Review Pensées Nocturnes – Grotesque (+)

„Die Begriffe E-, U- und F-Musik versuchen, musikalische Phänomene in ernste (E-), unterhaltende (U-) und funktionale (F-) zu unterteilen. Zentral war der Gegensatz zwischen E- und U-Musik. Er stammt von der Verteilungspraxis der Verwertungsgesellschaften seit Beginn des 20. Jahrhunderts her: Sie versuchte, die seltener gespielte Musik gegenüber der häufiger gespielten in Schutz zu nehmen. [Wikipedia]
Soweit, so schwachsinnig, denkt man sich im Normalfall – gerade, wenn es um Metal geht, der ja eigentlich von vorneherein, meint man, unterhaltend sein soll. Und überhaupt… wo fängt man mit der Differenzierung an, so man sich denn wirklich auf eine derartige Kategorisierung einlassen will? Ensiferum, gut, ich denke, die Einteilung in U-Musik wäre wenig strittig. Mayhem? Schwierig. Sunn O)))? Unmöglich. Aber wohl eher E.

Und doch gibt es Momente, die einen an der Sinnlosigkeit der Existenz einer solchen Kategorisierung zweifeln lassen – PENSÉES NOCTURNES‘ zweites Album, „Grotesque“ bietet solche en masse.
Bereits die Aufmachung der CD zeigt, dass man es hier mit einer runden Sache zu tun hat: Banddarstellungen im Stile der Steampunk-Bewegung, hingekrizzelte Texte und Songtitel – der künstlerische Anspruch wird hier bereits durch das Layout deutlich gemacht. Liebe zum Detail ist erkennbar, und auch wenn mich das Artwork selbst nicht aus den Socken haut: Interesse weckt es allemal.
Dieses wird auch sogleich durch „Vulgum Pecus“, das definitiv epischste Intro seit der Veröffentlichung von Emperors „Anthems To The Welkin At Dusk“, genährt: Hier beginnt etwas großes, diese Information wird dem geneigten Hörer Ton um Ton successive klargemacht – und nicht zu unrecht, wie sich herausstellt. Denn was dann folgt, ist eine knapp einstünige Wanderung, eine Reise auf einem eselgezogenen Kettenfahrzeug durch die unwirtlichsten Gegenden der Welt, wie sie hätte werden können, wäre nicht alles anders gekommen. Steampunk-Träumereien eben.
Beschreiben lässt sich dies im Detail kaum: PENSÉES NOCTURNES arbeiten viel mit klassischen Elementen, man fühlt sich an Chaostar und andere Vertreter der Neoklassik mit Metal-Anleihen erinnert. Ruhige Bassläufe, Piano, Chello, Geige, Tuba etc.pp. – der Komposition wie auch der ausführenden Instrumentierung sind kaum Grenzen gesetzt. PENSÉES NOCTURNES arbeiten jedoch ebenso mit Elementen des rohen Black Metal – und mit Black Metal ist in diesem Fall wirklich Black Metal gemeint, und mit roh wirklich roh. Denn hier gibt es keinen Kitsch, keine möchtegern-bombastischen Melodic Black Metal-Passagen oder ähnliche Spirenzchen… statt dessen ist dieses Gesicht von PENSÉES NOCTURNES eher mit Mayhem auf ihrem Meisterwerk „Ordo Ad Chao“ zu vergleichen: In Klängen manifestierte Dunkelheit, der Weltuntergang im Chaos, aber mit System. Die oftmals nur knapp an der Zehnminutengrenze vorbeischrammenden Kompositionen sind dabei an Vielfältigkeit, an kompositorischer Finesse und, durch diese beiden Faktoren auch an Atmosphäre kaum zu überbieten. Düsterer, melancholischer, hässlicher, reizvoller und dabei abwechslungsreicher kann Musik im extremen Bereich kaum gestaltet werden.

Und doch, oder gerade deshalb, kann man das Schaffen von Multitalent Vaerohn, welcher nicht nur für die Kompositionen verantwortlich ist, sondern auch alle Instrumente eingespielt sowie das Album aufgenommen und abgemischt hat, nicht einfach mit einem 10-Punkte-Review abfeiern, wie man es bei einem U-Musik-Album getan hätte – darf man freilich bei allem Lob nicht ausser Acht lassen, dass das, was der Parieser hier abliefert, nicht nur schwere Kost, sondern auf Dauer bisweilen wirklich anstrengend ist. Drei Anläufe hat es bei mir gebraucht, ehe ich die CD einmal am Stück durchgehört hatte – zweimal musste ich nach einer knappen Dreiviertelstunde kapitulieren, da es mir nicht mehr möglich war, die von dem Werk eingeforderte Aufmerksamkeit aufzubringen – und als Beschallung für nebenbei ist „Grotesque“ absolut unbrauchbar, um nicht zu sagen: unerträglich. Wenn „Grotesque“ nämlich eines ganz gewiss nicht ist, dann Unterhaltung im Sinne von „Easy-Listening“. Aber das war wohl auch das letzte, was der Künstler mit diesem Album hätten kreieren wollen.

E-Musik ist eine Abkürzung für die sogenannte „ernste“ oder „ernst zu nehmende“ Kunstmusik. Der Mut zum Experiment, das „Schwimmen gegen den Strom“ ohne den Seitenblick auf die wirtschaftliche Machbarkeit werden oft mit dem Begriff der E-Musik in Zusammenhang gebracht. [Wikipedia]
Auf Basis dieser Definition besteht über die Einordnung von PENSÉES NOCTURNES kein weiterer Zweifel: Wer den festen Willen mitbringt, sich diesem Album voll und ganz hinzugeben, den erwartet in Vaerohns Traumwelt das ein oder andere Wunder – jeder andere wird wohl bereits nach dem zweiten Song kopfschüttelnd aufgeben und sich unterhaltsamerer, leichterer Kost widmen. Verdenken kann man dies selbstverstänlich niemandem, und doch kann ich nur jedem ans Herz legen, sich mit diesem Werk zu beschäftigen und ihm dabei die nötige Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Es lohnt sich, geht man dabei doch einen, wie ich finde, fairen Handel ein… schließlich bekommt man dafür ein musikalisches Potpourri geboten, wie es die Welt des Black Metal bislang selten gesehen hat.

Wertung: 10 / 10

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