Review Dream Theater – A Dramatic Turn Of Events

Man könnte meinen, im Hause DREAM THEATER geht auch nach dem Weggang von Stardrummer Mike Portnoy alles weiter wie gehabt: Wie schon das 2009er Studiowerk „Black Clouds & Silver Linings“ ist auch „A Dramatic Turn Of Events“ wieder auf Platz 3 in die deutschen Albumcharts eingestiegen. Hätten DREAM THEATER die Suche nach einem neuen Schlagzeuger nicht so medienwirksam inszeniert, wäre es an der Musikwelt vermutlich sogar vorbeigegangen, dass die Jungs einen neuen Kollegen hinter dem Drumset haben. Denn der Neue trägt nicht nur denselben Vornamen wie sein Vorgänger, sondern spielt auch noch zum Verwechseln ähnlich. Nur ausgewiesene Mike Portnoy- und DREAM THEATER-Fans dürften bemerken, dass Neuzugang Mike Mangini sich einige der bisher so unumgänglichen Portnoy-Fills gespart hat.

Der Titel der neuen Platte, „A Dramatic Turn Of Events“, passt dabei wie die Faust aufs Auge: Er trägt nicht nur der Tatsache Rechnung, dass mit Mike Portnoy mal eben der Strippenzieher im Traumtheater das Schauspielhaus verlassen hat; unfreiwillig beschreibt er auch jenen schmierigen, kitschigen und aufgesetzten Schwulst, der der Gruppe seit einigen Jahren zu eigen ist und ihren Stil nachhaltig geprägt hat. Auch Album Nummer 11 kann sich vor langgezogenen, epischen Refrains und Streicher-Eskapaden kaum retten. Wer sich durch die zugekleisterte Oberfläche kämpft und der CD – ganz wichtig – mindestens fünf konzentrierte Durchläufe gönnt, wird allerdings belohnt. Denn was anfangs nur wie mehr DREAM THEATER-Musik nach dem bekannten Strickmuster klingt, entfaltet mit der Zeit eine Magie und Anziehungskraft, die an Frühwerke wie „Images And Words“ und „Awake“ erinnert.

Die Band – insbesondere der von Portnoy viel gescholtene Sänger James LaBrie – klingt befreit und spielfreudig wie schon lange nicht mehr. Die Kompositionen sind ausgefeilter und kohärenter als seit vielen Jahren, Ideen dürfen sich meist entwickeln, Frickelparts sind noch komplexer und ausgepflippter als zuvor („Outcry“). Den bösen, aber leider nur aufgesetzten Thrashmetal-Sound mit Growl- und Grunzattacken von Mike Portnoy, der die letzten Veröffentlichungen so prägte, gibt es nicht mehr. Stattdessen finden wir mit „This Is The Life“, „Far From Heaven“ und „Beneath The Surface“ gleich drei Balladen auf der CD – und, was noch viel bemerkenswerter ist, erstmals seit Jahren wieder einen Song mit Lyrics von Bassist John Myung („Breaking All Illusions“).

Letztendlich glänzt die Platte vor allem durch die Tatsache, dass sie als Gesamtwerk ganz hervorragend funktioniert und sich prima durchhören lässt. Alle vier Longtracks, die die zehn Minuten Marke knacken, sind dabei von bestechender Qualität und bieten haufenweise instrumentale Highlights und gesangliche Ohrwürmer, die den Hörer tagelang verfolgen werden („Lost Not Forgotten“, „Bridges In The Sky“, „Outcry“ und „Breaking All Illusions“). Die kürzeren Nummern sind ebenfalls weit besser als vieles, was DREAM THEATER in den vergangenen Jahren vorgelegt haben, wobei „Build Me Up, Break Me Down“ an das kürzlich erschienene Solomaterial von James LaBrie erinnert: Mit allerlei Produktionsgimmicks aufgepushter Melodic Metal inklusive ultra eingängigem Refrain, der aber leider keine hohe Halbwertszeit haben wird. Die Balladen sind vielleicht nicht jedermanns Geschmack und schon sehr seicht geraten – aber erinnern wir uns einmal an das legendäre „Images And Words“ mit Tracks wie „Surrounded“, „Another Day“ und „Wait For Sleep“: Das klang schon damals – vor mittlerweile 19 Jahren – genauso!

Zweifelsohne bezieht „A Dramatic Turn Of Events“ die größte Inspiration aus der bandeigenen Diskografie. Jordan Rudess und John Petrucci, die den Löwenanteil des Material komponiert haben, hätten sich allerdings an schlechteren Platten als „Images And Words“, „Scenes From A Memory“ und vielleicht noch Teilen von „Octavarium“ orientieren können. Je mehr Hördurchgänge man hinter sich bringt, desto klarer wird: Auch wenn DREAM THEATER eigentlich nie ein wirklich schlechtes Album veröffentlicht haben, so fehlte den letzten Platten – trotz brillanter Einzelsongs wie „The Count Of Tuscany“ oder „In The Presence Of Enemies (Part I)“ – das letzte Fünkchen Authentizität und Natürlichkeit. Denn das Traumtheater ist nunmal eben keine Metal-Combo, sondern verdammt nochmal eine Prog-Band. Als solche entwickelt sie das Rad Anno 2011 nicht neu, sondern tut das einzig Richtige: Sie findet zurück zu den Wurzeln ihrer eigenen Identität, ohne dabei ihren neuen Status als Mainstream-Band zu vergessen. Die Zeiten, in denen DREAM THEATER lediglich als das Nonplusultra des progressiven Metals angesehen wurden, sind endgültig vorbei. Heute lasten weit mehr Erwartungen auf der Gruppe. Ich habe das erste Mal das Gefühl, dass die Jungs damit umgehen und trotzdem befreit musizieren können.

Das Traumtheater hat wieder geöffnet. Und ich empfehle Euch dringend, Euch die neueste Aufführung nicht entgehen zu lassen. Denn der größte Makel an „A Dramatic Turn Of Events“ ist das bedeutungsschwangere Cover.

Übrigens: In der Digipak-Version erhaltet Ihr als Beigabe noch eine Bonus-DVD mit der einstündigen Doku „The Spirit Carries On“, die die Suche nach dem neuen Drummer behandelt.

Wertung: 9.5 / 10

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