Konzertbericht: Inzestival V

03.10.2015 München, Hansa 39 & Kranhalle

Inzestival V

Zweieinhalb Jahre lang war es ruhig, doch im Oktober 2015 ist es endlich wieder so weit und das INZESTIVAL, das Bandfamilienfestival um die Nerdrocker The Neighbours, geht endlich in seine fünfte Runde. Wie die letzten Jahre auch treten verwandte und verschwägerte Bands der vier musikalisch umtriebigen Mitglieder der Neighbours auf, was dieses Jahr bedeutet, dass Black Metal auf Ska, Reggae auf Melodic Death Metal und Doom-Pop auf Noveau Noir trifft.

Auch 2015 findet das INZESTIVAL im Feierwerk statt, das sich bereits die letzten Male als perfekte Location bewährt hat: Die Bühnen im Hansa 39 und der Kranhalle werden von den zwölf Bands ohne Pause und Überschneidungen im Wechsel bespielt. Im Vergleich zu den letzten Jahren wurde dieses Mal ordentlich an der Line-Up-Schraube gedreht, was sicherlich nicht zuletzt daran liegt, dass auch die Mitglieder der direkt mit den Neighbours verwandten Bands ihrerseits in vielen unterschiedlichen Genres unterwegs sind und auch die Verwandtschaft zweiten Grades demnach viel interessante Musik bietet.

LizAndTheFire-M1-01Noch vor dem offiziellen Beginn um 16.45 Uhr legt vor dem Eingang des Feierwerks für die bereits eingetroffenen Zuschauer in der wärmenden Nachmittagssone das Akustik-Rock-Trio um Q-Box-Fronter DÜSTI einen Spontanauftritt hin. Dieser mündet nach einigen Coversongs schließlich in einer kleinen Prozession in das Hansa 39, in dem nach einer kurzen Begrüßung durch die Veranstalter LIZ & THE FIRE das INZESTIVAL eröffnen. Die noch sehr neue Formation ist erst kurzfristig ins Line-Up gerutscht, da sich der Sänger der ursprünglich eingeplanten Krachmaninoff kurz vor dem Auftritt verletzte. Da die Band aus der INZESTIVAL-Band Fry hervorgegangen ist, ist LIZ & THE FIRE auch ohne direkte personelle Überschneidung der Neighbours-Bandfamilie zuzurechnen. Mit ihrem Retro-Rock, der durch die charismatische Fronterin Liz und ihre sonore Stimme eine besondere Note erfährt, kann die Truppe den mehr als hundert Gäste, die sich schon zu Beginn des Konzerttages im Feierwerk eingefunden haben, einen starken Auftakt bieten.SentiloSono-M1-01In der Kranhalle laden direkt danach die mit Rapid verwandten SENTILO SONO zum fröhlichen Tanzen ein und können die stetig wachsende Zuschauerzahl mit ihrer Mischung aus Ska, Reggae und internationalen Einflüssen begeistern. Schon jetzt zeigt sich, dass auch die Zuschauer keine musikalischen Schranken kennen: Neben einigen Skashirt-Trägern finden sich auch Metaller unter den Tänzern vor der Bühne.

SaeculumObscurum-M1-01Im Anschluss daran wird es düster im Hansa39, und das im wahrsten Sinne des Wortes: SAECULUM OBSCURUM um Fronter Omnicron, der später noch bei Rapid am Horn und als Gast bei Q-Box zu sehen sein wird, machen sich daran, ihre Mischung aus Post-Metal und Black Metal zu präsentieren. Dabei können die fünf Musiker mit einer beeindruckenden Inszenierung inklusive Schwarzlicht-Corpsepaint und Verkleidungen mit einer mysteriösen, düsteren und packenden Stimmung begeistern. Ein echtes Highlight des INZESTIVAL V, nicht nur für den eingefleischten Metal-Hörer, wie auch das immer noch stetig anwachsende Publikum mit großem Applaus bekundet!

qbox-M1-01Direkt im Anschluss daran machen sich die Lokalheroen Q-BOX mit jaspeR (The Neighbours, Rapid, Nebelkrähe als umbrA) am Keyboard daran, die nahezu bis zum Bersten gefüllte Kranhalle abzureißen und wissen dabei – ganz dem Prinzip des Festivals folgend – nicht nur mit Schweiß und Herzblut, sondern auch mit einigen Gastauftritten zu glänzen. Dass sie bereits mit Bands wie Anvil oder Lordi auf der Bühne standen, merkt man der Souveränität ihres Aufritts dabei jederzeit an, auch wenn die Ansagen von Frontmann Düsti Van Hell stellenweise ein wenig unsicher klingen und beim Gesang nicht jeder Ton sitzt.

AngstersInc-M1-01Nach dieser beeindruckend rockigen Darbietung liefern ANGSTERS INC. mit ihrem breitbeinigen Schweinerock mit Blues-Anleihen im Hansa 39 neues Futter für die Fans der härteren Gangart. Mit neuem Gitarristen im Lineup und Bandkopf Jan Reiser (The Neighbours) als Lead-Sänger groovt sich das Trio durch sein Set und steht gerade in ihrer heutigen Positionierung zwischen Rapid und den Neighbours für den Abwechslungsreichtum des INZESTIVALS. Generell lässt sich dieses Jahr zwar eine im Vergleich zu den ersten Vier Bandfestivals stärker am Rock orientierte Auswahl der Bands feststellen; da auch die rockigeren Bands sich untereinander teilweise sehr stark unterscheiden, tritt allerdings keinerlei Eintönigkeit auf.

rapid-M1-01Mit RAPID steht im Anschluss nicht nur die wohl „inzestöseste“ Band des INZESTIVAL (Mitglieder von Amplified Memory, Saeculum Obscurum, Sentilo Sono, Benuts, The Neighbours und Nebelkrähe), sondern auch der Fanmagnet des heutigen Abends auf der Bühne: Auch wenn vor der Halle einige Besucher eine kleine Stärkung am eigens für das INZESTIVAL angerückten Foodtruck zu sich nehmen, ist es in der Kranhalle im wahrsten Sinne des Wortes gesteckt voll. Der Schweiß tropft nahezu von der sehr hohen Decke und es zeigt sich: Aus RAPID ist in kurzer Zeit durch unermüdliches Livespielen eine extrem souveräne und beeindruckende Liveband geworden, die ein Publikum sofort auf ihre Seite zieht. Dass damit zu rechnen war, zeigt sich auch am Merchstand, der mit einem übergroßen Rapid-Aufsteller aufwartet – auch wenn diese so dargestellte Sonderstellung der Band nicht so ganz zum ausgeglichenen und familiären Konzept des INZESTIVALs passen mag.

Kemwer-M1-01Die INZESTIVAL-Neulinge KEMWER um Gitarrist Richard (zeitweilig als Sänger bei Nebelkrähe) präsentieren auf einem ihr seltenen Liveauftritte im Anschluss ihren wuchtigen Sound, der an eine Mischung aus Lamb Of God und Kvelertak mit deutschen Texten erinnert und mit groovigen Passagen, packenden Gitarrensoli und mächtig Wumms mitreißt. Dass im Publikum viele Mähnen kreisen, ist hier auf keinen Fall verwunderlich und ein kurzes technisches Problem löst Frontsau Basti auf sympathische Art und Weise. Die Atmosphäre ist hier sowohl im Publikum als auch auf der Bühne zu jeder Zeit extrem entspannt und – ganz dem Abend entsprechend – familiär, sodass kleine Fehler gerne verziehen werden.

TheNeighbours-M1-01Für große Unterhaltung, wenn auch auf ganz andere Art, sorgt auch die Band, der das INZESTIVAL zu verdanken ist: Mit ihrem Auftritt zeigen THE NEIGHBOURS, dass es kein Wunder ist, dass die stilistische Vielfalt am heutigen Abend dominiert: Skaparts treffen auch Rock, Metal trifft auf Punk und all das wird garniert von Spaß und Leidenschaft. Zwar ist die Kranhalle nun nicht mehr ganz so überfüllt wie noch bei Rapid, doch das Konzert gerät dennoch zu einer großen Party, bestehend aus witzigen Songs, einem weiblich dominierten Moshpit und einer gut gelaunten Band, der man nicht anmerkt, dass sie bis auf das INZESTIVAL quasi nicht mehr live auftritt. Mal sehen, ob es irgendwann einen Nachfolger zum bereits zehn Jahre alten „Cosmoprolitan“ geben wird.

AmplifiedMemory-M1-01Mit AMPLIFIED MEMORY um Nebelkrähe-Schlagzeuger Latrodectus (auch Rapid) und Rapid-Keyboarder Keymon findet zum ersten Mal auch Melodic Death Metal seinen Weg zum INZESTIVAL. Die Version dieses Genres, die die junge Band hier präsentiert, klingt so souverän und druckvoll, dass es nicht verwundern sollte, wenn die sechs Jungs in Zukunft regelmäßig vor einem zahlenmäßig derart stark vertretenen Publikum spielen sollten. Egal, ob man diese Musik nun schätzt und zu Hause hören würde, was viele der heute Anwesenden wahrscheinlich normalerweise nicht tun, so ist die kompositorische und technische Klasse selbst für den Laien erkennbar.

Benuts-M1-01Die BENUTS, aus denen erst vor wenigen Jahren auf Betreiben von Bassist Fabian Ziegler Rapid hervorgegangen sind, jagen nach dieser geballten Ladung Metal durch ein Set aus Hits aus der beinahe zwanzigjährigen Bandkarriere. Diesmal wieder mit Sänger El Konno im Lineup garniert die Truppe ihre Show sogar mit einem brandneuen Song, der besonders im Refrain (nicht zuletzt aufgrund des spanischen Gesangs, aber auch durch die knackigen Bläsersätze und durch die eingängigen Hooks) stark an Ska-P erinnert. Das tanzwillige Publikum gibt hier noch einmal alles und auch die Band hat sichtlich extrem viel Spaß am heutigen Konzert.

Es ist bereits kurz nach Mitternacht und das Publikum ist dennoch immer noch extrem zahlreich vertreten, was die Vermutung nahelegt, dass es sich bei der fünften Ausgabe um das zahlenmäßig bisher am besten besuchte INZESTIVAL handelt – umso schöner, bedenkt man die zweieinhalb jährige Pause seit dem letzten Familientreffen.

Nebelkrähe-M1-01Wer nun noch hier ist, wird mit einem energetischen Auftritt der Black-Metaller NEBELKRÄHE belohnt. Auch im normalen Setting immer ein Garant für eine energiegeladene Show, ist es nahezu erstaunlich, wie die Musiker hier aufdrehen – Sänger umbrA steht bereits zum vierten,  Schlagzeuger Latrodectus immerhin schon zum dritten Mal am heutigen Abend auf der Bühne. Im Set geben sich die Gastmusiker quasi die Klinke in den Hand und sorgen für heftiges Headbangen und lauten Jubel im Hansa 39: Spätestens das Duett von Sänger umbrA mit seinem zeitweiligen Ersatzmann bei NEBELKRÄHE, Richard (Kemwer), ist ein absolutes Highlight der Show. Dass die Zugabe gar nicht groß eingefordert werden muss, sondern direkt von der Band selbst initiiert wird, ist hier nur folgerichtig. Nach diesem letzten Aufritt für 2015 wird es spannend zu sehen (respektive zu hören) sein, wie die Band nach ihrer Kreativpause im nächsten Jahr mit neuem Material im Petto klingen wird.

Arzla-M1-01Wer bislang das volle Programm mitgemacht hat, hat nun schon acht Stunden Musik in den Ohren. Zwar nimmt die Besuchermenge nach Nebelkrähe merklich ab, dennoch ist die Zuschauerzahl auch beim letzten Act des heutigen Abends nicht zu unterschätzen: Zehn Minuten zu spät – und somit mit der einzigen kürzeren Verzögerung am heutigen Tag – begrüßt das Duo ARZLA mit Nebelkrähe-Aushilfs-Gitarrist Joschka das Publikum und gewinnt dieses mit viel Charme in den Ansagen zwischen ihren langen Songs schnell für sich. Zwar ist die gebotene Mischung aus bluesigem Doom und Stoner Rock genau das richtige für diese Uhrzeit und ein großartiger Abschluss. Allein: Nach acht Stunden durchgehender Musik ist für viele die Aufnahmekapazität für den heutigen Tag erschöpft. Um kurz vor zwei verabschiedet sich das Duo nach einem dem Abschluss des INZESTIVALs würdigen Konzert schließlich von der Bühne und entlässt die verbleibenden Zuschauer in die Nacht.

Inzestival V StammbaumDie fünfte Auflage des INZESTIVALS gerät zu einem wahren Triumphmarsch der lokaler Münchner Musik: Die Stimmung auf wie vor den Bühnen war erneut großartig und familiär, die Essensverpflegung mit einem Foodtruck bestens und das genretechnisch bunt durchgemischte Line-Up der beste Beweis, dass sich Stilvielfalt auszahlt: Trotz der extremen Bandbreite zwischen Ska und Black Metal präsentiert sich das INZESTIVAL als absolut stimmiges Musikfest, das qualitativ von der ersten bis zur letzten Band überzeugen kann. Man kann nur hoffen, dass die sechste Ausgabe des INZESTIVALs nicht wieder zweieinhalb Jahre auf sich warten lässt.

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