Review Nocte Obducta – Taverne – In Schatten schäbiger Spelunken

Viele bemerkenswerte Black-Metal-Bands nennen Deutschland ihr Zuhause, doch keine davon klingt wie NOCTE OBDUCTA – nicht zuletzt, weil sich die Gruppe um Gründer Marcel „Traumschänder“ Breuer nicht davor scheut, die ausgetretenen Pfade ihres ursprünglichen Genres zu verlassen. Bevor NOCTE OBDUCTA sich mit ihrer EP „Stille“ (2003) selbst neu erfanden, war der Black Metal allerdings zweifellos noch das Fundament ihres Sounds. Dennoch ließ die Band bereits auf ihrem zweiten Album „Taverne – In Schatten schäbiger Spelunken“ erste Ansätze dessen erkennen, was ihrer Musik Jahre später einen (streng genommen nicht ganz zutreffenden) avantgardistischen Ruf einbringen sollte.

Beginnt das Album mit dem getriebenen „Hexer (Verflucht)“, das durch seine zugleich finsteren und erhabenen Keyboards wie eine Mischung aus Cradle Of Filths „Dusk… And Her Embrace“ (1996) und den ersten beiden Dornenreich-Platten klingt, noch verhältnismäßig genrekonform, so lassen die ersten klanglichen Eigenheiten doch nicht lange auf sich warten. In „Prinzessin der Nachtschatten“ stellen NOCTE OBDUCTA ihren finsteren Tremolo-Riffs und Blast-Beats beispielsweise einige wundersame, verträumte Passagen gegenüber, in denen auch die für spätere Alben charakteristischen, in schauderhaftem Sprechton vorgetragenen Verse deutlicher zur Geltung kommen. Doch auch in den garstig geschrienen Abschnitten lohnt es sich, genau hinzuhören.

In puncto Wortgewandtheit konnte schon in den Anfangstagen von NOCTE OBDUCTA wohl kein anderer Songtextschreiber im deutschen Black Metal Breuer das Wasser reichen. Mit blumiger, jedoch keineswegs pathetischer oder übertrieben abstrakter Sprache malt der Fronter Song um Song Bilder von mystischen Gestalten und verwunschenen Wäldern, in denen man sich unweigerlich verliert. Dass die Lyrik eine große, aber gewiss nicht die einzige Stärke der Band ist, zeigt sich im rein instrumentalen „Ratten im Gemäuer“: Hier erhält man über die mysteriösen Clean-Gitarren-Arrangements einen Ausblick auf die Kerkerwelten, die die Deutschen in ferner Zukunft auf dem psychedelischen „Umbriel“ (2013) besingen sollten.

Nichtsdestotrotz merkt man „Taverne“ stellenweise an, dass NOCTE OBDUCTA zur Zeit der Veröffentlichung noch in ihrer frühen Entwicklungsphase waren. So wirken die treibenderen Nummern noch etwas hölzern und hektisch, wohingegen sich manche der getrageneren Kompositionen mitunter ein bisschen zu oft wiederholen und in die Länge ziehen („November“) oder nicht ganz ausgereift erscheinen.

Mag man NOCTE OBDUCTA heute in erster Linie mit den beiden naturromantischen „Nektar“-Alben oder experimentelleren Veröffentlichungen wie „Umbriel“ assoziieren, so ist es doch durchaus empfehlenswert, auch einen Blick in die Vergangenheit zurückzuwerfen. Im Vergleich zu den ausgefeilteren Nachfolgeplatten hat „Taverne“ zwar einen recht borstigen Charakter, es trägt in sich aber bereits viele der Wesenszüge, die NOCTE OBDUCTA über die Jahre zu einer der bemerkenswerten hiesigen Black-Metal-Gruppen machen sollten. Als verträglichere Alternative zu dem ausladenden Debüt „Lethe“ (1999) und dem räudigen „Schwarzmetall“ (2001) ist „Taverne“ vielleicht sogar der beste Ansatzpunkt, um die Frühwerke der Band zu erkunden.

Wertung: 7.5 / 10

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