Konzertbericht: Caravan Palace w/ Alice Francis

2012-11-04 Theaterfabrik, München


Wenn man schon mal ein Album mit zehn von zehn Punkten bewertet, ist ein Besuch beim entsprechenden Konzert vor Ort natürlich Pflicht. Und da das Genre immer beliebter wird und CARAVAN PALACE kürzlich ihr zweites Album „Panic“ veröffentlichten, gaben sich die Musiker auch in München die Ehre. Also habe ich mich schließlich auf den Weg in die Theaterfabrik gemacht, um dort mein erstes Electro Swing / Neo Jazz Konzert zu erleben. Ich gebe zu – ich war mehr als nur ein bisschen neugierig. Denn, zieht diese Musik auch in einer Konzerthalle? Und noch ungewisser, zieht diese Musik auch in einer münchner Konzerthalle?


Zuerst schienen sich meine Befürchtungen zu bestätigen. Nur spärlich tröpfelte das Publikum in die Halle, vereinzelt bildeten sich Grüppchen, und auch wenn die Theaterfabrik am Ende gut gefüllt war, wäre sicherlich noch Platz für mehr gewesen. Doch München sollte mich eines Besseren belehren.
Kurz nach acht kündigte sich ALICE FRANCIS an. Zweifelsohne, wer versucht, sich unter Electro Swing etwas vorzustellen, wird in Sachen Optik hier alles andere als enttäuscht. Anzug und Zylinder treffen auf modernes Mac-Book, edle Hosenträger auf wilde Dreadlocks. Sängerin Alice Francis selbst könnte einem Bilderbuch aus der Swing- und Jazz-Ära entsprungen sein. Neidlos muss frau hier anerkennen – diese Lady ist nicht nur bezaubernd hübsch, sondern trägt 20er-Jahre-Attitüde und edlen Glitzerdress wie eine zweite Haut. Die Kölnerin mit rumänischen und tansanischen Wurzeln mixt in ihrem Debutalbum „St. James Ballroom“ fleißig Jazz- und Swing Rhythmen mit Electro-Pop Elementen und scheut auch vor gelegentlichen Hiphop-Zumischungen nicht zurück. Das Konzept funktioniert live noch einmal einen ganzen Deut besser als auf CD und sichert ALICE FRANCIS einen Platz auf der leider noch sehr kurzen Liste der Künstler dieses Genres. Bereits hier zeigt sich das sonst so scheue Münchener Publikum von ungewohnt lockerer Seite. Nach einer handvoll Aufwärmsongs war auch der letzte eingeswingt und klatschend und hüfteschwingend groovten sich die Konzertbesucher durch den einstündigen Support.


Und schließlich … CARAVAN PALACE. Bewaffnet mit Violine, Klarinette, Posaune, Kontrabass, Keyboards, Gitarren und, natürlich, einem Mac-Book, drapierten sich die Musiker gegen halb zehn auf der Bühne. Sängerin Colotis Zoé trat dazu und der erste Song dröhnte basslastig durch die Halle. Eingangs stellte ich die Frage, ob diese Musik live funktionieren kann. Antwort: Sie ist dafür geschaffen. So tanzbar und mitreißend habe ich ein Konzert nur selten erlebt. Die Electro Beats hämmerten sich durch Ohren und Fußboden direkt in die Beine. Und selbst wer vorher mit Jazz und Swing nur wenig hatte anfangen können, wurde an diesem Abend wohl eines besseren belehrt.
Sängerin Colotis hatte einen ganz eigenen, verruchten Charme. Sie wirkte ein wenig unnahbar, doch wie auch bei ihren Bandkollegen führten die elektrisierenden Songs, das beeindruckende Talent und die Spielfreude der Musiker an den Instrumenten schnell dazu, dass der Funke übersprang. Und während des gesamten Konzerts gönnten sie auch ihrem Publikum keine Ruhepause. Nur Colotis durfte regelmäßig hinter der Bühne verschwinden. Schließlich wird ihre Stimme nur bei knapp der Hälfte der CARAVAN PALACE Songs benötigt. Die freie Zeit schien sie offensichtlich auch für den ein- oder anderen Outfit-Wechsel genutzt zu haben. Die Setlist war eine gelungene Mischung aus den launigsten Stücken der beiden Alben, ruhige Stücke wurden ausgespart, sie hätten in die vorherrschende Feier-Stimmung nicht hineingepasst. Stattdessen gab es eine gekonnte Lindy-Hop Tanzeinlage und ausgiebige Zugaben.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass CARAVAN PALACE es vorzüglich geschafft haben, die Grenzen zwischen ausgelassener Club-Party und virtuosem Live-Konzert zu sprengen. Selten habe ich mich bei einem Konzert so verausgabt. Wer hier nicht zumindest mitwippt hat sein urmenschliches rhythmisches Bewegungsbedürfnis wohl schon lange irgendwo begraben und vermodern lassen. Klar, besonders tiefsinnige Texte oder Gänsehaut-Melodien wird man hier vergeblich suchen, aber das dürfte bei einer Genrebezeichnung wie Electro Swing auch selbstverständlich sein. Hier wird ausgelassen und glamourös gefeiert. Und wer ein wenig experimentierfreudig ist, kann auch als eingefahrener Metaler dabei seinen Spaß haben. Man muss nur mal ein wenig über den Tellerrand blicken.

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