würde ich gerne mal ausprobieren, wenn Profis das arrangieren.
Tenhis Album „Kauan“: Ich liebe jeden einzelnen Teil davon. Hat mir geholfen, ein paar schwierige Entscheidungen in meinem Studentenleben zu treffen. Ilkka Salminen hat die beste Stimme auf dem Planeten. So schade, dass er Tenhi verlassen hat.

Vielen Dank für deine Zeit. Möchtest du der Leserschaft noch ein paar letzte Worte mitgeben?
Danke für die wohlüberlegten Fragen, passt auf euch auf!

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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