Interview mit Menetekel von Ungfell

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Es ist wohl keine Übertreibung, UNGFELL als Sonderlinge zu bezeichnen. In ihrer Musik mischen die Schweizer räudigen Black Metal nicht nur mit zarten Akustik-Einsprengseln, sondern auch mit kauzig anmutenden, ruralen Elementen wie Kuhglocken und Jodelgesang. Auch gibt die Band sich in den sozialen Medien deutlich nahbarer und spaßiger als es in ihrem Genre Usus ist. Warum Bandkopf Menentekel nicht viel von dem stoischen Auftreten und der Romantisierung des Mittelalters vieler Black-Metal-Gruppen hält, was auf einem guten Album für ihn nicht fehlen darf und ob sein neuestes Konzeptalbum „Es grauet“ ein Happy End hat, ist im folgenden Interview zu lesen.

Wie gut seid ihr durch die Pandemie gekommen und wie ist die Lage bei euch derzeit?
Nun, ich bin am Leben, also das ist cool! Die Pandemie hat UNGFELL nicht wirklich beeinträchtigt, da wir sowieso keine Live-Band sind. Ich könnte trotzdem auf die Pandemie verzichten.

Euer zweites Album ist sehr bald nach eurem ersten erschienen, für „Es grauet“ habt ihr euch hingegen etwas mehr Zeit gelassen. Was hat sich derweil bei euch getan?
Gut Ding will Weile haben. Ich habe auch an zahlreichen Veröffentlichungen für verschiedene Bands gearbeitet. Die Musik war ziemlich genau ein Jahr nach dem zweiten Album aufgenommen, aber die ganze Sache mit den Illustrationen und dem Cover hat eine Weile gedauert, ganz zu schweigen vom Layout. Ich neige dazu, ziemlich perfektionistisch zu sein und das verlangsamt den Prozess.

Ihr habt in einem Posting erwähnt, dass du gesundheitliche Probleme mit deiner Stimme hattest. Was war los und hast du dich inzwischen gut erholen können?
Ich habe mir die Kehle mit einer Hellebarde aufgespießt und das hat einige Schäden an den Stimmbändern verursacht. Nein, ganz im Ernst: Ich bekam ziemlich schlimmes Pfeiffersches Drüsenfieber und konnte eine Zeit lang fast nicht sprechen (zur Freude aller). Ich wache immer noch mit Halsschmerzen auf, aber ich schätze, das ist der Rock ’n‘ Roll-Lifestyle, von dem alle reden.

Musstest du aufgrund der gesundheitlichen Komplikationen deinen Gesangsstil ändern? Und besteht die Gefahr, dass es erneut zu solchen Schwierigkeiten kommt?
Der Gesang ist auf diesem Album ein bisschen anders, aber nicht unbedingt wegen der Krankheit. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass der Stil auf diesem Album mehr zum Vibe von UNGFELL passt. Ich wollte, dass das ganze Album rostig und warm klingt, also fühlte sich das hohe Schreien irgendwie falsch an. Ich habe auch mehr von diesen betrunkenen halb-cleanen Vocals eingebaut. Weil sie cool klingen, ok?
Ich glaube nicht, dass die Mononukleose zurückkommen wird. Aber man weiß ja nie, vielleicht werde ich morgen vom Blitz getroffen.

Während ihr auf euren ersten beiden Alben eine Auswahl an Sagengeschichten vertont habt, ist „Es grauet“ ein Konzeptalbum. Was hat euch daran gereizt, diesmal eine einzige Erzählung zu kreieren?
Ich brauchte einfach eine Herausforderung. Es ist etwas ganz anderes, ein Konzeptalbum zu machen, als nur lose Tracks, und es braucht eine Menge Überlegung. Ein Album ist etwas sehr Wichtiges für mich und ich denke, es ist eine große Leistung, wenn man es wie eine „große Sache“ klingen lassen kann, die fast eine Art Lebensform annimmt. Ich habe das Gefühl, dass wir es irgendwie geschafft haben, aber ich denke auch, dass wir es besser machen können.

Ihr arbeitet in der Geschichte mit allerlei genretypischen Erzählelementen – die Handlung spielt in einem kleinen Dorf, eine Hexe wird gelyncht etc. Gibt es an der Story dennoch etwas, das sie deiner Meinung nach unverkennbar als die Eure auszeichnet?
Der Bürgermeister der Stadt setzt die Prostituierte unter Druck, nur mit ihm „Geschäfte“ zu machen. Er kann sie erpressen, weil er gesehen hat, wie sie in der Teufelsstellung den Akt vollzog, was im Mittelalter verboten war. Dieses Detail ist nicht etwas, das ich mir ausgedacht habe, da es Teil dieser speziellen Überlieferung ist, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass es etwas ist, das zwischen dem Grotesken, dem Morbiden und dem Historischen oszilliert. Diese Art von Mischung ist für mich ziemlich ungfellianisch.

Das Album beinhaltet auch wieder einige kurze Folk-Zwischenspiele. Sind diese inzwischen zu eurem Markenzeichen geworden?
Ich denke, wir sind zu spät dran, um „Folk-Interludes“ als Markenzeichen zu schützen. Sie sind aber ein Teil des musikalischen Universums von UNGFELL, ja.

Welchen Zweck erfüllen die Interludes im Kontext der Handlung?
In Bezug auf die Storyline sind sie eigentlich nicht weniger wichtig als die „Metal“-Tracks. Ich mag den Begriff „Interludes“ nicht wirklich, weil er etwas Beiläufiges impliziert. Ich hatte das Gefühl, dass ich diesem Missverständnis entgegentreten kann, indem ich ihnen mehr Bedeutung beimesse.

Ihr habt generell einen sehr markanten Stil, der sich durch all eure bisherigen Alben zieht. Ist es schwierig, diesen Sound zu spannenden Songs zu verarbeiten, ohne ständig Neues auszuprobieren?
Ich versuche hier nicht beleidigt zu sein, denn du scheinst zu denken, dass wir keine neuen Dinge ausprobieren! Ich würde sagen, das tun wir schon, aber zugegeben, es ist oft auf einer sehr subtilen Ebene. Ja, es ist sehr schwierig – wahrscheinlich am schwierigsten – dem Sound, den man in den letzten Jahren kreiert hat, treu zu bleiben und sich trotzdem weiterzuentwickeln. Es fühlt sich manchmal seltsam an, wenn Bands ihren Sound von einer Veröffentlichung zur nächsten drastisch verändern. Deshalb versuche ich, die Veränderung so unmerklich wie möglich zu machen, obwohl es mir extrem wichtig ist, mich als Musiker weiterzuentwickeln. Der kreative Prozess ist manchmal sehr seltsam; es fühlt sich an, als ob man sich selbst Grenzen setzt, aber gleichzeitig versucht, sie zu überwinden. Ich weiß nicht, ob das Sinn macht, aber für mich ist es so.

Ich habe den Eindruck, dass „Es grauet“ bezüglich Sound und Performance wieder ein wenig ausgefeilter als eure ersten beiden Alben klingt. Denkst du, dass ihr in dieser Hinsicht noch Luft nach oben habt?
Es gibt immer Raum für Verbesserungen. Die Verbesserung kommt aber nicht mit einem saubereren Sound, sondern mit dem Anspruch, ein Album genau so klingen zu lassen, wie man es haben will. Sauberer heißt nicht besser. Rauer heißt auch nicht besser. In der Szene scheint es in dieser Hinsicht nicht viele Überlegungen zu geben, weil es genau zwei Lager gibt. Ich habe das Gefühl, dass man sich immer fragen muss, ob der Mix einem Zweck dient. Im Fall von „Es grauet“ habe ich das Gefühl, dass ich es geschafft habe, ungefähr den Sound zu bekommen, den ich wollte. Dadurch, dass es mir nicht zu 100% gelungen ist, gibt es Raum für Verbesserungen.

Perfektionismus spielt im Black Metal oft keine große Rolle – auch grob produzierte und ungenau eingespielte Alben werden mitunter zu Klassikern. Was macht für dich persönlich ein gutes Black-Metal-Album aus?
Das habe ich in meiner vorherigen Antwort schon stark angerissen. Ich habe das Gefühl, dass der Wert eines (Black-Metal-)Albums mit der Vision der Leute dahinter steht und fällt. Wenn man keine Vision hat, wird man nicht wissen, wie man es abmischt, man hat keine visuelle Sprache, man hat keine interessanten Texte und es wird am Ende irgendein generischer Bullshit sein, wie man ihn en masse finden kann. Ein gutes Album sollte dich wirklich auf eine Reise mitnehmen, so kitschig es auch klingt. Wenn es dich nicht auf eine Reise mitnimmt, kann es dich immer noch dazu bringen, zu headbangen, wenn es coole Riffs hat. Keine Reise UND keine Riffs? Geh mir aus den Augen!

Der Titel des letzten Stücks auf „Es grauet“ suggeriert, dass das Unheil, das über das Dorf hereinbricht, am Ende überwunden wird. Ist „Es grauet“ ein Black-Metal-Album mit Happy End?
Wenn man den Tod eines ganzen Dorfes durch einen massiven Erdrutsch, der durch den Fluch einer Hexe verursacht wird, als Happy End bezeichnet, sicher!

Gerade im Folk Black Metal zeigt sich oft eine gewisse Diskrepanz: Einerseits werden Mittelalter und Altertum oft romantisiert, andererseits wurden Andersdenkende und vermeintliche Ketzer damals verfolgt. Wie passt das aus deiner Sicht zusammen?
Ich denke, man darf romantisieren, wenn man sich bewusst ist, dass man romantisiert. Man kann sich seine eigene Version des Mittelalters zusammenbasteln und es wird eine Art Fantasiewelt sein, die historisch vielleicht völlig daneben ist. Meiner Meinung nach sollte es einen Platz für diese Art der Flucht in alternative Realitäten geben. Das reale Mittelalter ist allerdings hochinteressant, und ich liebe es, Texte aus und über diese Zeit zu lesen und zu studieren. Ich habe das Gefühl, dass viele dieser Black-Metal-Leute wirklich ins Mittelalter zurückwollen. Zu ihnen sage ich: Bitte tut das! Wenn ihr wirklich glaubt, dass die Welt im „glorreichen“ Mittelalter besser dran wäre, dann lasst euch bitte auf dem Schlachtfeld von einem rostigen Knüppel die Fresse einschlagen, während ihr euch in die Hose macht und euer Heim geplündert wird.

Ihr gebt euch in den sozialen Medien sehr humorvoll und auch aufgeschlossen gegenüber anderen Musikrichtungen als Black Metal. Denkst du, dass Black Metal oft übertrieben ernstgenommen wird?
Ich würde gerne denken, dass ich aufgeschlossen bin, oder zumindest versuche ich mein Bestes, es zu sein. In Bezug auf den Humor: Viele Leute in dieser Szene scheinen zu denken, dass es sehr cool und böse ist, immer „grim“ und „frostbitten“ zu sein. Ich will nicht versuchen, jemand zu sein, der ich nicht bin, nur um ein paar frustrierten „Elite“-Arschgeigen zu gefallen, die in ihrem Leben noch nie ein anständiges Riff geschrieben haben und das deshalb kompensieren müssen, indem sie sich selbst versichern, dass sie Black Metal „verstehen“. Ich nehme es sehr ernst, was ich mit UNGFELL mache. Das heißt aber nicht, dass man nicht ab und zu mal einen Scherz machen kann.

Was habt ihr als Nächstes mit UNGFELL vor?
Wahrscheinlich Musik.

Zum Abschluss noch ein kurzes Brainstorming. Was kommt dir bei den folgenden Begriffen in den Sinn?
Landleben: Ja bitte.
Satyricons Munch-Ausstellung: Klar, was auch immer.
Industrial Black Metal: Genres sind kompliziert.
Halswehtabletten: Carmol tut wohl.
Soziale Medien: Meh.
Reines Folk-Album von UNGFELL: Fuck off.

Ich bedanke mich vielmals für deine Antworten. Gibt es noch ein paar letzte Worte, die du an dieser Stelle loswerden möchtest?
Danke für das Interesse an unserer Musik.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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