Konzertbericht: Sieges Even / Deadsoul Tribe

2006-01-12 Essen, Zeche Carl

Aus musikalischer Sicht ging das Konzertjahr für Progfans definitiv gut los: Sieges Even und Deadsoul Tribe packten bereits kurz nach Neujahr ihre sieben Sachen und machten sich auf eine kleine, aber feine Clubtour durch Holland, Belgien, Frankreich, die Schweiz und natürlich auch Deutschland. Das Konzert in der Essener Zeche Carl war leider auch schon der vorletzte Auftritt des ersten Tourhighlights des Jahres.

Zunächst allerdings noch was allgemeines: Vor sogenannten Doppel-Headliner-Tourneen kann ich nur warnen. Bei Kansas/Styx hatte ich letztes Jahr damit schon schlechte Erfahrungen gemacht – Kansas (und damit die meiner Ansicht nach bessere Band des Abends) spielten zuerst und kürzer. Immerhin traten sie im letzten Teil der Tour als zweite Band auf. Und als hätte ich es ahnen können, wurde auch der Eindruck dieses winterlich-kühlen Donnerstagabends durch genau dieses Problem in Mitleidenschaft gezogen.

Aber betrachten wir den Abend doch etwas näher:
Auch wenn die hier vorliegende Band-Kombination äußerst geschmackvoll ist, so kann ich doch nicht abstreiten, dass ich mich insgeheim etwas mehr auf Sieges Even gefreut habe, als auf Devon Graves und seine „toten Seelen“. Mit „The Art Of Navigating By The Stars“ haben SIEGES EVEN ja im letzten Jahr quasi einen völligen Neuanfang in Angriff genommen und gleichzeitig mein Album des Jahres abgeliefert. Nun versucht man sich langsam wieder einen nennenswerten Status zu erarbeiten. Deadsoul Tribe hingegen sind ja schon länger unterwegs, haben in feinen (Prog)-Metalkreisen durchaus einen guten Namen, mit „The Dead Word“ jedoch nur eine nette Platte im Gepäck.

So verwundert es natürlich nicht allzu sehr, dass gegen 19:45 doch nicht wie erhofft DEADSOUL TRIBE eröffnen, sondern die bayrischen Prog-Recken SIEGES EVEN. Nachdem es einige Zeit nach dem Einlass immer noch recht leer war, befürchteten mein Kollege Gunnar und ich zunächst eine recht dröge Stimmung, Gott sei Dank hatte sich die sympathische Zeche Carl jedoch noch einigermaßen gefüllt, sodass man auch auf eine gelungene Prog-Party hoffen konnte, bei der man dennoch keine Platzangst bekam.
Auf also ins Vergnügen: Die vier Jungs enterten mit „The Waking Hours“ von „A Sense Ofd Change“ die Bühne, stellten sich danach vor und machten sympathisch trocken die Bemerkung, dass man nun mit einem Song vom neuen Album fortfahren werde. Das sollte nun ausgerechnet der Album-Closer „Styx“ sein. Es brauchte seine Zeit, bis sich das Publikum auf die komplexen Rhythmen der bayrischen Mannen eingestellt hatte, danach gab’s aber ein für ein Progkonzert durchaus aktives, klatsch- und bewegungsfreundliches Publikum. Jeder versuchte nach besten Stücken, sich individuell zu der musikalischen Achterbahnfahrt zu bewegen, vereinzelt traf man sogar auf innig mitsingende, ergriffene Menschen. Doch kommen wir erst mal zur Band: Der neue hollandische Sänger Arno Menses bewies schon nach den ersten Gesangspassagen, dass er tatsächlich in der Lage war, die wunderschön klaren und ergreifenden Melodien des Studioalbums live rüberzubringen. Er ließ es sich dabei auch nicht nehmen einige Gesangspassagen ein wenig zu verändern, vorwiegend dort, wo auf dem Album mehrstimmig gesungen wird. Dies wirkte jedoch keineswegs negativ, sondern machte das Zuhören zu einem noch größeren Genuss. Gitarrist Markus Steffen, in Fachkreisen auch „Der Junge mit der Gitarre“ genannt, beschäftigte sich ganz allein mit seinem schwarzen Griffbrett, das er auffallend hoch hängen hatte und voller Hingabe bearbeitete. Es ist schon faszinierend, was für Sounds man aus einer Gitarre mithilfe von ein paar Amps rausholen kann. Genauso wie auf dem Album fehlten mir hier die von mir so heißgeliebten Keyboards kein Stück! Ein kleiner Robert Fripp, keine Frage! Und dann wären da natürlich noch die beiden Holzwarth-Brüder. Während Alex mit unbändiger Power sein recht kleines, aber ungemein effektives Drumkit mit den durchgedrehtesten Rhythmen bearbeitete, ließ es sich sein Bruder Oliver nicht nehmen, ein bisschen den Poser zu markieren. Immer mal wieder ein aufgesetztes Grinse-Face hier und eine Rock-Klischee-Pose dort, von seiner drei Meter zu breiten Hose mal ganz zu schweigen. Dabei vergaß er aber keineswegs das Bass spielen. Eine Sache, die er übrigens hervorragend beherrscht! Zurück zu Alex: Menschen, die behaupten, dieser Kerl würde nicht rocken oder hätte nichts drauf, weil er zum Geldverdienen bei der Rumpelkappelle Rhapsody spielt, wurden heute Abend eines Besseren belehrt. Ein fetter Drumsound mit einer super druckvollen Bassdrum verwöhnte unsere Ohren, während er mit seinen zwei Händen noch allerlei Verrücktes auf dem Rest des Kits veranstaltete. Alles genauso präzise wie auf dem Album! Dass er dabei noch Zeit hat, lässig eine Kippe zu rauchen, verwundert da kaum noch! Über den Sound der Band muss an diesem Abend eigentlich nichts weiter gesagt werden. Der Mann am Mischpult hat einen eindrucksvollen Job gemacht: Jedes Instrument war jederzeit eindeutig zu hören und zu verfolgen, der Gesamtsound war äußerst homogen und druckvoll. Die Lautstärke passend. Anfänglich kam mir das Konzert sehr kühl vor, mit zunehmender Spieldauer jedoch fand die Band immer mehr Bezug zum Publikum und lustige Aktionen, wie der Manegenzauber von Sänger Arno Menses, der uns unbedingt beweisen musste, dass er sein Käppi auf seiner Nasenspitze balancieren kann, kamen auch entsprechend an. Ein Highlight in dieser Hinsicht war noch seine Reaktion auf einen Publikumszuruf: Nachdem jemand „Heavy Metal!“ reingerufen hatte, zog er kurzerhand das komplette Powermetalgenre in den Kakao, indem er seine Stimmenlage um schätzungsweise 4 Oktaven nach oben verlagerte. Sehr amüsant!

Leider war der Spaß nach gut 80 Minuten auch schon wieder vorbei. Allerdings waren diese Minuten äußerst wertvoll. Ein Blick auf die Setlist verrät auch warum: Bis auf „Blue Wide Open“ und „Lighthouse“ wurde die komplette neue Platte gespielt. Dazu gab’s dann noch mit „These Empty Places“, „Prime“ und dem bereits erwähnten „The Waking Hours“ drei Songs von dem 1991er Album „A Sense Of Change“, die sich doch um einige Schippen Frickelfaktor von dem neuesten Werk unterschieden. Im Zugabenblock folgte der Griff zum Thrashdebüt „Life Cycle“, von dem noch der Titeltrack gespielt wurde. Meine persönlichen Highlights waren allerdings das fantastische, absolut ergreifende „The Lonely Views Of Condors“, sowie das zentrale „The Weight“, dass nach „Styx“ sogleich unheimlich mitriss.

Was nun noch folgte, war sowohl für Gunnar, als auch für mich nur noch eine Zugabe, ein zweiter Teil, den man natürlich mitnimmt, wenn man schon mal da ist. Nachdem im Hintergrund das aktuelle Coverartwork von „The Dead Word“ aufgehangen worden war, ging es auch schon los. DEADSOUL TRIBE spielten insgesamt etwas mehr als 100 Minuten – meiner eigenen Ansicht nach einfach zu lang. Obwohl ein Großteil des Publikums für Devon Graves gekommen war, fielen die Reaktionen eigentlich recht spärlich aus. Natürlich gab es einige derbst headbangende Metaller, wobei sich die nun zu vernehmende Musik in ihrer Simplizität natürlich auch besonders dafür eignet. Was den Auftritt letztendlich so langatmig gestaltete, war die fehlende Variation im Songmaterial. Insgesamt betrachtet klangen die Stücke, insbesondere in der Schlagzeugabteilung, alle sehr ähnlich. Positiv stachen deshalb insbesondere die Tracks hervor, die musikalisch etwas ruhiger und zurückgefahrener waren – sodass sich Devons grandiose Stimme und – ab und zu – sein fantastisches Querflötenspiel richtig entfalten konnten, wie z.B. bei dem tollen „Some Sane Advice“ vom aktuellen Longplayer „The Dead Word“ oder beim grandiosen Psychotic Waltz-Song „I Remember“. Nett waren auch das wirklich gute „Some Things You Can’t Return“ und „Let The Hammer Fall“ vom letzten Album. Vermisst habe ich lediglich „Waiting In Line“. Der Sound während des Gigs war insgesamt sehr undifferenziert, schlicht nur auf Soundwand und Wuchtigkeit ausgelegt. Für Details war hier kein Platz mehr. Viel schlimmer jedoch war, dass es unsäglich laut war. Hier mal ein Appell an die Vernunft: Es muss doch nicht so laut sein, dass es schon nach 20 Minuten wirklich im Ohr schmerzt, oder? Einige der anwesenden Zuschauer, vorwiegend aus den hinteren Reihen, verließen vielleicht auch aus diesem Grund das Konzert vorzeitig. Im Mittelteil wurde es dann Gott sei Dank etwas leiser und klarer, sodass man es problemlos ertragen konnte. Insgesamt war es dennoch sehr unterhaltsam. Devon Graves ist einfach ein Musiker mit Charakter und Ausstrahlung, das muss man ihm lassen. Seine einmalige Bühnenpräsenz sollte jeder einmal gesehen haben. Drummer Adel Moustafa versteht sein Handwerk durchaus und überzeugte durch einen wuchtigen Sound und sehr flottes Spiel. Über die Vielseitigkeit hab ich ja schon weiter oben zwei Worte verloren. Schade eigentlich! Der zweite Gitarrist Roland Kerschbaumer und der Bassist Roland Ivenz spielten ihre Parts solide runter, ohne groß zu strahlen. Von den beiden waren hauptsächlich die umherkreisenden Haare zu sehen, mehr nicht. Bei dieser Gelegenheit muss mir dann auch noch mal jemand erklären, warum Herr Graves ausgerecht seinen Bassisten in den Mittelpunkt der Bühne stellt und praktisch zur permanenten Poserei zwingt, wo es doch eigentlich sein Projekt ist – aber der Meister steht lieber am linken Rand der Bühne! Interessant wurde es noch mal gegen Ende, als Devon allerlei verrückte Sache mit seiner Gitarre und dem traditionell mitgebrachten Geigenstock anstellte. Sehens- und hörenswert!Bleibt letztlich der Wunsch nach mehr Abwechslung im Songmaterial und ein paar mehr ruhigeren Nummern.

Unter dem Strich war es also ein zufriedenstellender Abend mit dem üblichen Doppel-Headliner-Problem. Sieges Even würde ich jederzeit wieder beehren, Deadsoul Tribe hingegen würden mir demnächst dann doch als Vorgruppe reichen. Löblich auch, dass man von Sieges Even nicht nur perfekte musikalische Unterhaltung, sondern freundliche Merchandisingpreise geboten bekommt. Für nur 10 Euronen nimmt man gern ein T-Shirt mit, selbst wenn es nur in XL verfügbar ist und man es eigentlich als Schlafanzug anziehen kann, weil man normalerweise M trägt.

Gegen zwölf Uhr gings also müde und zufrieden zurück in unser beider Studentenheimat Bonn, wo zumindest ich am liebsten sofort die ganze aktuelle Platte von Sieges Even nochmal gehört hätte. Aber da ja morgens früh die FH ruft, fiel das leider aus.

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