Review Within Temptation – Enter

Die mittlerweile kaum noch praktizierte Beauty-And-The-Beast-Ästhetik mag schon vor einiger Zeit zu einem kitschigen Klischee verkommen sein, in den 90er Jahren war sie hingegen noch neu und erfrischend. Theatre Of Tragedy hatten ihre noch etwas unbeholfenen, aber doch wegweisenden ersten zwei Alben veröffentlicht, Tristania sollten mit den beiden Meilensteinen „Widow’s Weeds“ und „Beyond The Veil“ bald folgen. Inmitten des kurzlebigen Hypes um die illustre Kombination von finsterem Doom Metal und verführerischem Gothic Rock wurde jedoch ein weiteres Glanzstück ebenjener Stilrichtung veröffentlicht, welches heute allerdings beinahe schon in Vergessenheit geraten ist: „Enter“, das Debüt von WITHIN TEMPTATION aus dem Jahr 1997.

Bevor die Niederländer mit „Mother Earth“ (2000) und sukzessive mit „The Silent Force“ (2004) ihren großen Durchbruch feierten und für viele zum Synonym für überladenen Symphonic Metal – oder doch „nur“ Rock? – wurden, spielten WITHIN TEMPTATION Musik, deren schummrige Atmosphäre das Schattendasein, das „Enter“ heute fristet, in gewisser Weise vorausschickte. Nie wieder sollte das Sextett so finster und verletzlich klingen wie auf „Restless“, das mit seinem verlorenen Klavierspiel und Sharon den Adels fröstelndem Gesang den Grundton des Albums vorgibt, ohne zu viel von dem noch Kommenden zu verraten. An Letzterem hätten sich WITHIN TEMPTATION bei dem Versuch wohl die Zähne ausgebissen, denn obgleich man ihr Debüt ihr bis heute stilistisch konsistentestes Album nennen kann, steckt es doch voller wundersamer Überraschungen.

Hat man erst einmal die zu Beginn des sieben Minuten langen, sich zum Ende hin imposant aufbäumenden Titeltracks laut knarrende Pforte durchtreten, findet man sich in einer im wahrsten Sinne des Wortes mystischen Klangwelt wieder: Frontfrau den Adel, die sich hier das Mikro noch mit Gitarrist Robert Westerholt teilt, singt mit gelegentlich noch etwas dünner, aber dennoch bereits traumhaft schöner Stimme von Elfenbeintürmen und geheimnisträchtigen Wäldern, warme Bassmelodien versetzen den Hörer in einen Zustand weltvergessener Verzückung („Pearls Of Light“) und die mit dem Keyboard simulierten Chöre, Bläser und Orgeln, die WITHIN TEMPTATION flächendeckend einsetzen, verleihen den Stücken eine archaische, machtvolle Aura („Blooded“).

Sogar die im Vergleich zu späteren Platten merklich präsenteren Metal-Elemente tragen maßgeblich zur magischen Stimmung bei – seien es nun die ominösen Doom-Gitarrenleads, die mitunter an ungeahnt rohe Down-Tempo-Riffs branden, das bedächtige, in den richtigen Momenten jedoch mit polternden Drumrolls überwältigende Schlagzeugspiel oder Westerholts mysteriös anmutende Growls. Dass WITHIN TEMPTATION hierbei noch ein bisschen grob zu Werke gehen und auch nicht jede Gesangsmelodie perfekt sitzt („Candles“), tut dem Zauber letztlich keinen Abbruch.

Nüchtern betrachtet, ist „Enter“ keineswegs ein perfektes Album: Dass Sharon den Adel im Gegensatz zu manchen ihrer Genre-Kolleginnen kein klassisches Gesangstraining genossen hat, merkt man ihr hier noch deutlich an, Instrumentierung und Produktion hätten durchaus noch ein wenig Feinschliff vertragen und manch einer mag das Album im Vergleich zu „Mother Earth“ oder „The Silent Force“ für zu schwerfällig oder unscheinbar halten. Doch selbst, wenn man außen vor lässt, dass „Enter“ innerhalb von weniger als drei Wochen aufgenommen und gemischt wurde, lässt sich kaum leugnen, dass WITHIN TEMPTATION hiermit ein einzigartiges Gothic-Metal-Meisterwerk geschaffen haben, das wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, als ihm nach dem bahnbrechenden Erfolg von „Mother Earth“ entgegengebracht wurde.

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Wertung: 9 / 10

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