Review Haken – Vector

Gleich zur Einleitung sei folgendes gesagt: Bei HAKEN mit vergleichenden Wertungsstandards wie besser oder schlechter agieren zu wollen, ist fehl am Platz. Zum einen, weil die Briten wohl kaum etwas Schlechtes komponieren können, zum anderen, weil HAKEN nicht etwas auf den Markt bringen, was wie die vorherige Veröffentlichung klingt. Auch wenn es äußerst wünschenswert wäre, werden die Herren um Sänger Ross Jennings instrumental betrachtet kein „The Mountain 2.0″ (2011) schreiben noch werden sie die Geschichte von „Aquarius“ (2010) auf einem kommenden Album weiterschreiben.

Mit einem solchen Blickwinkel ist auch „Vector“, die neue und fünfte Platte des Sextetts, zu betrachten. Denn wer dessen Vorgänger, das stark verspielte „Affinity“ (2016), noch immer im Kopf hat und mit dessen Melodien im Ohr in „Vector“ startet, wird das Album nach dem ersten Durchgang etwas ungläubig zur Seite legen. Sehr rifforientierte Songs, die für HAKEN-Verhältnisse mehr nach Prog-Metal als nach Prog-Rock klingen, warten auf der Scheibe. Ein Song wie „Nil By Mouth“ wäre auf einem „The Mountain“ ebenso undenkbar gewesen wie der Track „Puzzle Box“ auf „Affinity“. Gemeinsam mit fünf weiteren Songs kreieren HAKEN auf „Vector“ wieder einmal etwas Neues; mit Blick auf die Spielzeit von 45 Minuten allerdings auch die bis dato kürzeste Scheibe der Briten.

Neben dem vergleichsweise härten Spiel stellt auch das lyrische Konzept der Platte eine Überraschung dar, auf die bereits der Rorschach-Test auf dem Albumcover hinweist: Psychoanalyse. Gitarrist Charles Griffiths äußert sich diesbezüglich wie folgt: „Es geht um einen Arzt mit einem faszinierenden, vielleicht unheimlichen Interesse an einem bestimmten Patienten. Von dort aus tritt die Geschichte in den Blickwinkel des Patienten – der katatonisch zu sein scheint, aber sein Verstand funkelt mit Erinnerungen oder Wahnvorstellungen, die durch die Behandlung, die er erhält, hervorgerufen werden.“ Dass „Vector“ deutlich metallischere Geschütze auffährt als auf ihren vorherigen Alben erscheint bei einem solch beklemmenden Szenario nur folgerichtig.

Der anfänglich harte Schnitt zwischen dem fröhlichen, zum Mitsingen geeigneten Ohrwurm „The Good Doctor“ sowie dem eher dunkleren Rest des Albums erklärt sich dank Griffiths‘ Aussagen zum Inhalt von „Vector“. Eine solche Erläuterung wären allerdings auch für das überlange „Veil“ oder das mäßig unterhaltsame „Host“ angebracht. HAKEN bewiesen bereits zuvor, dass sie eine verlässliche Bank für long tracks darstellen, aber dieses Vertrauen bröckelt dank „Veil“; einem Song, dessen Spannungsbogen sowie Überraschungsmoment nach fünf Minuten gelöst ist. Dennoch folgen weitere sieben Minuten, welche die Briten besser in einen anderen Song hätten investieren können.

Eine ähnliche Enttäuschung aus einem anderen Grund stellt „Host“ dar, der sanfteste Song von „Vector“. Das Grundgerüst für ein Gänsehautlied der Extraklasse erspielen sich HAKEN innerhalb der ersten zwei Minuten, danach folgt allerdings ein mehrfacher Wechsel zwischen ruhigen und dynamischen Passagen, welche die beabsichtigte Epik am Ende des Tracks ihrer Wirkung beraubt.

Den restlichen Songs, vom würdigen „Affinity“-Ableger „The Good Doctor“ über das kantige „Puzzle Box“, hin zum packenden instrumentalen „Nil By Mouth“ sowie dem letzten Lied, dem eingängigen „A Cell Divides“ wohnt – wenn auch anders als erwartet – genau das inne, worauf sich HAKENs guter Ruf gründet: auf Einfallsreichtum und Spannung. Das düstere Thema überführen die Briten eindrucksvoll auf die musikalische Ebene, sodass Text und Musik stimmig ineinander übergehen. Auch wenn das Hörerlebnis nur vergleichsweise kurze 45 Minuten währt, wovon zehn Minuten auch noch gewissen Längen zum Opfern fallen, wächst „Vector“ mit jedem weiteren Durchlauf zu einem guten Album heran.

Wenngleich „Vector“ mitnichten das stärkste Album der Briten ist, stellt aber selbst diese schwächere HAKEN-Platte noch immer große und vor allem empfehlenswerte Kunst dar. Ihren Stand als Ausnahmeerscheinung im Prog-Bereich unterstreichen HAKEN mit „Vector“ zwar auf eine so ungewohnt kraftvolle Art, dass ein „Atlas Stone“ wie nicht von ihnen geschrieben wirkt, aber diese Art steht ihnen größtenteils auch gut zu Gesicht.

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Wertung: 8.5 / 10

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