Festivalbericht: Sick Midsummer 2019

06.07.2019 Scharnstein (AT), Bäckerberg

Obwohl das SICK MIDSUMMER 2019 bereits sein zehnjähriges Jubiläum feiert und seit Jahren mit internationalen Bands und regionalem Charme begeistert, ist das Publikum noch immer vor allem aus der Gegend. Das mag daran liegen, dass man als Einheimischer dem Festivaltouristen einiges voraus hat: Zum einen findet man das „Festl“, wie der Österreicher sagt, auch ohne Navigationsgerät. Zum anderen versteht man eventuell, was der nette Mann am Parkplatzeingang sagt. Doch alles nicht so schlimm: Einige Deutsche, die es schlussendlich doch bis auf das Gelände geschafft haben, sind der lebende Beweis: Mit etwas Gutwill ist alles schaffbar.

Das Gelände selbst beschränkt sich Großen und Ganzen auf den Innenhof des Gutes sowie eine zur Metal-Disko umgebaute Scheune. Davor: Kuchenverkauf (1 € pro Stück), Leberkas (2,50 €), „Bud Spencer Chili“ (4 €) und indisches Dal (4 €). Dahinter: die hauseigene Rotwildzucht, Ziegen und Esel. Noch dahinter: das wohl schönste Panorama, das ein Metal-Festival im deutschsprachigen Raum zu bieten hat.

Dass die lokalen Bands beim österreichischen Publikum einen Stein im Brett haben, überrascht nicht. So ist es dann im Bühnenhof auch schon gut gefüllt, als RICHTHAMMER beginnen. Wie das SICK MIDSUMMER, so feiern auch die Black-Deather aus Niederösterreich 2019 zehnjähriges Jubiläum. Entsprechend kann man der Truppe spielerisch wie im Stageacting eine gute Routine anmerken. Das ändert leider wenig daran, dass die Musik – zumindest mit dem undifferenzierten Livesound – keinen wirklichen roten Faden erkennen lässt. Eventuell, weil sich dieser schon in einem geweihartigen Konstrukt auf dem Rücken von Fronter Florian Fangmeyer verfangen hat?

Das Konzept von NORIKUM hingegen ist schnell klar: Death Metal mit -core-Einschlag steht auf dem Programm. Das machen die Recken um Fronter Paul Färber (seines Zeichens auch aushelfender Schlagzeuger beim Black-Metal-Projekt Ellende) auch fraglos gut. Zumal der Sound nun etwas klarer (wenn auch brutal laut) gemischt ist, machen NORIKUM nicht nur ihren mitgebrachten Fans Spaß. Dass auf dem SICK MIDSUMMER schon die ersten Bands 40 Minuten bekommen, ist einerseits fair – im konkreten Fall aber nicht nur positiv: Beim straighten Sound der Grazer wäre etwas weniger aber fraglos mehr gewesen. So hingegen verliert die Show gerade gegen Ende etwas an Reiz. Das Publikum zeigt sich dennoch unterhalten, sodass sich NORIKUM über den ersten (und einzigen?) Crowdsurfer des SICK MIDSUMMER 2019 (überbrückte Distanz: etwa zwei Meter) freuen dürfen.

Mit KULT wird es um 17:00 Uhr dann erstmalig international – und schwarzmetallen: 2001 gegründet, gehören KULT fest zum italienischen Underground. Über die Landesgrenze hinaus hält sich ihre Bekanntheit hingegen in Grenzen, was am recht generischen Stil und Auftreten der Truppe liegen könnte: Der klassische Nieten-Blut-und-Corpsepaint-Black-Metal ist mittlerweile ja doch etwas angestaubt. Die Konsequenz, mit der KULT in ihrem räudigen Riffing, den fiesen Screams und eben dem Songmaterial sämtliche Klischees bedienen, ist jedoch fast schon wieder lässig: Spaß kann man mit den schmissigen Riffs jedenfalls haben. So kommen KULT auch auf dem SICK MIDSUMMER nicht schlecht an – wenngleich der Lokalmatadoren-Bonus wegfällt, den hier jede österreichische Band genießt.

Als nächstes steht die erste von insgesamt drei deutschen Bands im Billing auf dem Programm: DEATHRITE aus Dresden. Warum die Band derzeit solch einen Höhenflug erlebt, der ihnen für ihr letztes Album sogar einen Plattenvertrag mit Century Media verschafft hat, lässt sich zunächst nicht nachvollziehen: Der rotzige Black-Thrash der Truppe lässt mit ordentlich Schwung dargeboten zwar die Köpfe kreisen, sticht aus der Masse an vergleichbaren Bands aber nicht eben heraus. Erst als DEATHRITE ihre Show im weiteren Verlauf überraschend facettenreich gestalten, wird der Hype um die Truppe nachvollziehbar: DEATHRITE können nämlich tatsächlich mehr als rockiges Riffing mit kratzbürstigem Gesang. Für gute Stimmung reicht das: Auch DEATHRITE dürfen sich über freunlichen Applaus freuen.

Mit BLAZE OF PERDITION aus Polen steht um 19:20 Uhr die nächste Black-Metal-Band auf dem Programm – ein alles andere als gewöhnlicher Gig, kennt man die Geschichte der Band: Im Jahr 2013 war der Band-Van bei Schwarzau am Steinfeld (Niederösterreich) in einen schweren Unfall verwickelt – der damalige Bassist verstarb noch am Unfallort, Sänger Sonneillon lag nach einer Wirbelsäulenoperation im Koma. Bis heute ist er live fast nie dabei (>> Interview) – den Gesang übernimmt, hinter einer schwarzen Maske, der Studio-Gitarrist und Live-Bassist. Das macht er auch überaus souverän: Nicht nur die Screams, sondern auch der gelegentlich eingesetzte Klargesang wissen zu überzeugen. Leider ist der Sound einmal mehr so basslastig, dass vom detailreichen Songwriting schlussendlich nur der Black-Metal-Unterbau Bestand hat. Schade, da die Band auf CD weit mehr als furiose Blastbeat-Parts zu bieten hat.

Einzig und allein voll auf die Zwölf, wie man so schön sagt, geben hingegen BEHEADED – und zwar mit voller Absicht. Sechs Alben hat das Quintett in 18 Jahren Bandgeschichte veröffentlicht, das letzte („Only Death Can Save You“) erst vor wenigen Wochen. So gnadenlos, wie BEHEADED auf CD alles kurz und klein prügeln, gehen die Malteser auch live vor: Atempausen, ruhigere Songs oder auch nur echte Breaks sucht man fast vergeblich. So gibt es auch nur zwei Fraktionen unter den Besuchern: Solche, die mit Death Metal dieser brutalen Gangart wenig anfangen können und sich spätestens nach drei Songs auf Nahrungssuche machen. Und diejenigen, welche BEHEADED gebührend und ohne Ermüdungserscheinungen abfeiern. Ermüdungserscheinungen zeigt am Ende die Band selbst: Statt 60 Minuten liefern BEHEADED nur knappe 50. Ist man ehrlich, ist das beim extremen Sound der Truppe aber auch vollauf genug.

Als zweiter Headliner stehen anschließend BETHLEHEM auf dem Programm. Zwar kommt die ebenfalls 1991 gegründete Kultband „nur“ aus dem deutschen Grevenbroich – durch ihren verschrobenen Stil sowie ihre vergleichsweise raren Shows haben sie dennoch einen mindestens so hohen Exotenfaktor wie Beheaded aus Malta. Leider geht ausgerechnet bei dieser von vielen Besuchern heiß ersehnten Show erst einmal alles schief: Das Intro übersteuert komplett, Onielars Sprechgesang hingegen ist kaum zu hören. Kaum dass die Band – mittlerweile um Velnias von Darkened Nocturn Slaughtercult an der zweiten Gitarre verstärkt – einsteigt, ist der vermurkste Einstieg jedoch vergessen: Kraftvoll (um nicht zu sagen: ohrenbetäubend laut) aber zugleich kristallklar kommen etwa der Klassiker „Gestern starb ich schon heute“ oder das brachiale „Fickselbomber Panzerplauze“ aus den Boxen. Onielars Stageacting untermalt die Atmosphäre gelungen – sofern man davon etwas zu sehen bekommt: Ob die Band es sich so gewünscht hat, oder der Lichttechniker zum Abendessen gegangen ist, bleibt ungewiss. Fakt ist: Bisweilen ist die Bühne so spärlich ausgeleuchtet, dass man kaum von der einen Seite der Bühne zur anderen sieht. Sei’s drum: Wichtiger ist schließlich, was man hört. Und da gibt es bei BETHLEHEM heute wahrlich nichts zu meckern.

  1. Niemals mehr leben
  2. Die Dunkelheit darbt
  3. Aberwitzige Infraschall-Ritualistik
  4. Gestern starb ich schon heute
  5. An gestrandeten Sinnen
  6. Fickselbomber Panzerplauze
  7. Kalt‘ Ritt in leicht faltiger Leere
  8. Schatten aus der Alexander Welt
  9. Tagebuch einer Totgeburt
  10. Wahn schmiedet Sarg
  11. Ode an die obszöne Scheußlichkeit

„Nichts zu meckern“ haben – davon können NOCTE OBDUCTA heute nur träumen. Sieben Stunden Anreise für die fragwürdige Ehre des letzten Slots, schon vorab ein defekter Bass-Amp sowie ein geliehener Gitarrenverstärker. Dazu reihenweise Probleme beim Changeover, bei denen die Bühnentechniker keine sonderlich gute Figur machen … und schlussendlich die Vorgabe, das Set zu kürzen, um die (seitens der Band unverschuldet) verlorenen 20 Minuten zu kompensieren. Das ist die bittere Realität, mit der sich NOCTE OBDUCTA heute abfinden müssen. Da die Band mit alledem in höchstem Maße professionell umgeht und ihren Groll einzig an den eigenen Songs auslässt, entpuppt sich die Wartezeit für den Fan sogar als Gewinn: Aggressiver und energiegeladener hat man „Niemals gelebt“ oder „Es fließe Blut“ selten gehört. Über die 60 Minuten Showtime findet die Band zumindest ihren Humor wieder: Die Kürzung im Set kommentiert Marcel ironisch mit „Jetzt müsst ihr euch einfach zwei kurze Songs vorstellen.“, ehe er mit „Liebster“ den „schlechteste Song des Albums, wie geschrieben wurde“ ankündigt. Und das „über einen geliehenen Amp und ohne Keyboarder“. Dieser hatte NOCTE OBDUCTA ja bereits 2018 den Rücken gekehrt. Wie auch der folgende, finale Klassiker „Fick die Muse“ weiß der Song die mittlerweile etwas ausgedünnte, aber enthusiastische Fanschar trotzdem zu begeistern.

  1. Niemals gelebt
  2. Es fließe Blut
  3. Trollgott
  4. Die Pfähler
  5. Solange euer Fleisch noch warm ist
  6. Töchter des Mondes
  7. Traum
  8. Liebster
  9. Fick die Muse

Zu vorgerückter Stunde – es ist mittlerweile 1:00 Uhr – zeigt auf dem Außengelände noch die oberösterreichischen Feuerkünstler von FERRO IGNIQUE ihre Skills im hantieren, jonglieren und schlucken von Fackeln und allerlei Brennbarem mehr. Das Interesse des Publikums ist rasch geweckt: Wer noch stehen kann, reiht sich in den Kreis der Schaulustigen.

Nach über zehn Stunden Programm ist das zehnte SICK MIDSUMMER schließlich Geschichte. Den über die letzte Dekade etablierten Charakter des Festivals spiegelte auch das diesjährige Billing mit einem stimmigen Mix aus Black- und Death-Metal, regional und international perfekt wider. Zugegeben: Für dieses Jubiläum hätte es gerne noch einen Tick spektakulärer ausfallen dürfen. Vielleicht macht aber gerade das den Charme des SICK MIDSUMMER aus: Dass es bei diesem familiären Festival eben nicht nur um große Namen geht. Sondern auch um Kuchen, Gaoßmaß und österreichische Gemütlichkeit.

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2 Kommentare zu “Sick Midsummer 2019

  1. Hab mich am Samstag schon gefreut, als ich am „Sick“ Leute mit Shirts der besten deutschen Metalseite gesichtet habe und nun umso mehr, dass von eben diesen ein exzellenter Bericht über das tolle und gemütliche Festival praktisch vor meiner Haustüre verfasst wurde! ;)
    Sehr geil!

    1. Danke für die netten Worte – und schön, wenn dir der Bericht gefällt! :)
      Beste Grüße & bleib uns als Leser treu!

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