Konzertbericht: Persistence Tour 2013 (Dresden)

2013-01-19 Dresden, Eventwerk


Wenn sechs Bands auf einer Tour zu finden sind, die alle im Hardcore bzw. stark verwandten Genres, angesiedelt sind, dann handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um die Persistence Tour. Auch im Jahre 2013 verwüstet diese wieder Konzerthallen im ganzen Land und lädt Fans dazu ein, sich stundenlang stilistisch ähnliche Bands anzuhören. Kommen dann noch zwei lokale Hardcore-Bands hinzu, so ist man in Dresden gelandet, jenem schönen Fleckchen Erde, das sich als sehr gutes Pflaster für Hardcore und hardcoreaffine Bands erwiesen hat.
Besonders in diesem Jahr hat die Tour jedoch ein Line-Up zu bieten, was seinesgleichen sucht. Sind die Opener von THE ACACIA STRAIN tendenziell noch eher in der zweiten Liga angesiedelt, kommt spätestens mit NEAERA (zumindest in deutschen Landen) eine Band aus der Hardcore-Bundesliga. Folgen darauf mit STICK TO YOUR GUNS und H2O zwei absolute Bomben, dann hat sich der Kauf der Karte eigentlich schon zu diesem Zeitpunkt gelohnt. Wenn jedoch auch noch AGNOSTIC FRONT mit von der Partie sind, schlägt das Herz eines jeden Hardcore-Fans höher. Headliner HATEBREED sind mittlerweile über jeden Zweifel erhaben und komplettieren ein beeindruckendes Tourpackage.

Nachdem die beiden lokalen Bands RISK IT (Dresden) und LAST CHANCE TO DIE (Chemnitz) leider der „Kulturgeschichte des Deutschen Ordens“ zum Opfer fielen (sorry, aber 16:40 Uhr ist eine wirklich krass frühe Anfangszeit – da läuft das gelegentliche Blockseminar halt noch), begann der Abend also gegen 18 Uhr mit THE ACACIA STRAIN. Deren Mischung aus Metal- und Deathcore ist sicher nicht jedermanns Sache, doch einige Freunde der Band in der hatten offensichtlich bereits ihren Weg in das, schon zu so früher Stunde gut gefüllte, Eventwerk gefunden. Die Band selbst agierte durchaus energiegeladen und gab ihr Bestes um neue Anhänger hinzuzugewinnen, was angesichts der Reaktion des Publikums allerdings kaum funktioniert haben dürfte. Die Bewegung vor der Bühne hält sich doch arg in Grenzen und den Aufforderungen nach Circlepits von Seiten des Sängers kommt man eher selten nach.

Ganz anders hingegen ist die Sachlage bei der nächsten Band – NEAERA. Diese besuchten bereits im März 2012, im Schlepptau von Heaven Shall Burn, Elbflorenz und hinterließen offensichtlich einen bleibenden Eindruck. Anders ist die unglaublich heftige Reaktion des Publikums auf die Darbietung der Münsteraner kaum zu erklären. Denn was Band und Publikum in dieser halben Stunde abfeuern ist der blanke Wahnsinn und sollte an diesem Abend – in puncto Band-Publikum-Interaktion – auch unübertroffen bleiben. Dass ein Sänger nach dem Opener („Spearheading The Spawn“) das Publikum zum Crowdsurfen animiert ist nicht unbedingt neu, auch wenn es die Ordner wohl eher nerven dürfte. Partizipiert jener Sänger jedoch schon während des zweiten Songs an genanntem Crowdsurfing, so ist dies doch eher ungewöhnlich. Wenn dann bereits der übernächste Song („Walls Instead Of Bridges“) mit einer Wall Of Death gekrönt wird, so ist die Stimmung zweifelsohne am Siedepunkt. Von besagtem Siedepunkt bewegte sich die Stimmung auch während der restlichen Tracks von NEAREAs Set, welches von konstanten Circlepits begleitet wurde, nicht weg. Der Titelsong „Ours Is The Storm“ vom kommenden Album wurde dem Publikum kredenzt und dieser musste sich keinesfalls neben älteren und live erprobten Tracks der Band verstecken. Metalcore vom Feinsten, der bei den Hardcore-Fans offensichtlich sehr gut ankommt. Was NEAERA an diesem Abend zeigten, war schlicht ein perfekter Gig der Band, die sich denn auch artig beim Publikum mit folgenden Worten bedankten: „Wir haben den Amis erzählt, wie geil es in Dresden immer ist und die wollten uns das nicht glauben. Danke, dass ihr es ihnen bewiesen habt“! Aber gerne doch!

Einer solchen Demonstration von Energie und Brutalität zu folgen ist sicher alles andere als einfach, STICK TO YOUR GUNS jedoch gelingt es scheinbar spielend. Mit ihrem heftigen, jedoch auch durchaus melodischem Sound schafft es die Band das Publikum permanent zum Mitmachen, Mitsingen und Abgehen zu animieren. Das Energielevel ist vielleicht nicht ganz so hoch wie bei Neaera, jedoch bieten die Refrains mit ihren cleanen Vocals dem Publikum ausgiebig die Möglichkeit zum Mitgrölen, welche dieses dankend annimmt. Gerade diese melodiösen Einschübe im knallharten Hardcore-Sound sind ein Alleinstellungsmerkmal von STICK TO YOUR GUNS, was an einem Abend wie diesem nur gut sein kann. Nichtsdestotrotz ist auch diese Band weder radiotauglich noch easy-listening. Die Jungs hauen sich richtig rein, gehen auf der Bühne absolut steil und können so das Publikum problemlos für sich begeistern. „We Still Believe“, „Against Them All“ und das abschließende „Such Pain“ gehen runter wie kühles Radeberger vom Fass und die zahlreichen Fans der Band bringen ihre Zustimmung zur Performance und Songauswahl der Band auch lautstark zum Ausdruck. Lautstark ist das Stichwort – der Sound ist bombastisch. War dieser auch bei NEAERA schon richtig geil, werden bei STICK TO YOUR GUNS noch ein paar Prozent rausgeholt, was sicherloch durch die, im Verhältnis, einfacheren Gitarren begünstigt wurde. Knackig, sauber und unglaublich heftig. Der Druck in den ersten Reihen spart den Besuch beim Physiotherapeuten – Kompliment an den Soundmensch! STICK TO YOUR GUNS beschwören mit ihren Ansagen und Lyrics den Gemeinschaftssinn des Publikums herauf, womit sie bei diesem zusätzliche Sympathiepunkte sammeln können. Denn darum geht es letztlich auf Konzerten – alle rasten zur Musik aus, Mann und Frau, Schwarz und Weiß gehen gemeinsam ab und Unterschiede interessieren niemanden.

Mit „Empire State Of Mind“ von Jay-Z feat. Alicia Keys und “New York” von Frank Sinatra haben H2O zwar eher ungewöhnliche Einmarschmusik gewählt, ihre stark vom Punk-Rock beeinflusste Version des Hardcores jedoch passt perfekt zum heutigen Abend. Die Band selbst ist offensichtlich gut drauf und hat sichtlich Spaß an ihrem Auftritt. Mit „1995“ geht es direkt in die Vollen und das ist den Anwesenden nur Recht. Allerdings wird auch deutlich, dass, im Gegensatz zu NEAERA und STICK TO YOUR GUNS, der Faktor Aggression bei H2O nicht so vordergründig liegt. Ob das primär an den punk-rockigen Refrains, die zum Mitsingen einladen, oder an dem teilweise stark Hip-Hop-lastigen Gesang liegt ist schwer auszumachen, dem Publikum ist es aber auch schlicht egal. Selbiges lässt sich denn auch nicht lange bitten und begibt sich auf seinen Rundweg vor der Bühne oder springt wild übereinander, ohne sich dabei jedoch Böses zu wollen. Es ist einfach immer wieder schön zu sehen, wie hingefallenen Menschen sofort aufgeholfen wird und wie sich niemand aufregt, wenn ihm ein voller Bierbecher in den Nacken segelt. „One Life, One Chance“ bringt das Publikum richtig auf Touren, wo es auch bleibt, als zum nachfolgenden „Guilty By Association“ Mike Gallo von AGNOSTIC FRONT den Gesang übernimmt. H2O scheinen sichtlich angetan vom Dresdner Publikum und dessen wildem Drang zur Bewegung, was Sänger Toby Morse dazu verleitet, den heutigen Abend neben Paris zu seinem liebsten Stopp der Persistence Tour zu erheben. So lässt es sich die Band denn auch nicht nehmen, den Anwesenden ein besonderes Geschenk zu bereiten – den Beginn einer Hardcore-Coverversion von Black Sabbaths „Paranoid“, welche nahtlos in „5 Year Plan“ übergeht. Beim Abschließenden „What Happened“ wird dann noch einmal die Essenz des Hardcore vermittelt: Ablehnung des oberflächlichen Mainstreams, DIY, Gemeinschaft und Musik. In diesem Sinne – Passion Before Fashion!

H2O Setlist:
1. 1995
2. Universal Language
3. Nothing To Prove
4. Family Tree
5. Still Here
6. One Life, One Chance
7. Guilty By Association
8. Fairweather Friend
9. Faster Than the World
10. 5 Year Plan
11. Sunday
12. What Happened

Passion Before Fashion? Hardcore als Gemeinschaft? Fraglich, ob es all das in dieser Form ohne die nachfolgende Band gäbe, die Rede ist selbstverständlich von den Godfathers of Hardcore: AGNOSTIC FRONT. Die Legende aus New York beginnt ihr Set mit „Addiction“ und „Dead To Me“ vom „Warrior“-Album und bereits während dieser beiden Songs wird klar, dass diese Herren noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Die Musiker bearbeiten ihre Instrumente mit einer Vehemenz, als ob man sich wieder in einer Schlägerei Anfang der 90er Jahre befände. Roger Miret springt über die Bühne wie ein Jungspund und haut sich auf die Brust wie ein alter Silberrücken, der den Kids zeigt wo es langgeht. Und im prinzip ist es auch genau das, was AGNOSTIG FRONT während der folgenden 45 Minuten tun. Die Setlist birgt sowohl Songs neueren Ursprungs als auch richtig alte Gassenhauer, was die Fans zum totalen Ausrasten bringt. Es gab wohl nur wenige Momente in der langen Dresdener Geschichte, in denen so viele Menschen gleichzeitig in spanischer Sprache schrien, wie während „A Mi Manera“. Dass dieser Song die Leute dazu animiert, wie Fallobst von den Händen der ersten Reihen über die Absperrung vor die Bühne zu purzeln, ist wohl selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist eigentlich, dass man sich danach wieder in den Innenraum begibt. Dies wollte ein junger Mann nun aber nicht tun. Problem: Auf sine gut 180cm verteilte er gut 150kg, was es selbst fünf(!) Ordern nicht ermöglichte, den Knaben zu entfernen. Da der Song mittlerweile geendet hatte, fiel die Szene Roger auf, der den Knilch prompt auf die Bühne holte und ihm „For My Family“ widmete. Daraufhin trollte sich der Koloss auch ganz brav wieder. Sicherheitstechnsich sicher keine Ideallösung, in puncto Fannähe jedoch aller Ehren wert. Während „Peace“ gibt sich dann Jamey Jasta die Ehre und wenn diese beiden Sänger im Duett agieren, dann brennt wirklich die Hütte. „Gotta Go“ widmet Roger dann seinem deutschen Onkel, welcher auch prompt im Rollstuhl auf die Bühne kommt. Ein weiterer Moment, der den familiären Charakter der Hardcore-Szene unterstreicht. Mit dem Ramones-Cover „Blitzkrieg Bop“ beenden AGNOSTIC FRONT schließlich ein Set, dass keine Wünsche unerfüllt ließ, auch wenn der Sound unerklärlicher Weise nicht mehr so prall war, wie bei den vorangegangenen Bands. Das das für diese Legende des New York Hardcore jedoch kein Hindernis ist macht deutlich wie lebendig der (Old School) Hardcore ist!

Setlist AGNOSTIC FRONT:
1. Addiction
2. Dead To Me
3. My Life My Way
4. That’s Life
5. A Mi Manera
6. For My Family
7. Friend Or Foe
8. All Is Not Forgotten
9. Peace
10. Crucified
11. Gotta Go
12. Riot, Riot, Upstart
13. Police State
14. Take Me Back
15. Blitzkrieg Bop

Schwer zu toppen? Absolut. Unmöglich? Zumindest nicht für HATEBREED. Die Headliner des heutigen Abends werden mit einer derartigen Laustärke begrüßt, dass man am Mischpult wohl darüber nachdenken musste, wie hoch man die PA noch regeln kann, damit die Band hörbar bleibt. Aber HATEBREED sind ja dafür bekannt, sich Gehör zu verschaffen und das gelingt ihnen auch am heutigen Abend spielend. „To The Threshold“ und „Put It To The Torch“ (vom noch unveröffentlichten Album) eröffnen den Reigen und werden von den Anwesenden abgefeiert, als ob es absolute Bandklassiker wären. Ein solcher folgt als drittes und das Publikum nimmt sich den Titel schwer zu Herzen – „Tear It Down“. Die sorgfältig mit Planen umwickelten (wohl um Kletterpartien vorzubeugen) Metalpfeiler der Halle werden freigelegt, Schuhe, Shirts und Mützen segeln im hohen Bogen durch die Luft und eine wahre Flut von Menschen lässt sich über die Köpfe der anwesenden nach vorn tragen, um sich wellengleich über die Absperrung zu ergießen. Ab diesem Punkt gibt es kein Halten mehr – Circlepit um Circlepit kreist durch die Halle. Vor „Indevisible“, einem weiteren neuer Song, fordert Jamey dann das Publikum auf, während des Tracks den Pit nicht zum Stehen kommen zu lassen – für die Anwesenden ein Leichtes. Der Song selbst entpuppt sich als absolute Granate, die sämtliche Trademarks der Band in sich vereint – fette Riffs, heftige Breakdowns und einen Refrain, der sich herrlich mitschreien lässt. Die folgenden „Doomsayer“ und „As Diehard As They Come“ stehen dem dann aber in nichts nach. Soweit so gut, doch das dicke Ende (im positiven Sinn!) sollte erst noch kommen. Im letzten Drittel des Sets folgte ein Nackenbrecher auf den anderen: „Perseverence“ und „This Is Now“ sind ebenso unwiderstehlich wie „Straight To Your Face“ und „Live For This“. Nach diesen Bomben von Songs verlässt die Band die Bühne und lässt ein völlig zerstörtes Publikum zurück, nur um kurz darauf zurückzukehren und mit „I Will Be Heard“ und „Destroy Everything“ auch das letzte bisschen Energie aus sich und den Fans herauszupumpen. Unterm Strich konnten HATEBREED ohne Zweifel ihre Headliner-Position rechtfertigen und mit diesem Auftritt erneut eindrucksvoll unterstreichen, warum sie zu einer der einflussreichsten Bands der Hardcore- und Metalszene zählen.

Setlist HATEBREED:
1. To The Threshold
2. Put It To The Torch
3. Tear It Down
4. Everyone Bleeds Now
5. In Ashes They Shall Reap
6. Never Let It Die
7. Smash Your Enemies
8. Indivisible
9. Doomsayer
10. As Diehard As They Come
11. Defeatist
12. Last Breath
13. Perseverance
14. This Is Now
15. Straight To Your Face
16. Live For This
Encore:
17. I Will Be Heard
18. Destroy Everything


Die Shows der Bands dauerten zwischen 30 Minuten und einer Stunde – das Publikum harrte zum Teil gut sieben Stunden vor der Bühne aus. Respektable Energieleistung, die allerdings durch den grandiosen Einsatz der Bands belohnt wurde. Am Ende nahmen aber alle das Gleiche mit: Kopf- und Rückenschmerzen und die Erinnerung an fünf richtig gute bis geniale Konzerte. Abende wie diese sind der lebende Beweis für die Vitalität des Hardcore!

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