Konzertbericht: The Unwinding Hours w/ Boy Android

2012-09-04 München, Kranhalle (Feierwerk)

Nachdem die schottische Band Aereogramme sich 2007 trotz ihres Status als Kritikerliebling wegen ihrer zu kleinen Anhängerschaft und aus daraus resultierenden finanzieller Problemen auflösen musste, blutete vielen Musikliebhabern das Herz. Umso schöner war es zu sehen, dass wenigstens zwei der Mitglieder auch in Zukunft in kleinerem Maßstab Musik machen wollten. Wie Phoenix aus der Asche stiegen 2008 Sänger Craig B und Gitarrist Ian Cook, die mit ihren charakteristischen Stimmen und wunderschönen Gitarrenläufen bereits zu einem großen Teil die Musik von Aereogramme definierten, als THE UNWINDING HOURS hervor. Die Musik auf dem 2010 veröffentlichten selbstbetitelten Debüt-Album schloss sich nahtlos an das letzte Aereogramme-Album „My Heart Has A Wish That You Would Not Go“ an und präsentierte mit einem leichten elektronischen Einfluss zerbrechliche, wunderschöne Songs zwischen Post Rock und Alternative Rock. Ihr Debüt-Album präsentierten die zwei Musiker gemeinsam mit der Unterstützung einer neu formierten Band vor zwei Jahren, sehr zur Freude der treuen Aereogramme-Anhängerschaft und neu dazugewonnener Fans, auch auf deutschen Bühnen.
Ende August war es nun soweit und in Form von „Afterlives“ erschien das zweite Album der Band, was diese als Anlass nahm, endlich wieder in die Bundesrepublik zurückzukehren. Am Dienstag den 4.9., musikalisch passend zum gerade eingetretenen meteorologischen Herbst, machen THE UNWINDING HOURS Halt in der Münchner Kranhalle.

Als Support ist heute, auf persönlichen Wunsch der Schotten, die Münchner Indie-Pop-Band BOY ANDROID dabei. Während es kurz nach 20.30 noch so aussieht, als würde das Konzert heute vor einem zahlenmäßig sehr überschaubaren Publikum stattfinden müssen, ist die Halle pünktlich zum Konzertbeginn um 21 Uhr doch beeindruckend gut gefüllt – vor allem für einen Dienstagabend. Dass die Herren um Craig B und Ian Cook sich gerade die jungen Münchner als Support ausgesucht haben, und diese vom Balkon der Kranhalle aus beobachten, ist aufgrund des Bandsounds nicht verwunderlich: Schöne Melodien und verschachtelte Rhythmen werden hier in einer Mischung zwischen direktem Indie-Pop und leichten Post-Rock-Anleihen verpackt und spätestens durch den Gesang eindeutig in die Tradition der letzten Aereogramme-Platte gestellt. Das Problem ist: Der Gesang ist oft einfach zu dreist von Gesangsstil Craig B’s kopiert und zielt dabei leider immer wieder knapp an den richtigen Tönen vorbei. Insgesamt liefern BOY ANDROID allerdings ein solides Set ab, dass viel Spaß macht. Dass die obligatorische ruhige Nummer in der Mitte des Sets nicht fehlen darf, ist hier ebenso klar wie die etwas lautere Schlussnummer. Das Publikum freut sich und applaudiert zahlreich. Als Stimmungsmacher sicherlich richtig gewählt, muss klar gesagt werden, dass BOY ANDROID heute nicht an das „Original“ herankommen.

Nach einer Umbaupause ist es pünktlich um 22 Uhr soweit, die Lichter in der Kranhalle erlöschen und die fünf Schotten von THE UNWINDING HOURS betreten die Bühne. Mit starkem schottischen Akzent begrüßt der wie immer schick gekleidete Craig B mit schüchterner Stimme das Münchner Publikum und steigt anschließend mit „Break“, dem ersten Song des erst Ende August erschienenen zweiten Albums „Afterlives“, in das Konzert ein. Der starke Kontrast zwischen seiner hohen, zerbrechlichen Singstimme und seiner tiefen Sprechstimme wird immer wieder in den kurzen Ansagen zwischen den Songs deutlich. Der Sound in der Kranhalle ist dabei nach anfänglichen Schwierigkeiten gut abgemischt, wobei die Gitarren etwas mehr Schmackes vertragen könnten.
Auch wenn Craig B jeden Song ganz offensichtlich mit unglaublicher Leidenschaft darbietet und die Augen nur öffnet, um seine Gitarre zu stimmen oder kurz mit dem Publikum zu sprechen, sorgt er in „Saimaa“ lediglich von Klavier und Schlagzeug begleitet doch für einen ersten emotionalen Höhepunkt. Trotz der melancholischen Grundstimmung der Musik kommt der Humor an diesem Abend nicht zu kurz. So führt Craig B zweimal aus, dass er erstaunt ist, wie gut das Publikum heute Abend riecht, wie sie auf dem Balkon während Boy Android bereits bemerkt haben. Da das Publikum während der Songs absolut still ist und nach dem begeisterten Jubel nach jedem Song wieder vollständig verstummt, fragt Craig B immer wieder nach der Stimmung – diese ist allerdings wunderbar und das Publikum voller Respekt gegenüber den wunderschönen Songs. Eine in der Stille fallen gelassene Bierflasche wird mit einem „Psst!“ aus dem Publikum kommentiert, was auch für Erheiterung auf der Bühne sorgt.

Das rockige „Wayward“ wird von der Band mit einem trockenen „This is the closest thing we have to a single“ angekündigt und schließlich findet nach sieben neuen Songs auch das starke Debüt seinen Eingang in die heutige Setlist. Nach dem dramatischen Finale von „Peaceful Liquid Shell“ verabschiedet sich die Band von der Bühne, bis schließlich Craig B zurückkehrt und ankündigt, nun einige ruhige Songs zu spielen. Nur von einem Klavier und schließlich alleine von seiner Gitarre und einem Loop-Gerät begleitet wird die Stille in der Kranhalle bei diesen Songs nahezu gespenstisch – umso lauter fällt dafür der anschließende Jubel aus.
Nachdem sich die Band noch einmal dafür bedankt hat, dass das Münchner Publikum an einem Dienstag so zahlreich erschienen ist, ist es mit „Knut“ Zeit für den letzten Song des Abends: Der Opener des ersten Albums steigert sich mechanisch in ein immer lauteres Crescendo, die Stimme von Craig B klingt fast so, als würde sie sich jeden Moment überschlagen oder auseinanderbrechen und mündet in einem kurzen Feedback-Intermezzo von der Bühne. Schüchtern ins jubelnde Publikum winkend verlässt die Band die Bühne.

FAZIT: Wie THE UNWINDING HOURS es schaffen, ihre komplexe Musik auf der Bühne nahezu exakt wie auf ihren Alben darzubieten, ist schlicht und einfach großartig. Die Atmosphäre wird durch die live noch zerbrechlicher wirkende Stimme Craig B’s und das noch organischer wirkende Verhältnis der verschiedenen Instrumente noch einmal intensiviert. Lediglich der Sound trübt die Begeisterung über ein wunderschönes, sehr ruhiges Konzert. Auch wenn die Band niemals ausgiebig touren wird, sieht man an der Leidenschaft der Musiker sowie an exklusiven Tour CDs und limitierten Postern am Merchandise-Stand, dass hier viel Herzblut investiert wird.

Setlist:
01. Break
02. I’ve Loved You For So Long
03. The Right To Know
04. Saimaa
05. The Promised Land
06. Wayward
07. Say My Name
08. Tightrope
09. Child
10. Peaceful Liquid Shell

11. The Dogs
12. Traces
13. Knut

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