Interview mit Dzö-nga

Die Corona-Krise hat die Musikszene aktuell besonders schwer getroffen und de facto lahmgelegt. Inwieweit seid ihr in DZÖ-NGA davon betroffen?
Unsere Albumveröffentlichung und die entsprechende Release-Show kamen gerade noch rechtzeitig, was sehr viel Spaß gemacht hat, aber danach wurde alles… na ja, abgesagt. Wir hatten unsere ersten Festivalauftritte und Shows mit einigen unserer Lieblingsbands wie Falls Of Rauros und Sekengard geplant, aber die wurden natürlich alle abgewinkt. Auch die Albumverkäufe wurden durch die Pandemie abgeschwächt, zumal unser Label seinen Sitz in Italien hat, wo der Virus schon früh am schlimmsten zuschlug. Das bedeutet auch, dass wir seit etwa neun Monaten nicht mehr zusammen geübt haben. Es war ein ziemlich enttäuschendes Jahr, verglichen mit dem, was wir uns erhofft hatten.

Ihr habt mit „Thunder In The Mountains“ zuletzt euer drittes Full-Length-Album veröffentlicht. Wie sind die Reaktionen im Vergleich zu euren bisherigen Releases ausgefallen – gab es auch negative Kritik?
Bezüglich der Kritik gab es eine interessante Reaktion. Ich habe noch keine negativen Kritiken zu „Thunder“ gefunden, aber einige Publikationen, die „The Sachem’s Tales“ absolut geliebt haben, reagierten auf „Thunder“ eher mäßig. Es scheint, dass die bessere Produktion einige neue Hörer erschlossen hat, aber das Songwriting wurde in Black-Metal-Kreisen weniger gut aufgenommen. Das ist zu erwarten, nehme ich an, wenn man bedenkt, dass das Album eher am Folk orientiert ist, mit einem „heroischen“ Sound an manchen Stellen und nicht mit dem typischen düsteren Ton der Genres, aus denen wir schöpfen.

Was ist deiner Meinung nach die größte Entwicklung, die sich auf „Thunder In The Mountains“ im Gegensatz zu euren bisherigen Alben zeigt?
Auf jeden Fall der Umstand, dass es sich nach einer vollen Band und nicht nur nach einem Soloprojekt anhört. In mehreren Rezensionen wurde darauf hingewiesen, dass DZÖ-NGA sich von einem DIY-Projekt zu etwas Ernstzunehmendem entwickelt zu haben scheinen, was ich als Kompliment auffassen möchte. Im Vergleich zum letzten Album, das ich im Grunde genommen alleine gemacht habe (mit Gastgesang in drei Songs), gibt es eine Menge Leute, die dazu beigetragen haben, dass es so gekommen ist, von neuen Bandmitgliedern über Gastmusiker bis hin zu einem richtigen Produktionsteam.

Tatsächlich wirken die visuelle Gestaltung und die Produktion des neuen Albums um einiges ausgereifter als bei euren bisherigen Veröffentlichungen. Hast du den Eindruck, dass ihr mit DZÖ-NGA dadurch mittlerweile mehr Leute erreichen konntet?
„Thunder“ ist auf jeden Fall von Grund auf besser gemacht. Es ist dynamischer, ausgefeilter und professioneller, dank der unglaublichen Arbeit von Øystein und Dan Swanö auf der Produktionsseite und dem Team von Avantgarde Music, nachdem die Musik fertiggestellt war. Allerdings war die tatsächliche Resonanz in Reichweite und Verkaufszahlen tatsächlich geringer als bei „The Sachem’s Tales“, was ein wenig verwirrend und enttäuschend war. „Tales“ schien ein paar Wochen nach der Veröffentlichung aufzulodern – es wurde über 100.000 Male auf YouTube angesehen, bevor der ABMA-Kanal bombardiert wurde (das tat weh) und jede physische Ausgabe war ausverkauft – aber viele dieser Zuschauer kamen nicht für „Thunder“ zurück. Ob es nun am Stilwechsel oder an der Pandemie lag, mit der Zeit wird es hoffentlich besser laufen.

Die Produktion klingt diesmal wesentlich kraftvoller und glatter als noch auf dem Vorgängeralbum. Bist du mit dem Sound deiner bisherigen Releases trotzdem immer noch zufrieden? Oder ziehst du womöglich auch überarbeitete Re-Releases in Betracht?
Unser Stil hat sich bei jedem Album so sehr verändert, dass es schwer ist, sie zu vergleichen. Die Produktionsqualität stand bei „Thunder“ definitiv im Mittelpunkt und wir haben mehrmals darüber diskutiert, ob wir die anderen Alben noch einmal überarbeiten sollten. Letztlich kamen wir zu dem Entschluss, dass unsere Zeit und unser Geld im Allgemeinen besser für neues Material verwendet werden sollten, aber ich habe alle drei früheren Alben neu gemastert, sodass wir einige Optionen für die Zukunft haben. Mindestens eines von ihnen wird 2021 das Licht der Welt erblicken.

Manch einer könnte die Meinung vertreten, dass durch die glattere Produktion ein Stück dieses gewissen DIY-Charmes verloren gegangen ist. Wie siehst du das?
Ich verstehe das sicherlich. Manche Projekte gedeihen mit einer Low-Fi-Produktion mit einem „natürlichen“ Klang oder einfach, weil diese Unschärfe zu einem meditativen Gefühl beiträgt. Ich denke gerne, dass „Five Treasures Of Snow“ und „Above The Night-Enveloped World“ so sind, aber sie unterscheiden sich so sehr von unseren populäreren Alben, dass es nicht so aussieht, als ob viele Zuhörer den Sprung zu ihnen schaffen.

Dem einen oder anderen Hörer könnte „Thunder In The Mountains“ auch zu kitschig sein. Wo ziehst du persönlich die Grenze zwischen gefühlvoll oder episch auf der einen Seite und kitschig auf der anderen?
„Thunder In The Mountains“ hat definitiv eine andere Stimmung als sein Vorgänger und das war eine bewusste Entscheidung. Die Geschichte, die es erzählt („The Song Of Hiawatha“), ist im Wesentlichen eine heroische Tragödie mit einem romantischen Subtext und wenn dein Publikum an tristen Black Metal gewöhnt ist, wird das manche Leute sofort abschrecken. Es gibt weniger Blast-Beats und mehr Geigen, weniger Tremolo-Picking und mehr opernhaften Gesang. Das alles entspricht dem Konzept und es ist Teil des Weltaufbaus, auf dem die Alben basieren. Es macht mir nichts aus, dass es im Zusammenhang mit einem Genre, in dem es weitgehend um Dunkelheit, Einsamkeit und Satanismus geht, als kitschig bezeichnet wird. Trauer und Wut sind nicht die einzigen validen Emotionen.

© Matty Thrash Photography

Das Schlagzeug wirkt auf mich diesmal ein wenig gediegener und nicht mehr so haarsträubend schnell wie auf „The Sachem‘s Tales“. Warum habt ihr euch diesmal für etwas gemäßigtere Rhythmen entschieden?
Das geht auf das Konzept zurück und mein persönlicher Geschmack entwickelt sich weiter. „Sachem“ war ein Album, das auf einer sehr intensiven und beunruhigenden Folklore basierte – kannibalistische Monster, rachsüchtige Götter, apokalyptische Prophezeiungen. Auf dem ganzen Album ging es um das Aufeinanderprallen elementarer Kräfte und die Musik spiegelte dies bis hinunter zu den Drums wider. „Thunder“ ist ein mehr – um das Wort noch einmal zu verwenden – heroisches und abenteuerliches Album im Allgemeinen, aber es ist alles mehr ineinander verwoben und die Lieder entwickeln sich zwischen Höhen und Tiefen manchmal über mehrere Minuten. Die harten Teile haben komplexere Rhythmen und wirklich nur einen größeren Dynamikumfang, da wir das Gebiet zwischen den Extremen unserer früheren Arbeit erkundet haben.

Auf dem neuen Album setzt ihr auch Keyboards ein, die ein wenig wie Ethno-Flöten klingen, welche man mit Weltmusik assoziieren könnte. Was hat euch dazu animiert, dieses Element in euren Sound aufzunehmen?
Der Flöten-Sound wurde von klassischer Musik inspiriert – konkret war es bei Mahlers „Auferstehungssymphonie“, als es bei mir Klick machte, sodass ich die Hauptmelodie über die Flöte tragen wollte. Das Album wurde mit diesem Opernkonzept im Hinterkopf geschrieben, bei dem jede Figur ein identifizierbares Motiv hat – Hiawathas Motiv eröffnet das Album und kehrt einige Male im Laufe des Albums zurück, Minnehahas erscheint in „Heart Of Coal“, trägt „A Soul To Burn“ und wird in der Halbzeit während ihres Todes im letzten Stück zitiert, der Zauberer in „Flames“ hat die chromatische Violinstimme, die später während der Überleitung Hiawathas Motiv gegenübergestellt wird, und so weiter. Ursprünglich sollte es eine echte Pequot-Holzflöte sein (die ich bei „Five Treasures“ verwendet habe), aber meine Flöte ist in b-Moll, und nachdem ich zwei Lieder in dieser Tonart geschrieben hatte, habe ich nachgegeben und stattdessen nur ein Keyboard für mehr Flexibilität beim Songschreiben verwendet.

Ein besonders überraschender und interessanter Einschub ist das lässige Orgelsolo auf „The Death Of Minnehaha“. Wie kam es denn zu diesem kuriosen Part?
Obwohl Orgel etwas ist, das ich auf den letzten beiden Alben schon sparsam eingesetzt habe, fühlt sich dieser Teil definitiv anders an. Der letzte Abschnitt dieses Liedes (mit dem Titel „The Pyre“) ist eine Anspielung auf „The Witching Meadow“, da es sich um eine Solorunde zum Abschluss des Albums handelt. Ich war sehr froh, dass einige Kritiker wie etwa Angry Metal Guy bemerkten, dass das Ende von „Sachem“ Musikern ähnelte, die am Ende einer Erzählung um ein Lagerfeuer spielen. Ich versuchte, dieses Gefühl, aus einer Geschichte herauszukommen, mit einem Instrument wiederzugeben, das das Publikum noch nicht gehört hatte. Es durchbricht gewissermaßen die vierte Wand, ohne, wie ich hoffe, den Moment völlig zu ruinieren.

Der Titel „Thunder In The Mountains“ ist eine Textzeile des Opening-Tracks „The Song Of Hiawatha“. Warum war dies aus deiner Sicht der passendste Titel, um die Platte als Ganzes damit zu bezeichnen?
Ich habe tatsächlich ziemlich viel Zeit damit verbracht, zu entscheiden, wie ich das Album nennen soll. „The Song Of Hiawatha“ war angesichts der Grundlage ein naheliegender Kandidat, aber dann würde jedes Suchergebnis einfach Longfellows Gedicht hervorbringen. Die Verwendung der Bildsprache des gleichnamigen Liedes war also eine gute Alternative. „Thunder in the mountains“ ist eine Phrase, die in dem Gedicht und damit auch in dem Lied (etwa ein Drittel des Songtextes sind direkte Zitate) an prominenter Stelle auftaucht, um den Höhepunkt des Liedes einzuleiten. Es ist ein elementarer Titel, den man sehen, hören und fühlen kann. Er bereitet den Weg für eine immense Reise über Himmel und Erde.

Eure Songs sind nach wie vor von den Mythen der amerikanischen Ureinwohner inspiriert. Ist es schon vorgekommen, dass man euch deswegen der kulturellen Aneignung bezichtigt hat? Und wie denkst du über dieses Thema?
Bisher wurden wir auf das Thema nur einmal (in einem Live-Interview) angesprochen und ich denke, das läuft auf zwei Punkte hinaus. Aneignung scheint in der Regel mit einem gewissen Grad an Respektlosigkeit verbunden zu sein – das Tragen von Federkopfschmuck an Halloween, der Verkauf von albernen Kokopelli-T-Shirts an Leute, die kein Interesse an seiner Herkunft haben, so etwas in der Art. Wenn wir diese Geschichten erzählen, dann mit Ehrfurcht vor ihren Schöpfern und mit so viel Authentizität wie möglich. Ich möchte, dass jemand, der mit der Geschichte von Shingebiss („Against The Northern Wind“) aufgewachsen ist, das Gefühl hat, dass sie für ein neues Publikum beleuchtet und nicht einfach für Profit neu verpackt wurde.
Es gibt auch ein persönliches Element, denn mein Großvater väterlicherseits war ein Cherokee-Musiker. Obwohl ich ihn nie kennengelernt habe (ich bin adoptiert), fühle ich eine gewisse Anziehungskraft, diesen Hintergrund zu erforschen, und das Schreiben über diese Geschichten ist für mich eine Möglichkeit, jemanden zu ehren, der, wie mir gesagt wurde, vorausgesagt hat, dass ich seine musikalische Tradition weiterführen würde. Insbesondere „To The Great Salt Water“ reflektiert über diese Verbindung zu meiner Abstammung („What shall I tell our children? / Tell them our story; tell them who they are“).

An dem Album waren auch einige namhafte Gastmusiker beteiligt – unter anderem von Nyss und Leprous. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Thorir (Nyss) und Raphael (Leprous) sind zwei Künstler, die ich nicht nur als Weltklasse-Musiker, sondern auch als gute Freunde betrachte. Thorir ist einer von mehreren Künstlerkollegen im Roster von Avantgarde Music, die ich gut kennengelernt habe, und seine Arbeit an „Thunder In The Mountains“ war für das Album transformierend. Wir hatten an Ideen für andere Kooperationen gearbeitet und ich schlug ihm vor, meine langweiligen Demo-Gitarren in etwas mit echter Persönlichkeit zu verwandeln, und ein paar Monate später kam er mit wunderschön ausgearbeiteten Teilen zurück. Raphael ist eine ganz andere Geschichte – es ist eigentlich das zweite Mal, dass er an einem Album von mir mitgewirkt hat. Wir sprachen zum ersten Mal, als ich 2013 eine Rezension zu dem Debütalbum seines Projkets The Visit schrieb, und seitdem sind wir in Kontakt geblieben. Er war Co-Schreiber eines Songs für meine andere Band Wake Of Sirens, und als ich ein Stück für „Thunder“ brauchte, war er eine natürliche Wahl. Ich liebe seine Arbeit und hoffe, dass er in Zukunft wieder einen Beitrag zu DZÖ-NGA leisten wird, auch wenn er wahrscheinlich super berühmt sein wird.

© Matty Thrash Photography

Gerade das Cellospiel von Raphael Weinroth-Browne ist insofern eine interessante Beigabe, als die Streicher auf dem Album ansonsten größtenteils per Keyboard simuliert werden. Warum habt ihr nicht alle Streicher von ihm oder einem anderen Gastmusiker einspielen lassen?
Es war vor allem eine Frage der Zeit. Das Album hatte ursprünglich ein Veröffentlichungsdatum im Juni 2019, aber mit all den neuen Entwicklungen haben wir das verpasst, da nur die Demo-Version fertiggestellt war. Nur in einer Rezension beschwerte sich wirklich jemand über meine synthetisierten Streicher auf „The Sachem’s Tales“ (Heidnir Webzine mochte eigentlich nichts an „Sachem“), also beschloss ich, sie einfach zu behalten und Raphaels Beitrag als besondere Ergänzung zum Album zu haben.

Hast du schon mal in Erwägung gezogen, auch mit Musikern aus den Reihen der amerikanischen Ureinwohner zusammenzuarbeiten?
Wenn ich die Gelegenheit hätte, wäre das großartig! Bisher war ich nur in der Lage, Versionen dieser Geschichten aus zweiter Hand zu erstellen, daher würde ich es als ein Privileg betrachten, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der Authentizität und ein echtes Herz dafür in ein zukünftiges Werk einbringen könnte.

Meiner Wahrnehmung nach gebt ihr euch in den sozialen Medien sehr nahbar und mitunter auch selbstironisch. Denkst du, dass sich im Gegensatz dazu zu viele Black-Metal-Fans zu ernst nehmen? Oder ist das ohnehin nur noch ein veraltetes Klischee?
Der Umgang mit unseren Fans ist etwas, das uns Spaß macht und auf das wir stolz sind. Manche Bands leben davon, distanziert und geheimnisvoll zu sein, aber ich bin wahrscheinlich zu offenkundig jedem in unserem Kreis dankbar, um diese Art von Fassade aufrechtzuerhalten. Sind Memes über DZÖ-NGA als Kind der Liebe von „Bergtatt“ und Disney schlecht fürs Branding? Wahrscheinlich schon, aber mir ist das lieber, als so zu tun, als wären wir zu gruselig und cool, um Humor und Persönlichkeit zu haben. Das funktioniert bei vielen Bands, aber ich betrachte mich in erster Linie als Geschichtenerzähler und dazu gehört auch, die Gesichter in unserem Publikum zu kennen.

Was habt ihr als Nächstes für DZÖ-NGA geplant?
Wir haben ein paar Wiederveröffentlichungen in Aussicht und planen eine Livestream-Show mit mindestens einem Song, der noch nie zuvor gespielt wurde. Die Arbeit am DZÖ-NGA-Album Nr. 4 ist seit einigen Monaten am Laufen. Das Cover wird wieder von Frank Victoria gestaltet werden und ich denke, die Leute werden das Konzept zu gegebener Zeit wirklich schätzen.

Als Nächstes würde ich mit dir gerne noch ein kurzes Brainstorming durchgehen. Was denkst du über die folgenden Begriffe?
Bandcamp: Ein Gottesgeschenk. Ich liebe diesen Service.
Leute, die euren Bandnamen falsch aussprechen: Was? Niemals!
Klimakrise: Definierender Moment in der Geschichte. Lasst uns das richtig machen.
Dead Can Dance: Cool, aber ich bin nicht so vertraut damit, wie ich sein sollte.
Female-Fronted-Metal: Guter Trend, schlechtes Label.
Aktuelles Lieblingsalbum: Ich schwanke zwischen SkyforestA New Dawn, RuadhThe Rock Of The Clyde und Cân BarddThe Last Rain.

An dieser Stelle vielen Dank für deine Zeit. Möchtest du den Lesern zum Abschluss noch etwas mitteilen?
Danke, dass ihr das alles gelesen habt. Passt auf euch auf, glaubt den Wissenschaftlern und unterstützt eure Lieblingskünstler weiterhin so direkt wie möglich.

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