Rammstein – Ohne Mich

© Rammstein (Screenshot aus dem Musikvideo zu „Ohne Dich“)

Gestammelte Dankesworte, sechs Männer, die sich auf die Schultern klopfen, die wie kleine Kinder vor Freude herumhüpfen. Strahlende Gesichter, ein Bussi auf die Backe, dann eine innige Umarmung im Mannschaftskreis. Man wartet nur darauf, dass endlich einer den Pokal in die Höhe reißt und dabei von einem Teamkollegen eine Weißbierdusche verpasst bekommt. Doch die sechs Herren sind eben keine Sportler, sondern RAMMSTEIN bei ihrer dritten Show in München. Und gefeiert wird keine Meisterschaft, sondern … ja was eigentlich? Einigkeit, Stärke, Unschuld – so sehen es zumindest viele Fans. Das ist, man kann es kaum anders sagen: widerwärtig.

Eine eingeschworene Truppe, seit jeher unnahbar

RAMMSTEIN waren, RAMMSTEIN sind etwas Besonderes in der Musikwelt. Stilistisch, klar, aber eben auch als Band. Kein Besetzungswechsel in 29 Jahren – und das, obwohl die Musiker charakterlich kaum unterschiedlicher sein könnten. Eine eingeschworene Truppe, seit jeher unnahbar: Über die Kunst spricht nur die Kunst selbst, Interviews gibt die Band quasi keine. Das Privatleben der Musiker ist weitestgehend privat. Und was man weiß, etwa, dass Richard Kruspe ein Kind mit der Ex von Till Lindemann hat, passt ins Bild: Till Lindemann, Christian „Flake“ Lorenz, Oliver Riedel, Richard Z. Kruspe, Christoph Schneider und Paul Landers sind keine gewöhnliche Band. Sechs Freunde, sechs Verbündete, mit einer gemeinsamen Vision. Alles, was die Band betrifft, wird, so hört man, nach wie vor nur einstimmig beschlossen – „Wenn einer nicht mithält – dann halten wir sofort“, heißt es wohl nicht grundlos im Song „Haifisch“. Und weiter: „Sechs Herzen, die brennen – das Feuer hält euch warm.“

Genau daran waren zuletzt massive Zweifel aufgekommen: Mehrere Frauen haben mittlerweile unter Eid ausgesagt, mit Lindemann unter zumindest moralisch äußerst fragwürdigen Bedingungen Sex gehabt zu haben. In ein System geraten zu sein, in dem Frauen allem Anschein nach wie Vieh nach ihren optischen Qualitäten und ihrer „Tauglichkeit“ beurteilt und ausgewählt wurden, Sänger Till Lindemann vorgeführt und zur Wahl gestellt worden sein sollen, um sich in einer mitunter unvorhergesehenen Drucksituation vor die nicht wirklich freie Wahl gestellt zu sehen, ob sie mit ihrem Idol Sex haben wollen – oder, auch das berichten Frauen, angeblich nicht mehr bei Sinnen gewesen zu sein, als sie mit Lindemann verkehrten. Wenig bis nichts davon dürfte strafrechtlich relevant oder gar nachweisbar sein. Die Chancen stehen also gut, dass Till Lindemann keine Konsequenzen des Rechtsstaates zu fürchten hat. Das ist tragisch, nur leider nichts „Besonderes“ – nach wie vor wird Machtmissbrauch kaum geahndet. „Man kann von uns halten – Was immer man da will – Wir halten uns schadlos – Wir halten niemals still“, heißt es in „Haifisch“ weiter – es ist zu befürchten, dass auch diese Zeilen stimmen.

Im Stil großer Konzerne

Auch Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt überstand das gegen ihn angestrengte betriebsinterne Compliance-Verfahren zunächst – juristische Schritte hatte er sowieso nicht zu fürchten. Auch hier: schulterklopfende Männer, strahlendes Lächeln. Reichelt musste seinen Posten erst räumen, als der Springer-Konzern ein US-Unternehmen kaufen wollte. Beobachter mutmaßten, so habe man den deutlich strengeren Compliance-Anforderungen des US-Marktes gerecht werden wollen. Dass RAMMSTEIN sich nun im Stil großer Konzerne aus der Affäre zu lavieren versuchen, ist schändlich – und entbehrt, der DDR-Vergangenheit der Musiker wegen, nicht der Ironie.

Denn zumindest moralisch gibt es an den Verfehlungen des Sängers nach allem, was mittlerweile bekannt ist, nurmehr wenig zu rütteln: „Bei der Moral können Sie eine große Kiste aufmachen, sofort, absolut“, heißt es selbst aus dem direkten Umfeld der Band. Und Moral, das war zuletzt ein großer Punkt bei RAMMSTEIN. Denn das Sextett ist eben nicht (mehr) nur die Band mit Texten über stumpfe Gewalt und rohen Sex. RAMMSTEIN sind auch die Band, die in ihrem Hit „Deutschland“ scharfe Kritik an ihrer Heimat äußerten, die mit Regenbogenflaggen und homoerotischen Küssen auf der Bühne für Gay-Pride einstanden und zuletzt geistreich wie kritisch die absurde Angst der Deutschen vor Asylsuchenden persiflierten. RAMMSTEIN waren dafür genau die Richtigen, schien es. Dass sich die Band nun – nicht nur im privaten Kreis, sondern auf der Bühne – so klar und zudem heiter hinter Till Lindemann stellt, macht all das zur Farce: Wessen moralischer Kompass so durchdreht, wenn es das eigene Leben angeht, kann keine Instanz in den großen Fragen der Moral sein.

Nicht loyal, sondern obszön

Sich als Band in der aktuellen Situation scheinbar uneingeschränkt öffentlich mit Lindemann zu solidarisieren, ist nicht loyal, sondern obszön. Wirkten die Modifikation der Setlist und das zweite Statement der Band, als seien RAMMSTEIN um einen fairen Umgang mit den mutmaßlichen Opfern bemüht, spricht aus ihrer aktuellsten Geste nurmehr blanker Hohn: Es sind Siegerposen, Gesten der Überlegenheit.

Dabei scheinen RAMMSTEIN zu vergessen, gegen welche „Gegner“ sie sich hier positionieren: zuallervorderst gegen Frauen, die als Fans auf Konzerte kamen und in einer perfiden Sex-Maschinerie als Stück Fleisch behandelt wurden – aber auch gegen unbeteiligte Fans. Fans, die RAMMSTEIN über Jahrzehnte die Treue gehalten haben, die den „doppelten Boden“, die „Metaebene“ und das „lyrische Ich“ bemüht haben, um Texte zu verteidigen, die stolz auf die politisch relevanten Songs und Aktionen waren. All jene schließen RAMMSTEIN im Kollektiv aus, wenn sie sich – in gefühlter Verbrüderung mit dem Mob, der Opfer zu Täterinnen machen will – in dieser Sache selbst als Opfer darstellen.

Egal, wie der Fall ausgehen wird (und leider kann man das bereits ahnen) – dieser Schmerz wird bleiben. Oder, um es mehr oder weniger in den Worten der Band selbst zu sagen:

„RAMMSTEIN – mein Herz in Flammen
Will dich lieben und verdammen
RAMMSTEIN – meine Liebe
Kann ich dir nicht geben.“

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12 Kommentare zu “Rammstein – Ohne Mich

  1. Danke für deine reflektierten Beiträge, Kolumnen, Kommentare etc. zum Thema, Moritz. Den in mir schwingenden Ton treffen sie recht genau.

  2. Hallo zusammen
    Die grössten Künstler waren und sind meistens komplexe, oft auch problematische Persönlichkeiten. Der innere Kampf solcher Menschen ist vermutlich die Quelle von Inspiration, die Quelle für all jenes, was sich abhebt vom Durchschnitt und zu etwas wird, was aus der Masse heraussticht.
    Was Rammstein geschaffen hat, wird bleiben, egal wie der Rechtsstreit ausgeht. Rammstein bleibt Rammstein, aussergewöhnlich und einmalig.
    Till Lindemann mag als tragische Figur enden, genau so wie viele andere grosse Künstler in der Vergangenheit auch.

  3. Wir waren erst seit Berlin 2022 Rammstein-Fans. Neben dem uns jetzt erst bekannt gewordenen, abscheulichen, niveaulosen Umgang mit Frauen, mit Formulierungen (laut Spiegel) wie „Schlampenparade“ oder „Resteficken“ ist es auch das Verhalten der Band gegenüber der Situation. Dass es alles so war, ist uns rückblickend auf Berlin und die dortige Row Zero klar. Für uns ist Rammstein auch deswegen zu Ende, weil sie jetzt die Helden der Schwubbler und AFD-Szene sind. Wie kann man als Frau „Rammstein“ noch in Schutz nehmen? Am meisten enttäuscht hat uns Flake, sein Moralkompass scheint leider synchron mit dem von Lindemann. Bezeichnend dafür, dass wir erschrocken sind, jemals „Rammstein“ Fans gewesen zu sein, ist folgender aktueller Thread in der Facebookseite Lindemann & Rammstein World: Jens O. schreibt dort öffentlich (mit vielen Likes)
    „Der linke ÖR zieht ins Feld und wittert seine Chance, die ungeliebten, ungespielten“RAMMSTEINER“ endlich los zu werden. Mit einer unverblümten Frechheit, die seinesgleichen sucht. Es wird genauso wie mit der AfD verfahren, NICHT eingeladen, NICHT gezeigt, NUR negativ assoziert, interessengeleitete Berichterstattung. Wobei das Interesse klar hervorsticht: „Feine Sahne Fischfilet“ ist toll und hörbar, „RAMMSTEIN“ hingegen nicht.“

  4. Hi, Moritz.
    Du hast einen guten Punkt gebracht. Die Sache mit der strafrechtlichen Relevanz. Und da liegt das eigentliche Problem meiner Meinung nach. Nur weil er vielleicht nichts verbotenes gemacht hat, ist es trotzdem nicht richtig. Ramstein hin, Ramstein her. Und es war ja ganz offensichtlich ein Muster, was er gemacht hat.

  5. Sehen wir es ein: Rammstein ist eine heilige Kuh. Die Fans lieben ihr goldenes Kalb…
    Der entscheidende Sachverhalt ist wohl der, Zitat: „um sich in einer mitunter unvorhergesehenen Drucksituation vor die nicht wirklich freie Wahl gestellt zu sehen, ob sie mit ihrem Idol Sex haben wollen.“ Hier wird mir im Allgemeinen etwas zu stark tendenziös gewichtet, denn so wie es aussieht gehen dem mehrere Möglichkeiten eines Nein voraus. Man muss sich schon auch mal fragen: O.K., ich werde wegen meines Aussehens für Reihe 0 ausgewählt? Warum eigentlich? Danach ein Party mit ausschließlich Frauen und Till. Getränke umsonst? Warum eigentlich? Danach wird es verfänglicher, touchy… Warum eigentlich? Und dann ist man benebelt und sagt „Ja und Amen“. Ja, aber warum? Die Amerikaner schreiben in die Betriebsanleitung einer Mikrowelle, dass man keine Katzen trocknen darf, weil sonst Millionenklagen folgen könnten. Ich versteh halt auch die Frauen nicht, die sich auf sowas einlassen und wirklich glauben… ja, was glauben sie eigentlich? Der Till hat mich lieb und umsonst eingeladen, wie die anderen 15, um zu ratschn? Das soll jetzt keine Täter-Opfer-Umkehr werden, aber ein bisschen dämlich ist das schon auch, oder? Da wollen die Frauen stark und selbstbestimmt sein und fallen auf das erstbeste Idol wie ein Teenie rein. Ist ja nicht der erste solche Fall…
    Ich finde auch, dass du, Moritz, die Sache schon sehr stark in eine Richtung deutest und auch künstlich auflädst. Ich mag eure Berichterstattung aber dennoch, denn ich finde diese Art von Reibung sehr gewinnbringend, denn meine eigene Meinung lesen und das dann als gut bewerten (Thorsten Ws Ansatz) ist mir etwas zu fad.
    Ich bin übrigens absolut kein Rammstein-Fan. Ich fand die Lyrik schon immer aufdringlich gewollt und unraffiniert, die Musik absolut belanglos.

  6. Ich muss nach über 10 Jahren meine News nun auf den anderen Metalseiten lesen.

    Eure Berichterstattung ist einfach so unterirdisch geworden. Tut mir sehr Leid aber ihr habt stark nachgelassen. Vor allem Moritz sollte wohl eher eine Feministen Partei gründen.

    Hier reichen wohl Anschuldigungen von Frauen aus, ohne Beweise, daß man sie hier dann als Fakten verkauft und eine Band als widerwärtig abstempelt.

    Respekt. Mir fehlen die Worte. Aber zum gibt es noch andere – sogar sehr gute – Metalseiten.

    1. Ich wollte diese Kolumne eigentlich gar nicht kommentieren, aber als Frau, die vor der Pandemie selbst jahrelang oft hier und da bei Konzerten und Festivals backstage war, und als jemand, der mit Rammstein nicht viel anfangen kann, muss ich sagen: Ich stimme Dir zu. Oder: Leider muss ich Dir zustimmen. Der aktuelle Zeitgeist ist wirklich besorgniserregend.

      Ich war nie ein Groupie, und backstage geht es in der Regel nicht nur um das Eine. Wenn es im Laufe einer After-Show-Party in diese Richtung geht, dann sind da in der Regel auch noch andere Damen, und zumindest die Musiker checken dann auch, mit wem „was geht“ und mit wem nicht. Das sind dann Groupies, die genau DAS wollen, einvernehmlich, oder vielleicht auch Damen, die für genau diesen einen Musiker schwärmen. Was über die so genannte „Row 0“ bei Rammstein berichtet wird, ist teilweise abstoßend, da es eben sehr nach „Fleischmarkt“ klingt, aber eben auch nicht sooo überraschend / schockierend. Groupies sind schon immer Teil der Rockmusikwelt gewesen, und sie wollen in der Regel genau das Gleiche wie die Musiker, nämlich miteinander ins Bett. Dass da jetzt so heftigst die Moralkeule geschwungen und mit Worte wie „Machtmissbrauch“ herumgeschmissen wird… Schwer nachvollziehbar. Das muss wirklich dem aktuellen Zeitgeist geschuldet sein. Ich kenne etliche Groupies und habe nicht immer nachvollziehen können, warum sie sich an Typen schmeissen, bloss weil diese in einer Band spielen, aber die Damen sind glücklich, die Musiker auch… „So what’s the problem?“, um mal Rammstein zu zitieren.

      K.O.-Tropfen und dergleichen gehen selbstverständlich absolut gar nicht, aber in der Hälfte der Artikel, die ich zu der Sache gelesen habe, geht es nicht einmal mehr darum, sondern um Groupietum und „Machtmissbrauch“. Mick Jagger und Keith Richards haben sich mal in einer Küche in Deutschland um Uschi Obermaier gezofft… Wer hatte denn da die Macht? Diese plötzliche Hypermoral ist wirklich schwer nachzuvollziehen.

      1. Ja, und weil das schon immer so war (was in diesem „industriellen“ Stil übrigens nicht der Fall ist), ist es dann in Ordnung? Bis 1997 waren Vergewaltigungen in einer Ehe kein Verbrechen – auch darüber ist man gesellschaftlich hinweg. Das hat nichts mit Zeitgeist (jedenfalls nicht im negativen Sinne), sondern mit Fortschritt zu tun.

        1. Dieser Vergleich hinkt gewaltig. Gewaltig. Eine Ehefrau hat es ganz sicher nicht genossen, von ihrem Ehemann vergewaltigt zu werden. Groupietum ist etwas völlig anderes. Ich kenne – wie gesagt – etliche Groupies und ich rechne es denen hoch an, dass sie Geschichte nicht umschreiben. Sie wollten etwas ganz Bestimmtes, haben dies dann auch bekommen und sind nun dankbar für diese Erfahrung.

          Rammstein sind ganz sicher nicht die einzige Band, die das so „industriell“ handhaben. Die meisten Männer, die sich ihre Groupies – oder auch einfach nur Frauen – aussuchen könnten, würde es doch ganz genauso handhaben und sich die Hübschesten aussuchen. Das ist doch völlig normal. Dieses woke Gerede kommt da doch sehr scheinheilig rüber.

          1. Es war auch kein Vergleich – es war ein Beispiel dafür, dass sich gesellschaftlich (zum Glück) auch heute noch einiges ändert. Davon abgesehen geht es im konkreten Fall ja eben nicht um „Groupies“ im eigentlichen sinne, also quasi, überzeichnet beschrieben, „aufdringliche Frauen“, die gezielt auf Sex mit einem Star aus sind. Wer die Fallbeschreibungen der Frauen gelesen hat – denen zufolge die Frauen mitunter erst beim Sex aufgewacht sind oder Schmerzen hatten – wird kaum abstreiten können, dass – so dies der Wahrheit entspricht – das nicht als „Groupietum“ verklärt werden kann.

    2. Lieber Thorsten, dazu fällt mir nur ein:

      Adieu, goodbye, auf Wiederseh’n
      Den letzten Weg musst du alleine geh’n
      Ein letztes Lied, ein letzter Kuss
      Kein Wunder wird gescheh’n
      Adieu, goodbye, auf Wiederseh’n
      Die Zeit mit dir war … naja.

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