Review Neal Morse – ?

Es ist kaum zu glauben, aber wahr: Vor genau einem Jahr erschien mit „One“ das letzte reinrassige Progalbum des Ex-Spock’s Beard Masterminds NEAL MORSE. Nun steht er bereits mit seinem neuen Longplayer mit dem rätselhaften Titel „?“ in den Startlöchern. Dabei darf man nicht vergessen, dass der seit einiger Zeit überzeugte wiedergeborene Christ im Februar 2005 noch ein Worship-Album namens „Lead Me Lord“ veröffentlichte und erst im August 2005 sein aktuelles christliches Popalbum „God Won’t Give Up“ nachschob. Neal ist nunmal ein geborener Workaholic, fantastischer Songwriter und begnadeter Musiker, der zu guter Letzt auch noch seine Erfüllung in Gott gefunden hat.

Auch sein neues Album befasst sich demzufolge mit religiösen Inhalten, welche aber im Gegensatz zu früher eher dezent und nachdenklich, als mit missionarischem Eifer vorgetragen werden. Über die genaue textliche Ausrichtung möchte ich hier einmal nichts verraten. Wer sich dafür interessiert, wird sich die phantastischen Lyrics sowieso zu Gemüte führen. Wie schon auf dem Vorgänger wird auch „?“ von dem treibenden Schlagzeugspiel Mike Portnoys geschmückt. Ebenso wieder mit von der Partie ist Randy George am Bass. Zusätzlich zu dieser schon ohnehin schwindelerregend hohen Basis hat sich Neal diesmal einige illustre Gäste eingeladen. Wir sprechen hier von solch begnadeten Gitarristen wie seinem Bruder Alan Morse (Spock’s Beard), Roine Stolt (Flower Kings) und dem unvergleichlichen Steve Hackett (ex-Genesis). Mit Jordan Rudess ist zudem ein weiterer Dream Theater-Kumpane an den Keyboards am Start. Nicht zu vergessen ist auch Mark Leniger, Neals Pastor, der einige höchst emotionale Saxophonsoli besteuert.

Nach den Doppeldeckern „Snow“ (noch von Spock’s Beard) und „Testimony“ und dem randvoll gefüllten „One“ setzt Neal auf „?“ seinen Weg hin zu kompakteren, strafferen Songstrukturen konsequent fort. Obwohl eine solche Behauptung auch ein Trugschluss sein kann: Zwar ist das neue Album insgesamt bündiger arrangiert und weißt weniger Längen auf, als Gesamtwerk betrachtet ist es jedoch vielleicht eines von Neals bisher progressivsten, rockigsten und lebendigsten Alben. Die musikalische Ideendichte und Geschwindigkeit von „?“ ist geradezu schwindelerregend hoch, Neal nimmt den Hörer mit auf eine Reise, die einem Gefühlskarussell gleicht und ihm kaum Luft zum Atmen lässt. In nur 56 Minuten führt Neal die gesamte Palette seines musikalischen Fundus auf. Hierbei mag die Einteilung in zwölf Einzeltracks den geneigten Fan zunächst überraschen. Der aber kann schon bald gespannt aufatmen: „?“ ist nichts anderes als ein einziger Mammuttrack, der geschickt mit musikalischen Themen und Motiven spielt, ohne sie, wie teilweise auf den Vorgängern geschehen, unnötig auszuwalzen und zu wiederholen. „In The Fire“ und „Solid As The Sun“ erinnern mit ihren energiegeladenen, rasenden Instrumentalpassagen an alte Spock’s Beard Tracks wie „Devil’s Got My Throat“, „Solid As The Sun“ weißt ein tolles Basssolo von Randy und absolut mitreißendes Saxophonspiel von Mark Leniger auf. Auch vor einigen pop-angehauchten Drumsamples macht Neal hier nicht halt. Auf Songs wie „Another World“ hat man hingegen schon einige Zeit warten müssen. Hier scheinen wieder die ganz alten, unbekümmerten Fun-Proggies von Spock’s Beard durch, die mit christlich-andächtlichem Prog noch gar nichts am Hut hatten.

Das verzaubernd-schöne „Outside Looking In“ mit seinen charmant-altmodischen Harmoniegesängen wirkt wie Balsam für die Seele. In Songs wie „Inside His Presence“ zelebriert Neal seine Nähe zu Gott, wie nur er es kann: So sphärisch, lyrisch erhaben und mit einem einfach gottpreisenden Gitarrensolo ausgestattet, dass man einfach peinlich berührt innehalten muss und ob des musikalischen Ausdrucksvermögens dieses Mannes einen Kniefall macht. Ebenfalls fantastisch ist das kurze „The Glory Of The Lord“ in dem Neal erstmals einen vollen Chor einsetzt, welcher in mächtigem Bombast gipfelt.

Musikalisch, dass muss man einfach mal so trocken zugeben, gibt es „more of the same“. Ein Neal ist eben ein Neal! Keiner schreibt wie er, keiner singt wie er, kein bewegt mich wie er! Sein Stil ist einfach unvergleichlich! Fans wird es nicht stören, dass Neal nicht zu den innovativsten Songwritern der Progbewegung zählt. In den meisten Fällen wollen sie nämlich genau DAS HIER hören!

Wahrscheinlich wird der abschließende Absatz meiner „One“-Rezi für alle Neal Morse-Zeiten immer zutreffen, weshalb ich ihn hier einfach noch mal zitiere:

„Neal schreibt Musik, die direkt aus seinem Herzen kommt und direkt in die Herzen anderer Menschen gehen kann, wenn sie es zulassen. Und sie hat die Kraft, den Hörer aufzurichten, ihm Mut zuzusprechen, ihm ein Gefühl des Wohlfühlens und der Zufriedenheit zu geben. Und das macht sie immer wieder zu etwas Besonderem und äußerst hörenswert.“

Wertung: 9.5 / 10

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